Steuer- und Arbeitsgerechtigkeit in der Plattformökonomie – (k)ein europäischer Ansatz?

01. September 2017

Uber und Foodora sind zwei der bekanntesten Proponenten von Unternehmen, die Dienstleistungen online auf Abruf anbieten – daneben existieren viele, die weniger bekannt sind, wie Hadi.APP oder Betreut.at. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie bringen Menschen, die Arbeit leisten (FahrerInnen, ZustellerInnen, HandwerkerInnen oder Reinigungskräfte) über eine Internetplattform auf Abruf mit KonsumentInnen zusammen. Und sie werden von der Europäischen Kommission euphemistisch als Teil der sogenannten „kollaborativen Wirtschaft“ gesehen. Wie mit dieser relativ neuen Art von Unternehmen in Steuer- und Arbeitsrechtsfragen umzugehen ist, darüber wird auf europäischer Ebene um Zentimeter gerungen.

Diverse Struktur und drastisches Wachstum

Bereits 2016 hat die Europäische Kommission in einer Mitteilung eine erste Stellungnahme zu jenem Phänomen abgegeben, das sie „kollaborative Wirtschaft“ nennt. Damit sind im Sinne der Europäischen Kommission jene Geschäftsmodelle gemeint, „bei denen Tätigkeiten durch kollaborative Plattformen ermöglicht werden, die einen offenen Markt für die vorübergehende Nutzung von Waren oder Dienstleistungen schaffen, welche häufig von Privatpersonen angeboten werden“, ohne dass dabei eine Eigentumsübertragung passiert. Unternehmen wie etwa Ebay und Willhaben oder gemeinnützige Foodsharing-Projekte wären nach dieser Definition nicht Teil der „kollaborativen Wirtschaft“, Plattformen wie Uber, BookATiger oder AirBnB aber sehr wohl.

Wenngleich die Europäische Kommission in jener Mitteilung einräumt, dass dieses Phänomen – das auch als „Peer-to-Peer-Economy“ oder „Sharing Economy“ bezeichnet wird – sehr divers strukturiert ist und unterschiedliche Konzepte umfasst, so beeindruckt vor allem das Wachstumspotenzial, das die Kommission diesem neuen Phänomen zuschreibt. Für 2015 wurde der gesamte über „kollaborative Plattformen“ entstandene Umsatz für den Wirtschaftsraum der Europäischen Union noch auf 28 Mrd. Euro geschätzt; dieser soll aber noch bis Ende des Jahrzehnts auf bis zu 600 Mrd. Euro steigen. Zur besseren Veranschaulichung: Der Wert von 2015 entspricht etwa dem doppelten Umsatz der Spar Österreich Gruppe – der Wert von 2020 den weltweiten Umsätzen der Mineralölkonzerne Shell und British Petrol zusammengenommen.

Kommission: Liberalisierung als Stellschraube

Dieses von der Kommission unterstellte, (fast) exponentielle Wachstum stellt die Politik vor große Handlungsherausforderungen, auch wenn die „kollaborative Wirtschaft“ derzeit noch als Nischenphänomen erscheinen mag. Die Europäische Kommission spricht in ihrer Mitteilung auch eine Reihe von wichtigen Fragen an, die zu klären sind: Etwa ob Plattformen selbst AnbieterInnen von Leistungen sind, ob PlattformarbeiterInnen ArbeitnehmerInnen oder echte Selbstständige sind und wie eine Zusammenarbeit zwischen Steuerbehörden und den Plattformen ermöglicht werden kann. In all diesen Fragen gibt es aber im Wesentlichen eine ähnliche Antwort für die Mitgliedstaaten, die da lautet: Diese Fragen sollen durch die Förderung und den Austausch von „Best-Practices“ zwischen den Mitgliedstaaten geregelt werden, gleichzeitig soll der Marktzugang für neue Plattformunternehmen aber einfach und niedrigschwellig ausgestaltet sein.

Ein häufig – sogar schon in der besagten Mitteilung der Kommission – genanntes „Best-Practice-Beispiel“ ist der Umgang des Mitgliedstaates Estland mit der Fahrtendienstplattform „Uber“: Dort müssen die selbstständigen Uber-FahrerInnen steuerlich online gemeldet werden. Jede über die Uber-App vermittelte Fahrt wird automatisch online als Einkunft bei der Steuerbehörde registriert. Mitte 2017 wurde diese Kooperation als „Rideshare-Bill“ in ein Gesetz überführt, das gleichzeitig die gewerbliche Personenmitnahme für Privatpersonen (auch ohne entsprechenden Ausbildungsnachweis) legalisiert. Somit wird zwar sichergestellt, dass es zu keiner Steuervermeidung durch die vorrangig soloselbstständigen FahrerInnen kommt – auf Ebene des Plattformbetreibers Uber stellt sich allerdings die Frage, ob der Standort Estland nicht sogar zu einer europäischen Steueroptimierungsstrategie beiträgt: Estland kennt nämlich einen 0-%-Steuersatz auf nicht entnommene Gewinne von Körperschaften.

Richtig wurde von der Kommission außerdem erkannt, dass es in der „kollaborativen Wirtschaft“ schnell zu marktbeherrschenden Stellungen einzelner Plattformen kommen kann. Als Mittel dagegen sieht die Kommission allerdings eher die Erleichterung des Marktzugangs für neue MitbewerberInnen, als die Regulierung der bestehenden Plattformen.

Das Europäische Parlament schreitet (geringfügig) voran

Da die Europäische Kommission also den Mitgliedstaaten wenig festes Handwerkzeug mitgibt und einen durchwegs angebotsorientierten Zugang verfolgt, hat sich das Europäische Parlament im Juni 2017 auf deutlich weitreichendere Positionen geeinigt. So vertritt das Europäische Parlament die Auffassung, dass Steuern dort bezahlt werden sollten, wo die Gewinne entstehen. Es fordert die Kommission außerdem auf, dafür zu sorgen, Daten „zu den durch die kollaborative Wirtschaft verursachten Veränderungen in der Arbeitswelt“ zu erheben, für „gerechte Arbeitsbedingungen“ und „wirtschaftliche und soziale Absicherung“ der PlattformarbeiterInnen zu sorgen. Nicht zuletzt vertritt das Europäische Parlament die Ansicht, dass grundlegende ArbeitnehmerInnenrechte – „insbesondere das Recht der Arbeitnehmer, sich zusammenzuschließen, sowie ihr Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen“ auch auf Plattformen gelten müssen.

Diesen Positionen, die im Vergleich zu den Kommissionsmitteilungen die europäische Ebene und die grundsätzlichen Fragen der sozialen Gerechtigkeit stärker in den Vordergrund rücken, waren jedoch lange Diskussionen in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments vorgelagert. So forderte der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ursprünglich Normen für europäische Transparenz- und Offenlegungspflichten für PlattformbetreiberInnen (zum Zwecke der Kontrolle von Steuerzahlungen, Sozialversicherungsbeiträgen und der Bewertungen auf den Plattformen) – die Kommission wurde außerdem aufgefordert, eine Studie über die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Situation der ArbeitnehmerInnen durchzuführen. Nicht zuletzt sprach sich der Ausschuss dafür aus, das Phänomen der Onlineplattformen nicht mehr mit den Euphemismen „Sharing Economy“ oder „Collaborative Economy“ zu benennen, sondern schlichtweg als „Plattformökonomie“ zu bezeichnen – denn es werde ja bei Weitem nicht auf allen Plattformen „geteilt“ oder „zusammengearbeitet“. Diese Punkte wurden vom Plenum des Europäischen Parlaments allerdings nicht übernommen.