Arbeitslos, alleinerziehend, ein schlecht bezahlter Job oder neu zugewandert: Diese vier Merkmale treffen am häufigsten auf Menschen mit Bedarfsorientierter Mindestsicherung (BMS) zu. Die öffentliche Debatte hat jedoch meist nur einen Fokus: Weniger Geld für Flüchtlinge. Eine Scheindebatte, denn letztendlich werden von den Sozialkürzungen vor allem Kinder und Menschen ohne Pflichtschulabschluss betroffen sein. Mit der Mindestsicherung Neu verschärft die Regierung das Armutsrisiko und verfestigt die Dauer des BMS-Bezugs.
Der Weg in die Mindestsicherung Die Bundesregierung plant die Vereinheitlichung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Gleiche Kriterien für alle Bundesländer, Kürzungen bei MigrantInnen und vor allem weniger Geld für Kinder und Familien. Diese Punkte wurden und werden medial heftig debattiert, klammern jedoch eine zentrale Frage aus: Welche Menschen benötigen überhaupt den Schutz der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS)?
Einen ersten Überblick vermittelt die Einteilung der BMS-BezieherInnen nach Altersgruppen: Kinder bis 18, Menschen im Erwerbsalter (19–60/65) sowie Personen im Regelpensionsalter.
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Hier zeigen sich bereits zwei Besonderheiten: Mehr als ein Viertel der Mindestsicherungs-BezieherInnen sind Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sowie fast 19.000 Menschen über 60/65, die über keine eigene Pension verfügen und daher dauerhaft auf Leistungen aus der BMS angewiesen sind. Beide Gruppen stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und können ihre Lage aus eigener Kraft auch nicht verändern.
Die Gründe, warum Menschen die Mindestsicherung brauchen, sind vielfältig: Neben den VollbezieherInnen (BMS-Leistungen als alleinige Einkommensquelle) weisen mehr als 115.000 Personen derart niedrige Einkünfte aus, dass sie auf Ergänzungszahlungen aus der BMS angewiesen sind.
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Abschaffung der Notstandshilfe: Endstation Mindestsicherung AufstockerInnen sind jene Menschen, deren Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe unter den Richtsätzen der Mindestsicherung liegt und daher eine Aufzahlung im Rahmen der BMS erhalten: Bundesweit sind das circa 863 Euro für alleinstehende bzw. alleinerziehende Personen pro Monat (Anmerkung: Höhe variiert je nach Bundesland, z. B. in Oberösterreich). Hier wird deutlich: Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung dient vielfach als Ergänzung zu anderen Sozialleistungen. Mit einer Netto-Ersatzrate von 55 Prozent liegt Österreich beim Arbeitslosengeld europaweit im unteren Mittelfeld . Niedrige Löhne und die Verbreitung atypischer Erwerbsarbeit resultieren in niedrigen AMS-Leistungen und machen ergänzende Leistungen aus der Mindestsicherung erst notwendig. Wenig Beachtung findet auch die Gruppe der Working Poor : Menschen, die trotz Erwerbsarbeit die Mindestsicherung benötigen. In Österreich betrifft das immerhin knapp 15.000 Personen. Einen detaillierten Einblick in die Lebensbedingungen von Working-Poor-Personen bietet die IHS-Studie zum Thema Working Poor in Tirol . Diese beiden Beispiele unterstreichen die Bedeutung eines gut ausgebauten Sozialstaates: Die Anzahl der BMS-BezieherInnen wird wesentlich von den vorgelagerten sozialen Sicherungsnetzen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) und dem Arbeitsmarkt (Lohnentwicklung, atypische Beschäftigungsformen) beeinflusst. Sind diese gut ausgebaut, benötigen auch weniger Menschen Leistungen aus der Mindestsicherung. Wird das Arbeitslosengeld gekürzt oder die Notstandshilfe abgeschafft, werden mehr Menschen in die Mindestsicherung getrieben oder gänzlich aus dem sozialen Sicherungsnetz fallen.
Mindestsicherung Neu: kürzen statt Reform Die oben angeführten Grafiken machen deutlich: Wer die Mindestsicherung reformieren will, muss auch andere Sozialleistungen armutsfest machen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Höhe der AMS-Leistungen: Wer Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezieht, soll zumindest 863,- Euro im Monat erhalten, damit keine ergänzenden Leistungen aus der Mindestsicherung notwendig sind.
Der vorliegende Ministerratsvortrag verfolgt jedoch eine andere Stoßrichtung: Die geplante Vereinheitlichung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung mittels Grundsatzgesetz sieht für eine Mehrzahl der Betroffenen deutliche, teils massive Leistungseinschränkungen vor. Davon betroffen sind Mehrpersonenhaushalte mit und ohne minderjährigen Kindern, subsidiär Schutzberechtigte, anerkannte Flüchtlinge sowie Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft.
Anstatt Kinderarmut zu bekämpfen, werden die Richtsätze für Kinder deutlich gekürzt. Wird die Mindestsicherung für Familien, wie von der Regierung vorgeschlagen, gekürzt, betrifft das in Österreich mehr als 62.000 und allein in Oberösterreich circa 5.100 Kinder. In der Konsequenz wird die Kinderarmut steigen, was weitreichende Folgen für die Betroffenen, aber auch für die gesamte Gesellschaft hat. Besonders prekär ist die Lage für Kinder dann, wenn beide Elternteile nicht erwerbstätig und von verfestigter Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat für diese soziale Herausforderung einen Aktionsplan verfasst, der direkt an die oben erwähnte Zielgruppe gerichtet ist: Kein Kind soll in einer Familie aufwachsen, in der kein Elternteil erwerbstätig und deshalb dauerhaft auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist.
Der Arbeitsqualifizierungsbonus in Höhe von 300,- Euro wird nur dann ausgezahlt, wenn ausreichende Deutsch- oder Englischkenntnisse (mind. Referenzlevel B1 bzw. C1) oder ein Pflichtschulabschluss nachweislich vorliegen. Diese Regelung wirkt sich daher nicht nur auf MigrantInnen, sondern auch auf 17.000 BMS-BezieherInnen ohne Pflichtschulabschluss in Österreich aus. Besonders hart trifft es subsidiär Schutzberechtigte, Asylberechtigte, EWR- und Drittstaatsangehörige. Bisher hatten subsidiär Schutzberechtigte in vier von neun Bundesländern (Wien, Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg) Anspruch auf die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Oberösterreich gewährte ab Juli 2016 eine wesentlich geringere Leistungshöhe im Rahmen der sogenannten „Mindestsicherung light“. Künftig sollen subsidiär Schutzberechtigte österreichweit keinen Anspruch mehr auf Mindestsicherung erhalten. EWR- und Drittstaatsangehörigen wird in den ersten fünf Jahren des Aufenthalts laut Ministerratsvortrag der Zugang zur Mindestsicherung gänzlich verwehrt. Schon bisher galten strenge Regelungen: EWR-BürgerInnen müssen sich selbst erhalten können oder über den Status als ArbeitnehmerIn verfügen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann nach drei Monaten ein Ausweisungsverfahren eingeleitet werden. Der Bezug der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für diese Personen ist daher aufenthaltsrechtlich schädlich, sie riskieren eine fremdenpolizeiliche Ausweisung. Künftig wird diesen Menschen auch die Möglichkeit genommen , bei geringem Arbeitslosengeld oder niedrigem Einkommen mittels Mindestsicherung „aufzustocken“ – trotz Beitragsleistungen in die Arbeitslosenversicherung oder Erwerbseinkommen.
Fazit Die vorliegenden Pläne der Bundesregierung machen deutlich: Unter dem Deckmantel der Leistungskürzungen für Flüchtlinge wird die Bedarfsorientierte Mindestsicherung für die sozial schwächsten Menschen reduziert: Mehrpersonenhaushalte, Menschen ohne Pflichtschulabschluss sowie EWR- und Drittstaatsangehörige. Anstatt einen genauen Blick auf die Zahlen zu werfen und den Menschen dauerhaft aus der Mindestsicherung zu helfen, wird auf Bestrafung und weniger Geld gesetzt. Damit verschärft die Regierung das Armutsrisiko und verfestigt die Dauer des BMS-Bezugs.
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