Neue Mindestsicherung verschärft Frauenarmut

11. Februar 2019

Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf zur Umgestaltung der Mindestsicherung vorgelegt. Doch schon die Umbenennung zeigt, dass der Rückschritt regiert: Sozialhilfe statt Mindestsicherung wird jenes Recht nunmehr wieder heißen, das vor dem sozialen Sturz ins Bodenlose schützen soll. Über 140 Stellungnahmen zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetzesentwurf sind eingegangen, fast alle waren negativ oder zumindest kritisch. Gerade für Frauen und Kinder, aber auch viele andere Gruppen wie etwa Menschen mit Behinderung bringt das neue Gesetz gravierende Verschlechterungen. Die neue Sozialhilfe stellt vor allem eines sicher: dass diese Menschen arm bleiben.

Öffentliche Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Jurist*innen haben ihre Bedenken zum Gesetzesentwurf ausgedrückt. Besonders die Auswirkungen auf Kinder und deren Familien, Menschen mit Behinderung, subsidiär Schutzberechtigte, wohnungslose Menschen, Alleinerziehende, Haftentlassene oder pflegende Angehörige wurden beschrieben, analysiert, berechnet. Wie die Bundesregierung mit diesem großen Expert*innenwissen nun umgeht, bleibt abzuwarten.

Auswirkungen auf Frauen bisher kaum debattiert

Die Arbeitsgruppe Frauen und Armut im Rahmen der Armutskonferenz hat nochmals speziell die Auswirkungen auf Frauen analysiert – eine Sichtweise, die im Moment weder in den Medien noch in der öffentlichen oder politischen Diskussion stark vertreten ist. Und das ist ebenso erstaunlich wie fragwürdig. Denn viele der im Gesetzesentwurf vorgestellten Maßnahmen, Kürzungen und Ausschlüssen werden Frauen besonders hart treffen.

Verlässliches Netz der Mindestsicherung für Frauen fehlt

Viele Bezieher*innen der Mindestsicherung sind Frauen. Sie haben Betreuungspflichten für minderjährige Kinder, pflegen ihre älteren Angehörigen oder jene mit Behinderung(en) oder stocken ihre zu geringen Einkommen oder Pensionen auf.

Mehr Frauen als Männer sind auf Leistungen der Mindestsicherung angewiesen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass unser Sozialsystem geschlechtsspezifische „Lücken“ aufweist: Frauen verdienen weniger, wenn sie einer Lohnarbeit nachgehen, haben durch Leistungen bei Kinderbetreuung und Pflege kürzere Versicherungszeiten – und daher zumeist geringere Leistungshöhen bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe oder bei Pensionen.

Die Gesetzesvorlage zur Sozialhilfe sieht jedoch keine Mindeststandards bei der Leistungshöhe mehr vor, sondern stattdessen Höchstsätze für Einzelpersonen und Bedarfsgemeinschaften. Das bedeutet: Nach unten gibt es kein verlässliches soziales Netz mehr. Auch Rechtsansprüche sind nicht explizit verankert.

Verschlechterungen für Alleinerziehende und Kinder

Die Situation für Frauen verschlechtert sich durch die „Reform“ der Mindestsicherung massiv. Wenn Frauen, die Sozialhilfe beziehen, Kinder haben, werden sie gemäß dem neuen Gesetzesentwurf für das dritte und jedes weitere Kind nur noch 1,50 Euro pro Tag bekommen. Alltägliche Ausgaben für die Kinder werden damit unleistbar.

Zusätzliche Unterstützungsleistungen beispielsweise für Alleinerzieher*innen sind „Kann-Leistungen“. Das bedeutet, die Länder können diese in ihren Ausführungsgesetzen vorsehen – oder eben nicht. Einen Rechtsanspruch auf den Bonus haben die Betroffenen nicht. Berechnungen zu den einzelnen Bundesländern haben ergeben, dass auch Alleinerzieher*innen wahrscheinlich verlieren werden, da gleichzeitig die Kinderrichtsätze gekürzt und der Zugang zu weiteren (länderspezifischen) Wohnbeihilfen verschlossen werden sollen. Mindestens einem Drittel der Kinder von Alleinerzieher*innen wird dieser sogenannte Bonus nicht mehr Geld bringen, da er sich durch Kürzungen der Kinderrichtsätze wieder aufhebt.

Die Deckelung bei Haushaltsgemeinschaften liegt im Gesetzesentwurf bei maximal 175 Prozent für alle Bewohner*innen zusammen. Erst wenn zumindest 9 (!) erwachsene Personen zusammenleben, gibt es ein bisschen mehr Geld. Alleinerzieher*innen in Wohngemeinschaften wären davon ebenso betroffen wie Frauen in therapeutischen Wohngemeinschaften oder Frauen, die aufgrund von erlebter Gewalt in Wohngemeinschaften ziehen müssen. All diese Gruppen wären von massiven finanziellen Einbußen betroffen, viele Wohngemeinschaften müssten voraussichtlich aufgelöst werden. Für die Betroffenen besteht die akute Gefahr, direkt in die Obdachlosigkeit geschickt zu werden.

Malus fürs Arbeiten

Der sogenannte „Arbeitsqualifizierungsbonus“ ist eigentlich ein Malus-System. Es wird nämlich kein Bonus für ein Bemühen vergeben, sondern es droht eine willkürliche und überzogene (mindestens 35 Prozent oder 300 Euro) Leistungskürzung die Lebensgrundlage.

Dabei gilt natürlich der Grundsatz, dass die eigene Arbeitskraft in jedem Fall eingesetzt werden muss.

Die Ausnahmen von diesem Grundprinzip sind streng geregelt: So müssen pflegebedürftige Angehörige ein Pflegegeld mindestens der Stufe 3 beziehen und seit mindestens zehn Monaten im Haushalt leben. Diese Situation trifft verstärkt auf Frauen zu, da sie die Hauptpflegepersonen sind. Aber anstatt sie durch entsprechende soziale Dienstleistungen wie etwa mobile Dienste zu unterstützen und ihnen so den Weg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, werden sie mit einer geringen Geldleistung in der Situation allein gelassen.

Eine Vermittelbarkeit in den Arbeitsmarkt wird mit spezifischen Sprachkenntnissen gleichgesetzt (Deutsch auf Sprachniveau B1 oder Englisch auf Sprachniveau C1). Gerade für geflüchtete Frauen stellt dies eine zusätzliche Hürde für die Integration dar. In vielen Familien mit Migrationshintergrund liegt der Fokus auf der Erwerbstätigkeit des Mannes, wo der Anreiz und auch die Möglichkeit für den Spracherwerb eher gegeben ist. Umso wichtiger wäre es, die Frauen beim Deutschlernen zu unterstützen und auf eine Arbeitsmarktintegration hinzuwirken und sie nicht mit Leistungskürzungen zu bestrafen.

Personen, deren Schutz international anerkannt wurde (subsidiär Schutzberechtigte) und solche, die zu bedingten Haftstrafen verurteilt wurden, sollen von Leistungen der Sozialhilfe gänzlich ausgeschlossen werden. Ihnen droht ein Abstürzen auf das Leistungsniveau der aktuellen Grundversorgung, also rund 360 Euro pro Monat inklusive Wohnen.

Mit sozialen Rechten gegen Frauenarmut

Was zur Gänze fehlt, ist eine Gender-Analyse der möglichen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs von öffentlicher Seite. Als Arbeitsgruppe Frauen und Armut fordern wir daher eine solche vehement ein. Auf Basis unseres Wissens und unserer Erfahrung aus der Arbeit mit von Armut betroffenen Frauen sehen wir in den vorgeschlagenen Maßnahmen keine geeigneten Instrumente zur Bekämpfung von Frauenarmut. Ganz im Gegenteil: Vor dem Hintergrund eines immer noch beschämend großen Lohnunterschieds zwischen Frauen und Männern, des Rückbaus von Sprachförderungen, von Beratungseinrichtungen und kostenfreier Kinderbetreuung befürchten wir eine Verschärfung von Frauenarmut. Die Sozialhilfe als unterstes soziales Netz muss gestärkt und ausgebaut, nicht geschwächt und abgebaut werden.

Wir fordern daher bundesweit einheitliche Mindeststandards auf existenzsicherndem Niveau mit Rechtsanspruch, um ein aktives Zeichen gegen Frauenarmut und für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen zu setzen!

 

Manuela Wade für die AG Frauen und Armut im Rahmen der Österreichischen Armutskonferenz