Am 14. August 2018 stürzte die Morandi-Autobahnbrücke bei Genua ein. 43 Menschen starben. Schnell hat sich ein Streit über Ursachen und Versäumnisse entsponnen, die zu dieser Katastrophe geführt hatten. Wurde alles getan, um die Sicherheit zu gewährleisten? Die öffentliche Debatte über eine mögliche Verstaatlichung bzw. eine Überprüfung der Konzession wurde relativ schnell beendet. Dabei ist es sehr wohl im Interesse der BürgerInnen, wie das Geschäftsgebaren eines Unternehmens einzuschätzen ist, das für einen immer größeren Teil der öffentlichen Infrastruktur die Verantwortung trägt. Das Unglück von Genua führt hoffentlich zu einem Wendepunkt bei der Privatisierung von Finanzierung, Bau und Betrieb öffentlicher Infrastruktur.
Die 1967 eingeweihte Spannbetonbrücke von Genua galt als Meisterwerk der Architektur des 20. Jahrhunderts. Über sie wurde der gesamte Verkehr aus dem Westen Liguriens nach Genua geleitet. Aber das Bauwerk war nicht auf die heutige Verkehrsdichte und den Schwerlastverkehr ausgelegt. Zuletzt war die Sicherheit der Brücke umstritten. Schon vor zwei Jahren wurde die Nutzungsdauer des Bauwerks angesichts von Rissbildung und Degradierung des Betons hinterfragt. Es wurden Korrosion und andere Schäden genau an der Stelle festgestellt, an der die Brücke am 14. August einstürzte. Weder der Brückenbetreiber noch das italienische Verkehrsministerium sollen eine grundlegende Sanierung für notwendig erachtet haben.
Profite auf Kosten der Substanz
Der Vorwurf gegen den Betreiber Atlantia lautet, massiv bei der Erhaltung gespart zu haben. Gleichzeitig wurden von 2012 bis 2016 insgesamt 6,3 Mrd. Euro Gewinn erzielt. Die AktionärInnen kassierten im gleichen Zeitraum Dividenden in der Höhe von 1,5 Mrd. Euro. Atlantia bestreitet, das Bauwerk unzureichend überwacht zu haben. Man habe die Brücke vierteljährlich kontrolliert, dabei modernste Technologie genutzt und externe ExpertInnen hinzugezogen. Das Ergebnis dieser Kontrollen sei die Grundlage für das Wartungsprogramm gewesen, das die Regierung abgesegnet habe.
Die Bilanz bietet Angriffsflächen: 2017 betrug der Umsatz von Atlantia fast sechs Milliarden Euro, davon kamen 4,2 Mrd. Euro aus Autobahngebühren. Der operative Gewinn lag bei 2,6 Mrd. Euro oder 43 Prozent des Umsatzes. Als Nettogewinn wurden 200 Mio. Euro mehr ausgewiesen als im Jahr zuvor. Die „operativen Investitionen“ sind hingegen 2017 um rund 400 Mio. Euro auf 1,05 Mrd. Euro geschrumpft. Kein Wunder, lag der Fokus der Unternehmenspolitik von Atlantia doch vielmehr auf der Übernahme des spanischen Autobahnbetreibers Abertis, um so den größten Mautkonzern der Welt zu schmieden. Das verfügbare Kapital wurde im März 2018 für die Mehrheit der Anteile an Abertis eingesetzt. Die Übernahme war auch deshalb möglich, weil mehrere Mautautobahnen in Spanien in den letzten Jahren in die Insolvenz geschlittert waren.
Rückblick: Die Privatisierung der Autobahngesellschaft Autostrade wurde 1999 durch die Prodi-Regierung beschlossen. Der Staat blieb zwar Eigentümer des Autobahnnetzes, Verwaltung und Erhalt wurden jedoch an die Atlantia (vormals Autostrade per l’Italia, kontrolliert von der Bekleidungsdynastie Benetton) ausgelagert. Atlantia hält u. a. Autobahnen in Brasilien, Indien, Chile und Polen und verdient mit Autobahnraststätten. Der Expansionskurs wird vor allem aus steigenden Mauteinnahmen finanziert. So traten zu Beginn 2018 wieder empfindliche Mauterhöhungen in Kraft, besonders kräftig fielen sie bei dem Betreiber RAV S. p. A. (A5 zwischen Aosta und dem Mont Blanc) mit 52,69 Prozent aus.
Privatmonopol ohne Pflichtenprüfung
2008 wurden den Autobahnkonzessionären von der Koalition Forza Italia/Lega neue Spielräume bei der Erhöhung der Mautgebühren eingeräumt, ohne dass sie – wie davor vorgesehen – nachweisen mussten, welchen Anteil davon sie in Erhalt und Verbesserung der Infrastruktur steckten. Der Staat verzichtete also weitgehend darauf, Einfluss auf die Mauthöhe und die Qualitätskontrolle zu nehmen. Das öffentliche Monopol wurde so in ein privates Monopol umgewandelt. Der Verkehr nahm zu, die Mauteinnahmen sprudelten, doch die Investitionen sind laut Medienberichten zwischen 2008 und 2015 um 20 Prozent gesunken. Trotzdem wurde 2015 ein Gesetz verabschiedet, das die Konzession ohne erneute Ausschreibung bis 2038 verlängerte.
Sollte die Konzession – wie von der italienischen Regierung beabsichtigt – wegen nicht eingehaltener Verpflichtungen entzogen werden, müssten Atlantia dafür schwerwiegende Versäumnisse nachgewiesen werden. Für SteuerzahlerInnen könnte die Auflösung des Vertrags sehr teuer werden. Der Staat müsste das Unternehmen nach Schätzung von BranchenexpertInnen mit 15 bis 20 Mrd. Euro entschädigen. War die erste Reaktion des italienischen Vizepremierministers di Maio (Cinque Stelle bzw. „5-Sterne-Partei“) „Wir müssen aus der Logik des reinen Profits herauskommen, wir werden Mautgebühren senken“, ist mit der Ablehnung der Idee der Verstaatlichung durch Vizepremier Salvini (Lega Nord) die Idee vom Tisch.
Die italienische Regierung lehnt den Vorschlag Atlantias ab, mit 500 Mio. Euro in acht Monaten eine neue Brücke zu errichten. Stattdessen sollen das staatlich kontrollierte Schiffsbauunternehmen Fincantieri und die staatliche Bank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) mit dem Bau einer neuen Brücke beauftragt werden – auf Kosten Atlantias. Zukünftig soll Deutschlands Modell der Verkehrsinfrastrukturentwicklung als Vorbild gelten.
Deutschland als (schlechtes) Vorbild
Aber auch in Deutschland gibt es regelmäßig Anzeichen dafür, dass sich die Politik zu stark an den Interessen von Unternehmen, Banken und BeraterInnen orientiert. Trotz unzähliger Berichte der Landesrechnungshöfe, des Bundesrechnungshofes und zuletzt des Europäischen Rechnungshofes setzt das CSU-geführte Verkehrsministerium unbeirrt auf Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP). Daran konnte auch die Klage der A1 mobil GmbH, Betreiberin der einstigen Vorzeige-ÖPP A1 Bremen-Hamburg, nichts ändern. Sie hatte den Bund wegen Unwirtschaftlichkeit des Projektes auf 778 Millionen Euro Nachzahlung, u. a. für Einnahmeausfälle durch die Finanzkrise, verklagt. Ein rechtsgültiges Urteil gibt es noch nicht, aber was hieße das für eine Politik der Verkehrsverlagerung von Gütertransporten auf Wasser- und Schienenwege, wie im Koalitionsvertrag vereinbart? Würde eine klimafreundlichere Verkehrspolitik für Straßen-ÖPP die Option eröffnen, auf Schadenersatz wegen sinkender Mauteinnahmen zu klagen?
Ein weiteres Beispiel ist das in Deutschland von CSU und CDU geplante Vorhaben, Infrastrukturprojekte in einer großen, zentralen Straßenbaugesellschaft zusammenzufassen und über ÖPP teilzuprivatisieren. Der DGB hat sich in der Debatte über die sogenannte „Bundesfernstraßengesellschaft“ für mehrere Privatisierungsbremsen eingesetzt. So soll sichergestellt werden, dass der staatliche Einfluss auf die Entwicklung der öffentlichen Infrastruktur erhalten bleibt. Beispiel dafür ist die Begrenzung von ÖPP-Autobahnen auf maximal 100 Kilometer, um zu verhindern, dass zentrale Teile des Streckennetzes privatisiert werden. Anscheinend will Verkehrsminister Scheuer nun aber – trotz gegenteiliger Empfehlung des Rechnungshofes – ein Projekt genehmigen, mit dem diese Regel gebrochen wird.
Fünf Milliarden Euro Schaden und nichts gelernt
Als wesentliches Argument für ÖPP wird stets die Wirtschaftlichkeit ins Treffen geführt. Gutachten, die dies angeblich nachweisen würden, bleiben jedoch meist Verschlusssache und werden nicht veröffentlicht. Aktuelles Beispiel hierfür ist die Weigerung des Verkehrsministeriums, anlässlich des Vergabeverfahrens zum Lkw-Mautbetrieb nachzuweisen, dass ein privater Mautbetrieb überhaupt wirtschaftlicher ist als einer in staatlicher Eigenregie. Als Begründung dafür wurde angegeben: Die Veröffentlichung könnte den Bieterwettbewerb in unfairer Weise beeinflussen und den Bund damit benachteiligen. Dabei gibt der bisherige, von Toll Collect durchgeführte Betrieb genug Anlass, eine Vergabe an Private infrage zu stellen. Das Mautsystem wurde mit 16-monatiger Verspätung gestartet. 14 Jahre dauerte der von Toll Collect begonnene Rechtsstreit vor einem geheimen, privaten Schiedsgericht, mit Streitwerten in Milliardenhöhe. Am Ende standen falsche Abrechnungen in dreistelliger Millionenhöhe und schließlich der Verzicht des Bundes auf Forderungen in der Höhe von über fünf Milliarden Euro. Dennoch: Noch in diesem Jahr soll ein neuer privater Betreiber den Zuschlag bekommen – z. B. T-Systems oder Atlantia.
Daseinsvorsorge unverträglich mit ÖPP
Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) sind im Bereich der Daseinsvorsorge grundsätzlich abzulehnen. Sie sind für die Allgemeinheit teurer, intransparent und stellen über ihre – in der Regel jahrzehntelange – Bindung eine schleichende Kapitalprivatisierung öffentlicher Infrastruktur dar. In jedem Fall muss eine Projektvergabe an ÖPP vorab einer externen Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden. Dabei ist nachzuweisen, dass ÖPP auf Basis standardisierter Verträge und Offenlegungspflichten sowie vergleichbarer Voraussetzungen im Haushalts- und Steuerrecht wirtschaftlich nicht nachteilig im Vergleich zu herkömmlichen Beschaffungswegen ist. Die öffentliche Hand hat zudem Kontrollpflichten. Bei ÖPP müssen von der Bauausführung bis zum Betrieb tarifliche und soziale Standards eingehalten werden. Dies gilt auch für die Untervergabe von Aufträgen. Wie immer die komplexen Vertragswerke gestaltet sein mögen: Bei Infrastrukturprojekten, wie Straßen, Schienen, Brücken, Flughäfen, Krankenhäusern, Gefängnissen etc., ist der Privatinvestor bisher immer risikofrei gestellt. Denn für den Verlustausgleich haften die SteuerzahlerInnen und bei Konkurs sind sie in Geiselhaft. Der zumeist noch garantierte Gewinn aber geht an das Privatunternehmen und seine EigentümerInnen – ein Geschäftsmodell also ohne Risiko für den Privatinvestor.