Die Globalisierung hat viele Gesichter: Sie ist Instrument des internationalen Handels, aber auch Motor für Ungleichheit und Steuervermeidungspraktiken. Darüber hinaus sorgt sie für Wettbewerbsdruck bei den Arbeitsbedingungen und für den Produktionsstandort. Nicht zuletzt ist sie eine Herausforderung für die Demokratie. Am A&W Blog sind bereits eine Reihe von Beiträgen zum Thema erschienen. Eine kommentierte Auswahl.
Trump, Populismus & Globalisierung
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat die Debatte über die Auswirkungen einer marktgetriebenen Globalisierung weiter angeheizt. Die Aufkündigung und Neuverhandlung des Handelsabkommens zwischen den USA, Mexiko und Kanada (NAFTA) und die Zolldrohungen sowie -erhöhungen in Richtung Europa und China sind nur einige Beispiele geopolitischer Verschiebungen in der Weltwirtschaft. Auch am A&W Blog wurden die Konsequenzen diskutiert.
Werner Raza, Ökonom und Leiter der ÖFSE, beleuchtet in seinem Beitrag anhand Dani Rodriks „Trilemma der Weltwirtschaft“, dass es eine Verkürzung wäre, Trumps populistische Politik als Protektionismus zu bezeichnen. Vielmehr zeige sich, dass der Rechtspopulismus in den USA (sowie in der EU) strategisch eine zunehmend autoritäre Kombination aus Nationalstaat und Globalisierung aufweist. Es wäre daher fehlgeleitet, im Sinne einer antipopulistischen Politik die (neoliberale) Globalisierung zu verteidigen.
Auch Dierk Hirschel warnt, dass die Antwort progressiver Kräfte auf Trump und Brexit nicht in der Verteidigung der neoliberalen Globalisierung bestehen darf. Gerade diese habe zu steigender Ungleichheit geführt und den Neuen Rechten zum Aufstieg verholfen.
Eine Analyse, die die beiden AK-ReferentInnen Miriam Rehm und Oliver Gruber im Hinblick auf Trumps Wahlerfolg teilen. Sie zeichnen in ihrem Beitrag „Milanovics Elefant“ nach und zeigen, dass nicht alle im gleichen Maße von der Globalisierung profitiert haben. In Hocheinkommensländern waren es vor allem die ganz Reichen, deren Einkommen deutlich zugenommen haben. Für die allerärmsten Einkommensgruppen der Welt, die vor allem in Afrika leben, aber auch für die untere Mittelschicht im Westen gab es hingegen nur sehr geringe Verbesserungen in ihrem materiellen Wohlstand. Das hat nicht zuletzt auch Trumps Aufstieg begünstigt.
Die Ökonomen Kapeller und Schütz diskutieren in ihrem Beitrag ebenfalls die Entwicklung der globalen Einkommensverteilung. Diese ist nicht zuletzt Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen, die sich in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft zugunsten internationaler Konzerne verschoben haben.
Globalisierung & internationaler Handel
Handelsabkommen stellen eine konkrete vertragliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Ländern dar, mit der der Austausch von Waren und Dienstleistungen in der globalisierten Wirtschaft gestaltet wird. Mit sogenannten Abkommen neuer Generation, die neben der allgemeinen Reduktion von Zöllen auch den Abbau sogenannter nicht tarifärer Handelshemmnisse sowie Investitionsschutz umfassen, ist die Handelspolitik der EU zunehmend in Kritik geraten. Von den Risiken der Regulierungskooperation über die Verankerung von Arbeits- und Umweltstandards, dem Investitionsschutz bis hin zu einzelnen Handels- und Investitionsabkommen der EU – all das wird am Blog diskutiert.
Während traditionelle Handelsabkommen vor allem auf den Abbau von Zöllen abzielten, geraten nun auch jene Regulierungen und Standards, die potenziell einen negativen Effekt auf den Handel haben könnten, in den Blick. Dabei unterscheide sich die Wirkung von Zollsenkungen von der Reduktion nicht tarifärer Handelshemmnisse fundamental, wie Bernhard Tröster in seinem Beitrag argumentiert.
Der Investitionsschutz ist ein weiterer Punkt, der in den Abkommen neuer Generation aufscheint. Problematisch ist dieser vor allem deswegen, da durch Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) letztlich Instanzen geschaffen werden, die parallel zur nationalen Gerichtsbarkeit privilegierte Konzernrechte gegen Staaten durchsetzen. Besonders im Hinblick auf öffentliche Dienstleistungen kann dies zum Problem werden, wie Elisabeth Beer in einem Beitrag beleuchtet.
Im Hinblick auf das Handels- und Investitionsschutzabkommen zwischen Kanada und der EU (CETA) stellt AK-Referentin Éva Dessewffy u. a. dar, wie mit CETA sensible Standards ohne demokratische Einbindung der Parlamente durch intransparente Gremien gegenseitig anerkannt oder harmonisiert werden können. CETA wird mittlerweile vorläufig angewendet, auch wenn noch eine wichtige Entscheidung des EuGH zum Investitionsschutz im Abkommen aussteht, wie Sarah Bruckner erläutert. Mögliche Auswirkungen des Investitionsschutzes in CETA stellt Elisabeth Beer in ihrem Beitrag dar.
Ein Abkommen, von dem gerade wieder vermehrt die Rede ist, ist TTIP, das Abkommen der EU mit den USA. Offiziell sind die Verhandlungen zwischen den USA und der EU über TTIP seit Trumps Amtsantritt gestoppt. Die Drohkulisse, die Trump jedoch mit seinen Zöllen aufgebaut hat, hat jüngst dazu geführt, dass die Europäische Kommission zwei neue Verhandlungsmandate für neue Handelsverhandlungen mit den USA vorgelegt hat. Währenddessen ist das alte TTIP-Mandat jedoch seitens des Rats noch nicht außer Kraft gesetzt. Die umfassende Agenda von TTIP könnte also zukünftig doch wieder schlagend werden. Wieso TTIP so stark in der Kritik stand, lässt sich u. a. hier und hier nachlesen.
Joachim Thaler zeigt in seinem Beitrag die Probleme des Handelsabkommens der EU mit Japan auf, das Anfang Februar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Zuletzt hat Oliver Prausmüller am Blog die Chancen für eine Wiederaufnahme der derzeit offiziell pausierten Verhandlungen über das plurilaterale Dienstleistungsabkommen TiSA diskutiert.
Was die neoklassische Volkswirtschaftslehre mit dem Glauben, dass Wohlfahrtszuwachs vor allem mit Handelssteigerung einhergeht, zu tun hat sowie welche Verteilungswirkungen und Wachstumseffekte vom sogenannten „Freihandel“ zu erwarten sind, diskutiert Patrick Mokre am Blog.
Antworten auf die Kritik?
Angesichts dieser regelmäßig vorgebrachten Kritik an der EU-Handelspolitik sah sich auch die Europäische Kommission zumindest in ihrer Rhetorik gezwungen, kleinere Korrekturen vorzunehmen. Umfassend auf die Punkte der KritikerInnen einzugehen, scheint die Kommission jedoch nicht, wie mehrere Beiträge am A&W Blog aufzeigen.
So zeigt sich die Kommission in ihrem Reflexionspapier von 2017 erstmals kritisch gegenüber den Verteilungswirkungen der Globalisierung. Trotzdem führt die späte Einsicht nicht zu einem dringend notwendigen Kurswechsel in der EU-Handelspolitik, wie AK-Referentin Éva Dessewffy in ihrer Analyse des Reflexionspapiers aufzeigt. Stattdessen werden weiterhin Exportsteigerung, Marktöffnung und Deregulierung forciert sowie übertriebene Wachstums- und Beschäftigungssteigerungen kommuniziert.
Auch im Hinblick auf die Verankerung von Arbeits- und Umweltstandards kommt Éva Dessewffy zu einem ähnlichen Ergebnis. In ihrem Beitrag diskutiert sie die Vorschläge der Kommission zur zukünftigen Ausgestaltung der sogenannten Nachhaltigkeitskapitel – jener Kapitel in Handelsabkommen der EU, die Referenzen zu Arbeits- und Umweltstandards enthalten. Auch wenn die Möglichkeit von Sanktionen aufgeworfen wird, so scheint die Kommission auch zukünftig weiterhin auf Anreize setzen zu wollen.
In puncto Investitionsschutz hat die Europäische Kommission eine Reform der Investor-Staat-Schiedsgerichte (ISDS) angekündigt. Wieso beim MIC – Multilateral Investment Court – trotzdem grundlegende Kritikpunkte bestehen bleiben, erläutert Elisabeth Beer.
Vorschläge für eine andere Globalisierungspolitik
Sehr viel grundlegender sind die Vorschläge für eine andere Handels- und Globalisierungspolitik, die von AutorInnen am A&W Blog vorgebracht wurden. Sie alle eint, dass sie die Handelspolitik nur als Mittel zum Zweck sehen. Das Ziel ist letztlich stets, die Interessen der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen und bessere Lebensbedingungen für alle anstatt nur für wenige zu erreichen.
Anstelle eines bedingungslosen Bekenntnisses zum Freihandel sollte es daher um die Wiedergewinnung von politischen Handlungsspielräumen und die Stärkung demokratischer Teilhabe gehen, argumentiert etwa Werner Raza in einem weiteren Beitrag. Im Sinne eines „guten Lebens für alle“ braucht es eine Bekämpfung der Ungleichheit, eine solidarische Globalisierungsagenda und einen Green New Deal.
Alexandra Strickner umreißt sechs Eckpunkte, die für einen solchen Kurswechsel in der EU-Handelspolitik richtungsweisend sind. Ziel muss es sein, zukünftig die Interessen von Menschen und Natur in den Mittelpunkt der Handelspolitik zu stellen und ein gutes Leben für alle zu verwirklichen. Handel kann dabei immer nur Mittel zum Zweck sein und nicht das Ziel an sich.
Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK, argumentiert, dass es mehr multilateraler und supranationaler Regulierung sowie einer demokratischen Vertiefung der europäischen Beziehung bedarf, um die Globalisierung für alle und nicht für wenige zu gestalten.
Auch Kurt Bayer sieht die Notwendigkeit einer regulierten Globalisierung. In seinem Beitrag skizziert er 13 nationale, europäische sowie internationale Maßnahmen für eine „gute“ Globalisierung.
Der Beitrag der drei Ökonomen Kapeller, Schütz und Tamesberger diskutiert das „Konzept zivilisierter Märkte“ als Alternative zur derzeitigen europäischen Handelspolitik. Sie schlagen verpflichtende Mindeststandards für auf dem europäischen Markt verkaufte Güter vor. Die demokratisch festgelegten Standards für Produktqualität, aber auch Umwelt- und Arbeitsbedingungen der Herstellung würden durch eine europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren überwacht.
Und nun?
Grundsätzlich bleibt fraglich, ob eine Handelspolitik, die vor allem auf die Steigerung der Exporte in Nicht-EU-Länder abzielt, eine langfristig wohlstandssteigernde Strategie für die EU darstellt. Eine weitaus wichtigere Rolle spielt hingegen die Inlandsnachfrage – sowohl für Österreich als auch für die EU, wie Georg Feigl darstellt. In Österreich wurde 2016 lediglich jeder dritte Euro im Export lukriert; davon entfallen wiederum nur knapp ein Drittel auf Nicht-EU-Staaten – also jene Länder, für die Handelsabkommen relevant sind. Für die EU insgesamt gilt, dass 2016 88,9 Prozent der Gesamtnachfrage nach europäischen Gütern und Dienstleistungen auf die EU selbst – und damit nur 11,1 Prozent auf Drittstaaten – entfielen. Nicht zuletzt gehen selbst Studien der Europäischen Kommission von nur geringen einmaligen Wachstumseffekten durch Handelsabkommen für die EU aus.
Angesichts dessen ist nur schwer vorstellbar, ob die „Vorteile des Freihandels“ die potenziell hohen „Kosten“ für die Gesellschaft – z. B. durch die Angleichung von Standards oder die Veränderungen des Arbeitsmarkts – tatsächlich aufwiegen können und eine einseitige Exportorientierung rechtfertigen.