Was die neue Regierung zu tun hätte, Teil III: wohlstandsorientierte Budgetpolitik

03. November 2017

Der kräftige Konjunkturaufschwung sorgt dafür, dass das Budgetdefizit bereits 2018 auf nahe Null sinken wird. Können kostspielige Steuersenkungen und neuerliche Finanzkrisen verhindert werden, so sind mittelfristig stabile Staatsfinanzen ebenso möglich wie Strukturreformen im Sinne wohlstandsorientierter Budgetpolitik: mehr Augenmerk auf öffentliche Zukunftsinvestitionen, Abbau der gesellschafts- und wirtschaftspolitisch gefährlichen Konzentration von Vermögen, bessere Lebenschancen für die breite Masse der Bevölkerung sowie ein gezielter Ausbau des Sozialstaates zum Wohle aller sind gefragt.

Nachhaltiger Staatshaushalt

Die günstige wirtschaftliche Ausgangslage ermöglicht es der neuen Bundesregierung, die wichtigsten Vorgaben von europäischer Seite zu erfüllen. Der Konjunkturaufschwung trägt auch ganz ohne populistischer Schuldenbremse in der Verfassung zum raschen Abbau der Staatsschulden bei. Zur Erinnerung: Finanzkrise und Bankenrettung hatten die Bruttostaatsschulden von 65% auf 85% des BIP nach oben getrieben. Mit dem nun erreichten raschen Rückgang dürfte der Schuldenstand von 2007 spätestens Mitte des kommenden Jahrzehnts wieder erreicht werden und danach wird er weiter sinken.

Viele ökonomische Analysen und auch die EU-Vorgaben enden beim Bruttoschuldenstand. Unverständlicherweise werden in eklatantem Gegensatz zur Analyse von Unternehmensbilanzen beim Staat die positiven Vermögenswerte nicht in die Rechnung einbezogen. Erst langsam werden Daten verfügbar und lichtet sich damit die Intransparenz. Eine erste Aufstellung kommt zum Ergebnis, dass nach Einbeziehung von Forderungen und Anlagevermögen der öffentliche Sektor eine deutlich positive Vermögensbilanz aufweist – die damit bereits jetzt als nachhaltig einzustufen ist.

Kostspielige Steuergeschenke?

Die größte Gefahr für einen nachhaltigen Staatshaushalt stellt – neben einem neuerlichen Aufflammen der Banken- und Finanzkrise – die notorische Neigung der Politik zu nicht ausreichend bzw. nur durch wohlstandsmindernde Sozialkürzungen finanzierten Steuergeschenken dar. Sie prägte auch den Wahlkampf für die Nationalratswahlen 2017, in der die Parteien einander in dieser Hinsicht wie auf einem Kirtag überboten. Kaum ist die Steuerreform 2016 im Budget verdaut, werden Steuersenkungspläne gewälzt, deren Volumina fast das Vierfache betragen.

Im Gegensatz zur Lohnsteuersenkung 2016 strotzen die Gegenfinanzierungspläne der nun kolportierten Steuersenkungspläne vor Intransparenz, Ungereimtheiten, Doppelzählungen und mangelnder Seriosität. Wenig fundiert ist die Hoffnung, Steuersenkungen würden sich weitgehend von selbst finanzieren, weil sie zu mehr Investitionen und Konsum führen. Der Selbstfinanzierungsgrad von Steuersenkungen hängt nämlich stark von der Ausgabenneigung der begünstigten Bevölkerungsgruppen ab und ist damit im unteren Einkommensdrittel am höchsten. Einkommensteuersenkungen, die alle Erwerbstätigen begünstigen, weisen erfahrungsgemäß einen Selbstfinanzierungsgrad von kaum mehr als 20% auf.

Dazu kommt, dass milliardenschwere Einsparungsvorhaben, die in manchen Wahlprogrammen zur Gegenfinanzierung angeboten wurden, selbst wieder stark dämpfende Wirkungen auf Einkommen und Steueraufkommen hätten, was in eben diesen Programmen allerdings verlässlich ignoriert wird. Die negativen BIP- und Beschäftigungseffekte von Ausgabenkürzungen sind in allen Modellen stärker als die positiven Effekte von Steuersenkungen, was insgesamt den konjunkturellen Selbstfinanzierungseffekt sogar ins Negative drehen würde.

Wohlstandsneutrales Einsparungspotential: vorhanden, aber überschätzt

Großes Einsparungspotential wird gerne bei Verwaltung und Förderungen vor allem im föderalen System vermutet. Tatsächlich ist eine bessere Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, was Zuständigkeiten, Verwaltungsabläufe und Förderungen betrifft, eines der dringlichsten Anliegen an eine vernünftige Budgetpolitik. Doch die markante Kürzung von Förderungen bedeutet erhebliche Leistungseinschränkungen bei Krankenhäusern, Forschung, öffentlichem Verkehr, Arbeitsmarktpolitik oder auch Bauerneinkommen, denn das sind die großen Förderbereiche. Alles kann effizienter werden und da und dort sind Millionen zu sparen, doch Milliardenbeträge sind hier auf absehbare Zeit nicht zu holen.

Ein dritter harmlos klingender Vorschlag lautet, die Staatsausgaben nicht mehr mit der Wirtschaftsleistung wachsen, sondern real stagnieren zu lassen. Das wäre allerdings die sozial und wirtschaftlich gefährlichste Maßnahme, denn sie würde auf Kürzungen bei Pensionen, Gesundheit, Pflege und Bildung hinauslaufen – Bereiche, die mehr als zwei Drittel der Staatsausgaben ausmachen.

Beispiel Pensionen: Die langfristigen Prognosen sehen die Ausgaben für Alterssicherung bis 2060 real etwa gleich stark wie die Wirtschaftsleistung wachsen und sich so bei 15% des BIP stabilisieren. Wenn die staatlichen Pensionsausgaben in Zukunft insgesamt nicht mehr mit der Wirtschaftsleistung wachsen, sondern real stagnieren sollen, dann müssen aufgrund des Anstiegs der Zahl der PensionsbezieherInnen notwendigerweise die einzelnen Pensionen real markant gekürzt werden. Ähnliches gilt für die Gesundheits- und Pflegeausgaben, die nach derzeitigem Ausgabenpfad real um 1 bis 2% wachsen sollen, oder der Bildung, wo insbesondere Schulen mit besonders vielen sozial benachteiligten Kindern dringend mehr Personal und Geld brauchen.

Reformziel: ein besserer und solidarisch finanzierter Sozialstaat statt Null-Diät

Die genannten Sozialleistungen sind unverzichtbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und bilden eine Basis des wirtschaftlichen Erfolgs des Landes. Sie sollen nicht über Kredite, sondern über Steuern und Beiträge finanziert werden. Bei hoher Sozialquote stellt eine hohe Abgabenquote ein Kennzeichen der Zivilisation dar.

Reformbedarf besteht dennoch sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts: Auf der Steuerseite sollen aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen die Arbeitseinkommen entlastet werden. Im Gegenzug sollen Vermögensbestände, -übertragungen und –einkommen sowie ökologisch schädliche Produktions- und Lebensweisen stärker zur Finanzierung gesellschaftlichen Wohlstands herangezogen werden. Auf der Ausgabenseite gilt es vor allem soziale Dienstleistungen – wie Gesundheitsversorgung, Pflege, Schulen oder Kindergärten – weiter auszubauen, Innovation und Inklusion zu fördern und mehr Spielraum für öffentliche Investitionen zu schaffen.

Für eine ausgewogenere Budgetpolitik auf europäischer Ebene

Im Fokus der Budgetpolitik darf allerdings nicht nur der Staatshaushalt in Österreich stehen – auch auf europäischer Ebene brauchen wir eine gesamtwirtschaftlich ausgerichtete Fiskalpolitik. Die einseitige Kürzungspolitik zwischen 2011 und 2015 hat zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, im besonderen Ausmaß in den Krisenländern, und die gesamte Eurozone wirtschaftlich weit zurückgeworfen. Sehr spät aber doch wurde diese Politik beendet, was wesentlich zur jüngsten wirtschaftlichen Erholung beitrug.

Jetzt geht es darum, in der Eurozone Weichen für eine mittelfristig ausgerichtete wohlstandsorientierte Budgetpolitik zu stellen, die die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt genauso im Auge hat, wie die Verringerung der Staatsschulden. Konkrete Vorschläge hierfür gibt es genug: Etwa die Stärkung der öffentlichen Investitionen durch die Einführung einer „goldenen Investitionsregel“, von der kurzfristige Investitionsimpulse ebenso ausgehen sollen, wie eine Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Niveaus und der Anstoß für eine Ökologisierung der europäischen Wirtschaft; oder die Stärkung der automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte auf europäische und nationalstaatlicher Ebene – die auch ohne Verknüpfung mit neoliberalen Strukturreformen wirken können; oder die Schließung von Steuerschlupflöchern, die Bekämpfung von Steuerdumping und die Verhinderung von Steuersenkungswettläufen, die die Finanzierungsbasis des europäischen Sozialmodells aushöhlen.

Fazit: gute Ausgangsposition für wohlstandsorientierte Budgetpolitik

Die gute wirtschaftliche Lage Österreichs im internationalen Vergleich bietet der neuen Bundesregierung eine hervorragende budgetpolitische Ausgangsposition. Für eine wohlstandsorientierte Budgetpolitik ist es nach Wiederherstellung der Nachhaltigkeit notwendig, die öffentlichen Haushalte – in Österreich wie auch der EU insgesamt – verstärkt als Instrument für weitere wichtige Ziele einzusetzen: eine anhaltende Senkung der Arbeitslosigkeit, eine stärkere Korrektur der Konzentration von Vermögen und Lebenschancen, mehr öffentliche Investitionen (v.a. ökologische) sowie den gezielten Ausbau des Sozialstaates.

Zu den wichtigsten Voraussetzungen für diesbezüglichen Erfolg gehören eine konsensuale Faktenorientierung und gemeinsame Ausrichtung auf gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen, die nicht den Interessen einzelner starker Lobbies geopfert werden. Gerade in der Budgetpolitik ist die neue Bundesregierung gefragt, nicht nur alle gesellschaftlichen Gruppen in die Entscheidungsfindung einbeziehen, sondern sich auch fair an allen Interessen ausrichten, vor allem jenen der Schwächsten in der Gesellschaft. Das erfordert eine kontinuierliche Handlungsbereitschaft: Märkte lösen die Probleme nicht von alleine. Sie brauchen für die Erreichung der gesellschaftlichen Ziele klare politische Rahmenbedingungen. Was wir also benötigen, ist eine Bundesregierung, die eine aktive, nachhaltige, an den Interessen der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtete Budgetpolitik auf österreichischer und europäischer Ebene betreibt.

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Kurzfassung des sehr viel breiteren Editorials in der Ausgabe 3/2017 der Zeitschrift Wirtschaft und Gesellschaft, das die ökonomischen Herausforderungen für die nächste Bundesregierung skizziert.