Rechtliche Grenzen für die Beschränkung der Mindestsicherung

11. April 2019

Die Mindestsicherung deckt den notwendigen Lebensunterhalt und Wohnbedarf, wenn eine Person trotz eigener Anstrengungen und Aufwendung aller verfügbaren Mittel selbst dazu nicht in der Lage ist. Sie ist damit das letzte soziale Auffangnetz in Österreich. Nun plant die Regierung die Einführung eines Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes, mit dem die Mindestsicherung von der sogenannten Sozialhilfe abgelöst werden soll. Dieses Gesetz wird viele Verschärfungen der Rechtslage bringen. Es ist der vorläufige Endpunkt einer Reihe von Beschränkungen, die mit der Flüchtlingsbewegung 2015 ihren Anfang nahm. Vordergründig wird das Ziel postuliert, Sozialleistungen für Fremde zu beschränken. Bei näherem Hinsehen werden die Maßnahmen aber auch massive Auswirkungen auf Inländer und Inländerinnen haben. Sichtbar wird das vor allem bei Kindern: Ab dem dritten Kind sollen künftig nur mehr 44 Euro pro Monat zustehen (Wert 2019) (näher dazu auch Pfeil).

Schranken für den Gesetzgeber?

Je massiver der Gesetzgeber Sozialleistungen kürzt, desto dringender stellt sich die Frage, ob er dabei beliebig vorgehen darf oder ob ihm das Recht Schranken setzt. Derartige Schranken gibt es tatsächlich. Sie ergeben sich zum einen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), zum anderen aus Gleichheitsgeboten und Diskriminierungsverboten des Verfassungs-, Unions- und Völkerrechts.

Mindestlebensstandards nach der EMRK

Artikel 3 EMRK verbietet Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Den Staat trifft danach in gewissen Fällen eine Pflicht, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Voraussetzung ist, dass eine Person auf staatliche Hilfe absolut angewiesen ist, ihre Grundbedürfnisse also weder aus eigener Anstrengung noch durch die Hilfe von dritter Seite decken kann. Ist das der Fall, ist der Staat verpflichtet, eine Unterkunft, Nahrung, Kleidung und ausreichende Hygienemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die EMRK garantiert damit gewisse Mindestlebensstandards. Sind Sozialleistungen so niedrig, dass sie nicht einmal die Grundbedürfnisse decken, wäre dies ein Verstoß gegen die EMRK.

Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote

Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote verhindern, dass die Gewährung sozialer Leistungen willkürlich erfolgt. Auch Leistungen, die über dem Niveau der EMRK liegen, dürfen nicht willkürlich ausgestaltet sein.

Verfassungsrechtlicher Gleichheitsgrundsatz

Eine wesentliche Schranke findet sich hier im verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Dem Gleichheitsgrundsatz zufolge müssen Menschen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, gleich, und Menschen, die sich in einer unterschiedlichen Lage befinden, unterschiedlich behandelt werden. Ein Beispiel: Ein Ehepaar, das zusammen in einer Wohnung lebt, kann sich die Betriebskosten teilen und hat dadurch geringere Ausgaben als zwei Alleinlebende. Daher ist es gerechtfertigt, Geldleistungen für Paare niedriger anzusetzen als Geldleistungen für Alleinlebende. Entscheidend ist immer der individuelle Bedarf.

Mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz hat der VfGH bereits einige Beschränkungen der Mindestsicherung wieder aufgehoben. So etwa eine Leistungsdeckelung mit 1.500 Euro pro Haushalt, ungeachtet der Anzahl der Familienmitglieder. Leistungen dürfen zwar grundsätzlich pauschaliert werden. Sie müssen es aber ermöglichen, den individuellen Bedarf jeder einzelnen hilfsbedürftigen Person zu berücksichtigen (vgl. z. B. VfGH 7.3.2018).

Vor diesem Hintergrund erscheint es bedenklich, dass die im geplanten Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vorgesehenen Leistungen Obergrenzen darstellen, also nicht an einen tatsächlich höheren Bedarf angepasst werden können. Besonders bei Kindern ist dabei massiv zu bezweifeln, dass deren Bedarf mit 44 Euro pro Monat gedeckt werden kann. Diese Regelungen sollten daher unbedingt noch einmal überdacht werden, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt.

Gleichbehandlung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern

Nicht nur das Verfassungsrecht normiert ein Gleichbehandlungsgebot. Für Unionsbürger und Unionsbürgerinnen, die in Österreich erwerbstätig sind oder sich hier seit zumindest fünf Jahren rechtmäßig aufhalten (Daueraufenthalt), gilt außerdem das Gleichbehandlungsgebot der Unionsbürger-Richtlinie: Sie müssen hinsichtlich Sozialleistungen gleich behandelt werden wie Inländerinnen und Inländer. Sie von Sozialleistungen auszuschließen oder ihnen niedrigere Leistungen zu gewähren wäre daher nicht erlaubt.

Gleichbehandlung von Asylberechtigten

Für Asylberechtigte bestimmt schon die Genfer Flüchtlingskonvention, dass sie im Bereich der Sozialhilfe wie Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft zu behandeln sind. Dasselbe regelt die Status-Richtlinie der EU. Die Gleichstellung gilt unabhängig davon, ob Asyl befristet oder unbefristet zuerkannt wurde (so der EuGH in der Rechtssache Ayubi). Nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierungen sind zudem verboten. Deshalb ist es bedenklich, Voraussetzungen vorzusehen, die Asylberechtigte wesentlich schwieriger erfüllen können als Inländerinnen und Inländer. Genau das sieht aber das geplante Sozialhilfe-Grundsatzgesetz vor, wenn es einen wesentlichen Teil der Sozialhilfe davon abhängig macht, dass jemand die deutsche Sprache auf B1-Niveau beherrscht. Inländerinnen und Inländer werden diese Voraussetzung jedenfalls erfüllen, Asylberechtigte in der Regel erst nach längerem Aufenthalt. Tritt diese Regelung in Kraft, würde sie wahrscheinlich gegen Unionsrecht verstoßen.

Gleichbehandlung von subsidiär Schutzberechtigten?

Bei subsidiär Schutzberechtigten schränkt das Unionsrecht die Gleichstellung mit Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen auf „Kernleistungen“ ein. Der VfGH geht deshalb davon aus, es sei ausreichend, subsidiär Schutzberechtigten anstelle der Mindestsicherung die – geringere – Grundversorgung zu gewähren. Es sprechen aber gute Gründe dafür, das anders zu sehen: Subsidiär Schutzberechtigte befinden sich in keiner anderen Lage als Asylberechtigte. Auch sie haben keine Möglichkeit, in ihren Heimatstaat zurückzukehren, da ansonsten ihr Leben gefährdet wäre oder sie grobe Menschenrechtsverletzungen befürchten müssten. Schon der Gleichheitsgrundsatz sollte es daher verbieten, sie schlechter zu behandeln als Asylberechtigte bzw. Inländerinnen und Inländer. Die geplante „Sozialhilfe neu“ sieht für subsidiär Schutzberechtigte aber lediglich Kernleistungen vor – noch ein Punkt, der gegen den Gesetzesentwurf bedenklich stimmt.

Fazit

Wie sich zeigt, kann der Gesetzgeber Leistungen wie die Mindestsicherung nicht beliebig beschränken. Er hat sich an eine Reihe rechtlicher Rahmenbedingungen zu halten. Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind und Gleichheitsgeboten und Diskriminierungsverboten nicht widersprechen. Sie dürfen Leistungen nicht auf ein Niveau senken, das ein menschenwürdiges Leben nicht mehr gewährleistet. Der Gesetzgeber hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum. Sowohl der VfGH als auch der EuGH haben ihm seine Schranken aber schon deutlich aufgezeigt. Trotz der Judikatur der Höchstgerichte tendiert jedoch der Entwurf für ein Sozialhilfe-Grundsatzgesetz dazu, die rechtlichen Grenzen zu überschreiten. Sollte das geplante Gesetz dennoch in Kraft treten, wird es an den Höchstgerichten liegen, ihre Kontrollkompetenz erneut gewissenhaft wahrzunehmen.

 

Der Beitrag basiert auf einem Aufsatz der Autorin in FABL (Fremden- und asylrechtliche Blätter) 2018, 11.