12,5 gegen 1000 Milliarden Euro: Kaum ein Bild hat im vergangenen Jahr in verschiedenen Versionen eine derart enorme Reichweite in den sozialen Netzwerken erreicht, wie die Gegenüberstellung (hier oder hier) der jährlichen Kosten für die Versorgung einer Million Flüchtlinge und jenen der Steuerflucht von Konzernen und Vermögenden. Auch wenn das sprachliche Bild von „Steuerflüchtlingen“ angesichts der konkreten Not von Millionen Menschen unpassend ist – es ist höchst an der Zeit, endlich politische Lösungen dafür zu finden, dass sich ausgerechnet die Vermögendsten vor ihrem Beitrag zum Gemeinwohl davonstehlen.
Die Rechnung zahlen wir
Allein bei den Steuertricks von multinationalen Konzernen schätzt die OECD den Verlust auf 100 bis 240 Milliarden US-Dollar – pro Jahr. Die Rechnung dafür bezahlen wir mit höheren Steuern auf Arbeit und Konsum. Auch kleine und mittlere Unternehmen werden benachteiligt. Die Probleme internationaler Konzernbesteuerung können nicht von heute auf morgen und nur durch internationale Kooperation gelöst werden. Nun hat die OECD im Auftrag der G20 – nach Jahren völliger Ignoranz gegenüber den Forderungen der Zivilgesellschaft – vor zwei Jahren einen Prozess gestartet, mit dem man den Steuertricks von Konzernen Einhalt gebieten will. Die Ergebnisse des sogenannten BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting) wurden Anfang Oktober präsentiert und von den G20 beschlossen.
Ein irreparables System
Doch die OECD verfehlt das von den G20 vorgegebene Ziel, dass Konzerne ihre Gewinne künftig nur dort besteuern sollen, wo sie wirklich wirtschaftlich tätig sind. Amazon, Google und Co werden weiter tricksen können. Denn die Ergebnisse sind, wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz festgestellt hat, bestenfalls geringfügige Korrekturen eines an sich irreparablen Systems. Die OEDC versucht, ein löchriges Sieb zu stopfen, anstatt gleich eine Schüssel zu nehmen.
Das Kernproblem besteht darin, dass nationale Tochterfirmen multinationaler Konzerne steuerlich so behandelt werden dürfen, als wären sie völlig eigenständige Unternehmen. Erst dieser Umstand ermöglicht es, Gewinne steuerschonend auf Niederlassungen in Niedrigsteuerländern oder Steueroasen zu verteilen. Statt das Problem also an der Wurzel zu packen und multinationale Konzerne steuerlich als Einheit zu betrachten macht die OECD die internationalen Transferpreis-Regelungen für Konzerne noch komplexer.
Schlupflöcher bleiben
Dementsprechend vielfältig sind daher auch weiterhin mögliche Schlupflöcher. So ist das Tricksen bei gedruckten Büchern für Amazon in Zukunft zwar nicht mehr möglich, E-Books zum Beispiel können jedoch nach wie vor in Österreich verkauft, aber in Luxemburg versteuert werden. Durch die zunehmende Komplexität des internationalen Steuersystems stehen selbst die Verwaltungen der OECD-Länder vor immer größeren Herausforderungen. So mussten sogar die US-Steuerbehörden bei der Prüfung von Microsoft 2,2 Millionen Dollar für KonsulentInnen ausgeben. Entwicklungsländer mit weniger Ressourcen stehen völlig auf verlorenem Posten.
Zinsen für Scheinkredite zwischen Konzerntöchtern sind unter gewissen Bedingungen weiterhin abzugsfähig. Auch Patentboxen sind durch den Druck Großbritanniens und Deutschlands durch BEPS „salonfähig“ gemacht worden. Die BEPS-„Neuerung“ des sogenannten „Nexus“-Ansatzes: Gewinne aus einem Patent sollen künftig besser den entstandenen Kosten und dem Ort der Besteuerung zugeordnet werden können. Diese Zuordnungen sind aber nicht immer möglich. Zudem sind auch Gewinne aus der Nutzung der einzelnen Patente oft kaum berechenbar. Es ist zu befürchten, dass es findigen Steuerabteilungen der Konzerne und versierten Steuerberatungsfirmen immer gelingen wird, steuerlich begünstigende Einkünfte in Zusammenhang mit einem Patent beizubringen. Patentboxen münden immer in einer niedrigeren Bemessungsgrundlage und niedrigerer Gesamtbesteuerung der Unternehmen. Das britische Finanzministerium schätzte 2010, dass die Patentbox-Regelungen Großbritannien Steuerverluste von jährlich 1,1 Milliarden Pfund verursachen.
Geheime Berichte
Es wäre falsch zu behaupten, dass BEPS gar keine Fortschritte bringt. Neben ein paar gestopften Löchern müssen sehr große Konzerne künftig ihren Steuerverwaltungen länderweise Daten über ihre Konzernstruktur und ihre Steuerleistungen zur Verfügung stellen. Doch dies nützt wenig solange diese Berichte nicht veröffentlicht werden. Wir erinnern uns: Es waren nicht die Steuerverwaltungen, sondern unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft, die LuxLeaks vor einem Jahr ins Rollen gebracht haben. Wie wirkungsvoll öffentliche Berichte sind, zeigt ein Beispiel aus der EU: Dort sind Banken seit Kurzem zu öffentlichen Berichten verpflichtet – mit erstaunlichen Ergebnissen. Die Barclays Bank erwirtschaftete beispielsweise 2013 in Luxemburg einen kaum besteuerten Gewinn von 1,3 Milliarden Pfund – mit gerade mal 14 MitarbeiterInnen! Eine aktuelle Studie von Tax Justice UK kommt zum Ergebnis, dass Banken generell verdächtig viel in Steueroasen verdienen. Ohne öffentliche Berichte und ohne auch mittelgroße Konzerne berichtspflichtig zu machen, werden JournalistInnen, NGOs und InvestorInnen weiterhin im Dunklen tappen.
Entwicklungsländer werden benachteiligt
Diese Intransparenz benachteiligt auch die Steuerverwaltungen von Entwicklungsländern. Denn sie erhalten die Daten von den Sitzländern der Multis nur dann, wenn sie über entsprechende bilaterale Abkommen verfügen. Zudem sind über 100 Länder, die nicht der OECD und den G20 angehören, von BEPS vielleicht sogar negativ betroffen, da sie bei BEPS gar nicht mitentscheiden konnten. Daher sollten die weiteren Entscheidungen auf Ebene der UNO getroffen werden.
Gesamtbesteuerung für Konzerne wäre die Lösung
Die einzig sinnvolle Lösung wäre eine Gesamtbesteuerung für Konzerne. Dabei werden Großkonzerne als globale Einheit besteuert. Sie müssen auf Grundlage eines gemeinsamen Berichts aller Tochterunternehmen ihre Tätigkeiten, Kosten und Gewinne weltweit ausweisen. Konzerninterne Transaktionen werden nicht berücksichtigt. Der Gesamtgewinn wird dann mittels eines Umlageschlüssels auf die einzelnen Länder aufgeteilt, zum Beispiel basierend auf den variablen Lohnzahlungen, Sachanlagen und Umsatz. Das Tricksen der Konzerne hätte ein Ende.
Noch können die Konzernlobbies und die prächtig mitverdienenden Steuerberatungskanzleien ihre Interessen politisch durchsetzen. Nur anhaltender öffentlicher Druck der Zivilgesellschaft wird das ändern.
Veranstaltung zum Thema am Montag, 25. Jänner 2016 um 18h in Linz: „Die Steuer-Tricks der Konzerne: Wer bietet weniger“
Dieser Beitrag erschien zunächst in Wirtschaftspolitik-Standpunkte 4/2015. Für den Blog wurde er geringfügig überarbeitet.