„Wann kommt die grosse Pensionsreform?“, ist die falsche Frage.

11. April 2017

Das war eine Aufregung im Herbst 2013 bei den Koalitionsverhandlungen. Ein „Pensionsloch“ von 8,7 Mrd. € habe sich aufgetan, sagten die ÖVP-Verhandler und forderten, dass jetzt die große Pensionsreform kommen müsse. (A&W-Blog Erik Türk) Und obwohl erst im Jahr 2012 weitreichende Reformen beschlossen wurden, die noch nicht einmal Zeit zum Atmen hatten, wurden im Regierungsprogramm noch ehrgeizigere Ziele festgelegt. Jetzt – in der Abendröte der Koalition – hat das Tauziehen um die Zielerreichung längst begonnen und die Frage nach der „großen Pensionsreform“ scheint aktuell wie eh und je. Höchste Zeit also zu fragen, was haben all die Reformen gebracht und was wurde aus dem 8,7 Mrd.-Loch?

Die Wirtschaftskrise als Auslöser einer Reformserie

Der Wirtschaftseinbruch des Jahres 2009 war auch für die Pensionsdiskussion eine Zäsur. Ab dem Jahr 2010 wurde ein beträchtlicher Anstieg der Bundesmittel als Konsequenz von Beitragsausfällen prognostiziert. Man ging davon aus, dass die Bundesmittel von 2,99 % des BIP im Jahr 2009 auf 3,6 % des BIP bis 2016 und auf 4 % des BIP bis 2021 ansteigen werden. Die Pensionskommission musste eine Empfehlung abgeben, weil diese Prognosen auch deutlich über dem sogenannten Referenzpfad aus dem Jahr 2004 lagen. Demnach sollten die Bundesmittel im Jahr 2016 3,1 % des BIP und im Jahr 2021 3,5 % des BIP nicht übersteigen (vgl Langfristgutachten der Pensionskommission 2010).

Die Pensionskommission empfahl die Anhebung des faktischen Pensionsalters und eine Reform der Invaliditätspensionen. Das Regierungsprogramm des Jahres 2013 ging über die Empfehlungen der Pensionskommission hinaus und legte eine Anhebung des faktischen Zugangsalters auf 60,1 Jahre als Zielvorgabe fest. Damit wurde die Reformserie 2010 prolongiert.

Die Einordnung der Reformserie 2010

Der Bewertung der Reformserie 2010 ist voranzustellen, dass mit der Einführung des Pensionskontos (unter Einbeziehung der BundesbeamtInnen) bereits im Jahr 2004 die wesentlichen Weichen für die langfristige Nachhaltigkeit des Pensionssystems gestellt wurden. Das war die große Reform! Mit der Reformserie 2010 hat die Bundesregierung akut auf die Wirtschaftskrise 2009 reagiert. Das Ausmaß der damit erreichten Einsparungen zeigt die Handlungsfähigkeit der Politik und der Sozialpartner und ist eine Absage an jede Form des Automatismus. Weder das kurzfristig ermöglichte Volumen der Ausgabendämpfungen noch die inhaltlichen Zielsetzungen (Rehab vor Pension, Beschäftigungsquoten, etc) oder die vorgenommene Lastenverteilung sind mit einem Automatismus denkbar.

Die mit der Reformserie 2010 erzielten Ausgabenreduktionen

Die aktuellen Gebarungsergebnisse untermauern, dass die Ziele nicht nur erreicht, sondern übertroffen wurden. Das zeigt nicht nur der Anstieg des Antrittsalters und der Beschäftigungsquoten, sondern belegen auch andere Indikatoren wie die Entwicklung der Bundesmittel in % des BIP, die mittelfristigen Budgetplanungen des Bundes und die Entwicklung des Pensionsstandes (Zahl der PensionsbezieherInnen).

Indikator Bundesmittel in % des BIP

In den Jahren 2016 und 2017 werden die Bundesmittel rund 2,8 % des BIP betragen. Diese Werte liegen deutlich (um 0,8 Prozentpunkte) unter jenen von der Pensionskommission (siehe z. B. Gutachten 2010 oder 2014) für diese Jahre prognostizierten 3,6 %. Bei einem BIP im Jahr 2016 von 350 Mrd. € sind 0,8 % stattliche 2,8 Mrd. € jährlich um die die Prognosen unterschritten werden. Das sind natürlich nicht 1:1 Einsparungen, aber mit 2,8 % des BIP an Bundesmitteln liegen wir ganz erheblich unter den Erwartungen. Entweder waren die Prognosen so schlecht oder die Reformen sind wirksamer als gedacht.

Indikator Bundesfinanzrahmen (BFR)

Bei der mittelfristigen Budgetplanung, dem sogenannten Bundesfinanzrahmen (BFR), ging der Finanzminister noch in den Jahren 2015 und 2016 von erheblich höheren Bundesmitteln aus als nach dem aktuellen Gutachten der Pensionskommission (PK) vom Herbst 2016 erwartet werden.

Entwicklung der Bundesmittel in Mrd € laut:

2016

2017

2018

2019

BFR 2016-2019 vom 29.05.2015, BGBl I 63/2015

11,37

12,00

12,67

13,32

BFR 2017-2020 vom 08.06.2016, BGBl I 34/2016

10,77

11,28

11,85

12,51

Gutachten Pensionskommission 2016

10,18

10,43

10,97

11,69

Quergerechnet für die Jahre 2016 bis 2019 ergibt sich eine Unterschreitung des Bundesfinanzrahmens um 6 Mrd. € bzw. um 3 Mrd. €. Aufgrund mittlerweile vorliegender Gebarungsergebnisse der Pensionsversicherung für 2016 und für das 1. Quartal 2017 und auch der besseren Wirtschaftsdaten werden diese Beträge noch um einige Hundert Millionen € höher liegen. Hier ist die Aussage, dass der Finanzminister für den Pensionsbereich um Milliarden mehr reserviert hat, als er braucht. Ein Teil davon sollte durch den Ausbau von Prävention, Rehabilitation und Wiedereingliederung an die von den Reformen betroffenen Menschen zurückfließen.

Differenz zwischen Gutachten PK und Bundesfinanzrahmen in Mrd €

Diff 2016 bis 2019

 2016201720182019

Vergleich Gutachten PK 2016 mit BFRG 2015

-1,19

-1,57

-1,70

-1,62

-6,08

Vergleich Gutachten PK 2016 mit BFRG 2016

-0,59

-0,85

-0,88

-0,82

-3,14

Indikator Anzahl der PensionsbezieherInnen

Die Reformserie 2010 hat – den Empfehlungen der Pensionskommission entsprechend – insb. darauf abgezielt, den Zugang in vorzeitige Alterspensionen und in Invaliditätspensionen einzudämmen. Insgesamt liegt die Zahl der Pensionsantritte um rund 94.000 unter dem prognostizierten Wert.

Entwicklung des Pensionsstandes (Zahl der PensionsbezieherInnen)

Vorzeitige APInvalidität
Annahme der Pensionskommission von Okt 2011 für 2016124.600228.190
tatsächlich im Jahr 201691.483167.041
Wirkung der Reformen-33.117-61.149

Eine Überschlagsrechnung zeigt, dass bei den vorzeitigen Alterspensionen damit jährlich rund 900 Mio. weniger an Ausgaben anfallen. Betroffen waren überwiegend Langzeitversicherte mit einer Durchschnittspension von brutto rund 2.000,- € pro Monat (2.000,- x 14 x 33.000).

Bei den um 60.000 geringeren Invaliditätspensionszugängen muss man differenzieren; rund 20.000 davon steht der Bezug eines Rehabilitationsgeldes gegenüber, das zwar von den Gebietskrankenkassen ausgezahlt, aber von der Pensionsversicherung ersetzt wird. Sieht man von den RehabgeldbezieherInnen ab, verbleiben rund 40.000 (61.000 minus 20.000) weniger IP-LeistungsbezieherInnen, die sich bei einer Durchschnittspension von 1.200,- € pro Monat in einem geringeren Aufwand von 700 Mio. € niederschlagen (1.200 x 14 x 40.000).

Die Reformserie 2010 hat zu schmerzhaften Einschnitten geführt

Völlig unabhängig von der Frage der RehabgeldbezieherInnen haben die Verschärfungen bei den vorzeitigen Alterspensionen und Invaliditätspensionen zu einer jährlichen Ausgabendämpfung von rund 1,6 Milliarden € geführt. Unstrittig haben auch die Anpassungen der Pensionen unter der Inflationsrate, die Aussetzung der Pensionsanpassung im ersten Jahr des Bezuges und die Aliquotierung der Sonderzahlungen die Pensionsausgaben gedämpft.

Demgegenüber stehen schmerzhafte Einschnitte für die Betroffenen. Sie sind zwar nicht in Pension, aber 20.000 Personen sind im Rehabgeldbezug und 40.000 sind krank und arbeitslos. Das bedeutet eine erhebliche Belastung des Arbeitsmarktes und große Herausforderungen in den Bereichen Prävention, Rehabilitation und Wiedereingliederung. Auch das Pensionsniveau wurde für viele zusätzlich zu den Kürzungen durch die Pensionsreform 2003 weiter abgesenkt. Wir brauchen keine große Pensionsreform mehr. Das ist die falsche Frage, die richtigen Fragen sind andere: Wann kommen die großen Investitionen in Prävention und Rehabilitation? Wann kommt ein wirksames Bonus-Malus-System zur Älterenbeschäftigung? Wie kann man im Pensionskonto die Aussichten für Teilzeitbeschäftigte und die Generation Praktikum verbessern?

Ach ja, und selbst das „8,7 Milliarden-Loch“, aus dem heraus 2013 der Ruf nach einer großen Pensionsreform erschallte, hat sich in Luft aufgelöst.