Die Wirtschaftspolitik in der EU hat in den vergangenen Jahren darauf gesetzt, die Liberalisierung und Deregulierung voranzutreiben und durch strikte Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten zu züchtigen. Dies hat die Eurozone nicht auf einen Pfad geführt, der Wachstum und Beschäftigung schafft. Dafür ist vielmehr eine makroökonomisch ausgerichtete Beschäftigungspolitik notwendig, die innerhalb einer EU-weiten Koordinierung von Geld-, Lohn und Finanzpolitik eine deutliche Erhöhung öffentlicher Investitionen ermöglicht.
Seit 2008 befindet sich die Europäische Union (EU) im Krisenmodus: Zunächst schwabte die von den USA ausgehende Immobilienkrise als Weltfinanzkrise nach Europa, dann folgte die Eurokrise. Oberflächlich betrachtet war dies eine Krise der öffentlichen Haushalte vor allem in den Ländern der Eurozone, tatsächlich aber zeigte sich in der Eurokrise ein Misstrauen der (Finanz-)Marktteilnehmer in die Beständigkeit der Eurozone: Um einen Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte und ein allzu starkes Übergreifen auf die realen Sektoren der EU-Volkswirtschaften zu verhindern, mussten sich alle Eurozonen-Länder stark für Bankenrettungs- und Konjunkturstützungsprogramme verschulden. Damit war die Phase der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beendet, immerhin aber konnte der totale Kollaps der Finanzmärkte und des Bankensektors abgewendet werden. Der teilweise drastische Anstieg der Neuverschuldung und der Schuldenstandsquoten in den Eurozone-Ländern führte, zusammen mit der so genannten ‚No Bail out‘-Klausel der europäischen Verträge und dem Verbot der Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) zur Gefahr der Insolvenz einzelner EU-Mitgliedsländer und, damit, zur Möglichkeit des Auseinanderbrechens der Eurozone. Stark differierende Risikoprämien auf Staatsschuldverschreibungen erhöhten dann die Insolvenzgefahr und das Risiko des Scheiterns der Eurozone weiter.
Auf eine solche Situation war die Eurozone nicht vorbereitet: 1) Einerseits hatte vor allem Deutschland ein Governance-System durchgesetzt, dessen ‚mind set‘ makroökonomische Restriktion, nicht Intervention bezweckte. In den Zeiten der Depression machte sich dies darin bemerkbar, dass die Konjunkturstützungsprogramme in den Eurozone-Ländern nicht mehr an den realwirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgerichtet werden konnten, sondern nur mehr an den sehr begrenzten Handlungsspielräumen, die eine an ausgeglichenen Haushalten und einer willkürlich vorgegebenen Schuldenstandsquote von 60% des BIP ausgerichtete Finanzpolitik beließ. Dies zwang vielerorts zu einer Austeritätspolitik, die die realwirtschaftliche Krise verschärfte und die Haushaltsnotlagen vergrößerte; 2) es gab keinerlei ‚Notfallplan‘, der für den Fall des Zweifelns an der Beständigkeit der Eurozone die Solvenz jener nationalen Regierungen sicherte, von denen die Finanzmärkte zu allererst einen Ausstieg aus der Eurozone erwarteten.
Es darf nicht verwundern, dass seither in hektischer Aktivität und zahllosen EU-Sondergipfeln insbesondere darum gerungen wurde, mit der Konstruktion von Notfallmaßnahmen – z.B. den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) – und der Konzentration auf finanzpolitische Konsolidierung die Stabilität der Eurozone zu sichern und die Vertrauenskrise zu überwinden. Tatsächlich gelang es, zumindest vorübergehend, die Finanzmärkte zu beruhigen. Dabei sind allerdings die Belange der arbeitenden Menschen – vor allem jener, die gegenwärtig keinen Arbeitsplatz finden können – in den Hintergund geraten.
Hier kommt die europäische Beschäftigungspolitik ins Spiel und es darf danach gefragt werden, ob genügend auf nationaler und EU-Ebene getan wird, um Vollbeschäftigung in der EU und insbesondere der Eurozone zu erreichen.
Die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) – ein Politikfeld entsteht
Mitte der 1990er Jahre erlebte die EU eine Welle des Euroskeptizismus: Nach dem Vertrag von Maastricht, der die Vollendung des Binnenmarktes und die Einführung einer gemeinsamen Währung anstrebte, schien sich die EU zu wenig um die drängenden Probleme der Gegenwart zu kümmern: Im Zuge der konjunkturellen Dämpfung, die die Weltwirtschaft Anfang der 1990er Jahre erfasst hatte, war die Arbeitslosigkeit stark emporgeschnellt und hatte mit fast 11% im Jahr 1994 einen historischen Höchstpunkt erreicht. Der Europäischen Kommission unter ihrem Präsidenten Jacques Delors wurde schnell klar, dass die weitere europäische Integration institutionelle Zeichen in sozial- und beschäftigungspolitischer Richtung (‚soziale Dimension‘) setzen musste, wenn die Unterstützung durch die breite Bevölkerungsmehrheit nicht verloren gehen sollte.
Im Amsterdamer Vertrags von 1997 fand sich deshalb neben einem Sozial- auch ein Beschäftigungskapitel, welches erstmalig beschäftigungspolitische Kompetenz für die EU reklamierte. Die EU-Beschäftigungspolitik wurde im Rahmen des so genannten ‚Luxemburger Prozesses‘ dann allerdings zu einem prägnanten Beispiel der ‚offenen Koordinierungsmethode‘: Ohne eigene Finanzmittel und eigene echte Zuständigkeit der EU koordiniert die Kommission die nationalen Politiken, indem Zielgrößen (‚Benchmarks‘) in den Beschäftigungspolitischen Leitlinien (BPL) formuliert und besonders erfolgreich erscheinende Verfahren (‚best practise‘) kommuniziert werden, die nationalen Regierungen in ‚Nationalen Aktionsplänen‘ (NAP) bündeln und der EU-Kommission vorlegen und in einem Jahresbeschäftigungsbericht schließlich der gesamte Prozess dem EU-Ministerrat und dem Europäischen Parlament (EP) zu Kenntnis bringen. Verfahrenstechnisch geht es bei der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) also um die Fokussierung der nationalen Politiken auf ein bedeutsames Politikfeld und die Initiierung von Lernprozessen. Wirtschaftspolitisch hat sich eindeutig jene Ausrichtung durchgesetzt, die in Anlehnung an die zeitgleich publizierte ‚OECD Jobs Study‘ Arbeitslosigkeit im wesentlichen als ein mikroökonomisches Problem übermäßig regulierter und vermachteter Arbeitsmärkte und bestehender Strukturprobleme betrachtet, während der neue makroökonomische Konsens der Makropolitik nur eine ordnungspolitische Begleitung zugestand.
In einer 1. Phase der EBS bis etwa 2008 lässt sich nun allerdings feststellen, dass zwar eine leichte Verbesserung der Arbeitsmarktlage in der Eurozone zu verspüren war, die vorgegeben Ziele aber – z.B. deutlich höhere Erwerbsquoten, starke Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit – ebenso wenig erreicht werden konnten wie ernsthaft von einer Annäherung an eine Situation der Vollbeschäftigung gesprochen werden konnte.
Die 2. Phase beginnt mit dem Ausbruch der Weltfinanz- und Eurokrise ab 2008. Seither ist die Arbeitslosenquote in der Eurozone um etwa 4%-Punkte auf über 11% gestiegen. Vor allem aber ist die Entwicklung in den Teilwirtschaften der EWU sehr unterschiedlich: Während die Arbeitslosigkeit in Deutschland mittlerweile sogar unter dem Vorkrisenniveau liegt, ist sie in anderen Ländern geradezu explodiert. Vor allem die so genannten ‚Programmstaaten‘, also jene Länder, die auf EU-Notfallhilfen zurückgreifen mussten, erlebten eine Verdopplung oder gar Verdreifachung ihrer Arbeitslosenquoten in kurzer Zeit auf absolute Höchststände in ihrer jüngeren Geschichte. Die Wachstumsentwicklung in dieser Phase lässt vermuten, dass die Arbeitsmarktschwächung nach der Weltfinanz- und Eurokrise wesentlich auf den rezessiven Einbruch der Realökonomie zurückzuführen ist. Seit 2008 hat sich in der Eurozone eine kumulierte Outputlücke von fast 15% aufgetan, die zumindest durch eine bessere Wachstumsperformanz geschlossenen werden müsste, um wenigstens auf den alten Beschäftigungsstand zurückzukehren.
Rückkehr zu einer Politik der Vollbeschäftigung
Es darf nicht verwundern, dass die Gegenwart wieder eine zunehmende Euroskepsis erlebt. Zu sehr scheint sich die EU und insbesondere auch die gemeinsame Währung als Teil des Problems, nicht der Lösung zu erweisen. Die Eurokrise wird vornehmlich als Haushaltskrise, nicht als Beschäftigungskrise thematisiert und behandelt. Die Austeritätsmaßnahmen werden als unverzichtbar für die Wiedergewinnung des Vertrauens in den Zusammenhalt der Eurozone und die Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten angesehen – dahinter verbirgt sich die wirtschaftspolitische Rationalität einer ökonomischen Schule, die die Finanzmarktkrise nicht hat kommen sehen und die auch keine adäquaten Antworten auf deren realwirtschaftliche Durchschlagskraft hat. Es steht aber auch die politische Rationalität der Regierungen jener (nördlichen) Eurozone-Länder dahinter, die aus sehr unterschiedlichen Gründen einigermaßen glimpflich durch die Krise gekommen sind und nun den finanziellen Solidaritätsanspruch der anderen Eurozone-Länder und deren Unvermittelbarkeit in einem Umfeld von Renationalisierungstendenzen fürchten.
Ein erster Schritt in Richtung Vollbeschäftigungspolitik besteht also zunächst darin, das Beschäftigungsproblem wieder als zentrales Thema auf der EU-Agenda zu verankern. Als Nächstes wäre es notwendig, die Austeritätsorientierung der europäischen Wirtschaftspolitik aus ihrer TINA-Position zu lösen. Dies dürfte angesichts der jahrzehntelangen einschlägigen wissenschaftlichen und medialen Einhämmerung und, ganz objektiv, vor dem Hintergrund der faktischen Verschuldung der öffentlichen Haushalte nicht ganz leicht sein.
Allerdings gibt es auch Zeichen, die Raum für Visionen lassen: 1) Mit der Wahl einer linken Regierung in Griechenland ist erstmals ein Akteur auf die europäische Bühne getreten, der sich offen gegen den bisherigen Kurs der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in der Eurozone stellt – der griechische Demos hat Regierungschef Tsipras unmissverständlich ein solches Mandat des Widerstandes und der Kurskorrektur gegeben und es können in nächster Zukunft ähnliche Regierungskonstellationen in anderen Eurozone-Ländern entstehen. 2) In der EU-Kommission gibt es längst Überlegungen in Richtung einer ‚Genuine Monetary Union‘ (GMU), die eine Wiederherstellung der wirtschaftspolitischen Interventionsfähigkeit auf EU-Ebene (also eine ‚Europäische Wirtschaftsregierung‘) diskutieren. 3) Die politökonomische Funktionalität der EWU mag es erzwingen, dass der Erhalt der Gemeinschaftswährung nur durch die Abkehr von der gegenwärtigen Austeritätspolitik gewährleistet werden kann – zumindest, wenn die Unterstützung der EWU durch breite Bevölkerungsmehrheiten die unabdingbare Voraussetzung für den Bestand eines Politikprojektes ist, dass keine genuine Legitimation besitzt.
Dieser Beitrag basiert auf einem gleichnamigen Artikel in der wirtschafts- und sozialpolitischen Zeitschrift WISO des Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Linz.