Im Reflexionspapier „Die Globalisierung meistern“ stellt die EU-Kommission Überlegungen über die Gestaltung des zukünftigen Globalisierungsprozesses an. Neu an ihrer Analyse ist die Erkenntnis, dass Globalisierung Ungleichheit fördert. Dennoch greift die Kommission auf das immer gleiche Instrument Freihandel zurück und setzt ihren fordernden Marktöffnungskurs fort. KritikerInnen warnt sie dagegen vor Protektionismus, ja sogar Isolationismus. Wenig deutet auf fairere Regeln für den Schutz von Beschäftigten, KonsumentInnen und der Umwelt hin. Vorstellungen über fortschrittliche Handelspolitik sehen anders aus.
EU-Kommissar Frans Timmermans fordert neue Regeln für den Welthandel und eine gerechtere Verteilung von Wohlstand. Europa müsse dabei helfen, das globale Regelwerk neu zu schreiben, damit aus dem freien Handel ein fairer Handel wird. Die Kommission wolle aus Fehlern der Vergangenheit lernen. Denn die Debatten, Demonstrationen und sonstigen Unannehmlichkeiten rund um CETA, TTIP und TiSA sollten in Zukunft tunlichst vermieden werden. Ziel des Reflexionspapiers ist es, die Vor- und Nachteile der Globalisierung in einer Bestandsaufnahme zu benennen und eine umfassende Diskussion anzustoßen.
Späte Einsicht: Globalisierungsgewinne sind nicht gleich verteilt
In ihrer Analyse bekennt die EU-Kommission, dass die EU zwar von der Globalisierung stark profitiert habe. Für die BürgerInnen bedeute das jedoch wenig, wenn die Vorteile nicht gerecht und gleichmäßig verteilt werden würden. So seien „… viele Länder – zum Teil aufgrund niedrigerer Löhne, Umweltnormen oder Steuern – Konkurrenten für Europa in Wirtschaftszweigen mit geringer Wertschöpfung geworden … dies hat zu Werkschließungen, Entlassungen und einem Abwärtsdruck auf Löhne und Arbeitsbedingungen geführt.“ Auch die Realeinkommen der Mittelschichthaushalte in der EU würden in den vergangenen zehn Jahren stagnieren. Das ist eine zutreffende, wenn auch nicht neue Analyse.
Unbeirrbar: Export führt automatisch zu mehr Arbeitsplätzen
Aber im Wesentlichen werden zahlreiche Vorteile der Globalisierung abgefeiert, die hochwertigen europäischen Ausfuhren gelobt, die uns zu Exportweltmeistern gemacht haben. Mit Sätzen wie „jede Milliarde Euro an Ausfuhren leistet einen Beitrag zur Sicherung von 14.000 Arbeitsplätzen“ insinuiert sie immer noch einseitig positive Effekte der Liberalisierungsagenda. Das steht allerdings aktuellen Untersuchungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) entgegen: In jenen Branchen, die für den internationalen Handel geöffnet wurden und damit zunehmendem Wettbewerb um die niedrigsten Kosten ausgesetzt wurden, gehen Arbeitsplätze verloren. Und die verbreitete ökonomische Annahme, dass die in nicht-wettbewerbsfähigen Branchen verloren gegangenen Arbeitsplätze in neuen, exportstarken Branchen entstehen, hat sich nicht bestätigt.
Weiterhin werden übertriebene Wachstums- und Beschäftigungserwartungen gepflegt
Die beharrliche Betonung der Exportgewinne und die systematische Unterbelichtung der Importseite hat Methode. Und in den Wirkungsstudien der Kommission bleiben außerdem die Arbeitslosigkeit ausgeklammert, Importe und Zollentgang unterschätzt, Umschulungskosten von Arbeitslosen oder administrative Anpassungen gänzlich unberücksichtigt. Davon abgesehen kommen selbst die kommissionseigenen Studien nur zu vernachlässigbaren Wachstumseffekten (0,02 % – 0,05 % durchschnittlich p.a.). Andere Studien belegen, dass auch die übertriebenen Erwartungen bezüglich der Beschäftigungseffekte nicht gerechtfertigt sind. So ergab eine von der AK beauftragte Untersuchung für Österreich, dass CETA im Verlauf von zehn bis zwanzig Jahren unterm Strich im besten Fall ein Plus von 450 Arbeitsplätzen bringt. Dem stehen aber hohe Risiken und damit einhergehend auch hohe Kosten gegenüber, die man heute und auch mittelfristig seriös nicht abschätzen kann.
Kommission warnt vor Protektionismus und Isolationismus
Ausschweifend wird vor Protektionismus und der damit einhergehenden Verschlechterung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und dessen Folgen für Produktion und Beschäftigung gewarnt. Die Globalisierungskritik hätte „bereits zu Schritten in Richtung Isolationismus“ geführt. Das Stocken der WTO-Verhandlungen und ein Comeback des Protektionismus werden ausgemacht. Beides hätte zu einer Verlangsamung des Welthandelswachstums beigetragen.
Perfid ist diese Schuldzuweisung an die KritikerInnen aus zwei Gründen: Erstens deutet in der EU-Handelspolitik nichts auf Isolationismus hin. Für das Stocken der WTO-Verhandlungen andere verantwortlich zu machen, irritiert viele BeobachterInnen. Waren und sind doch die USA und EU selbst treibende Kraft hinter der Bilateralisierung des Handels und damit der Abkehr vom Multilateralismus. Mit 65 Ländern sind bereits EU-Handelsabkommen in Kraft. CETA wurde bereits unterzeichnet und im Laufe dieses Jahres soll es vorläufig angewandt werden. Eine Reihe weiterer Handelsabkommen befindet sich in Verhandlung und aktuell berät der Handelsausschuss der EU über ein Mandat für ein Handelsabkommen mit der Türkei. Sie alle haben nichts Anderes zum Ziel, als die Märkte für den gegenseitigen Zugang zu öffnen. Zweitens schränken wir den Handel nicht ein, wenn wir nicht weiter liberalisieren. Schon gar nicht isolieren wir die EU damit. Es existieren ja zahlreiche Handelsabkommen auf den verschiedensten Ebenen: multilateral (WTO), plurilateral (z. B. Abkommen über öffentliche Aufträge) und bilateral. Güter und Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte, öffentliche Beschaffung u. v. m. nicht weiter zu liberalisieren, führt nicht zwangsläufig zum Rückgang des Welthandels und schon gar nicht zur Isolation.
Kommission empfiehlt bessere Verteilung der Globalisierungsgewinne
Die Nutzbarmachung der Globalisierung bestehe in einer besseren Verteilung ihrer Gewinne. Den negativen Folgen für die BürgerInnen möchte die Kommission EU-intern durch robuste Sozialpolitiken und Ausbildungsmaßnahmen entgegenwirken. Eine wettbewerbsfähige und innovative Wirtschaft erfordere eine Modernisierung durch Digitalisierung, technologische und soziale Innovation, Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft sowie intelligente Spezialisierung. In den Außenbeziehungen müsse an einer nachhaltigen globalen Ordnung, die auf gemeinsamen Werten beruhe, gearbeitet werden. Die EU stehe für starke, effektive, multilaterale und globale Werte. So solle die EU für höhere Standards in der Bekämpfung von schädlichem und unfairem Verhalten bei Steuervermeidung, Beihilfen oder Sozialdumping eintreten, beispielsweise durch bessere Handelsschutzinstrumente (Antidumping- und Antisubventionszölle).
Sozial- und Umweltstandards: Kommission will das Zepter aus der Hand geben
In Fragen der Sozial-, Klima- und Umweltpolitik will die Kommission ihre Verantwortung auf die WTO abschieben, deren zentrales Ziel die Förderung des weltweiten Handels und die Beseitigung von Handelshemmnissen ist. Die Urteile im sogenannten Shrimp-Turtle-Fall, zu Hormonfleisch oder zum Gentechnikstreit dokumentieren jedoch, dass für die WTO der Gesundheits-, KonsumentInnen- oder Umweltschutz keinen besonderen Stellenwert einnimmt. Menschen- und Arbeitsrechte sind auf WTO-Ebene nicht einmal eine wahrnehmbare Kategorie. Es ist daher enttäuschend, dass Verstöße gegen Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte nicht im Rahmen der bilateralen Handelsabkommen der EU verfolgt und im äußersten Fall sanktioniert werden sollen.
Einen Fortschritt dagegen stellt die von der Kommission vorgeschlagene konsequente Durchsetzung und wirksame Bestrafung von in der EU tätigen Unternehmen, die EU-Vorschriften nicht einhalten, dar.
Neoliberale Linie stärkt populistische Gruppierungen
In jedem Fall sollte künftig von dem fortwährenden Drängen auf weitere Exportsteigerungen durch Marktöffnung und Deregulierung in der EU und ihren Partnerländern abgelassen werden, sonst werden populistische Parteien weiterhin gestärkt. So gelang es Trump, Le Pen & Co den sozialen Protest der Benachteiligten auf ihre Fahnen zu heften. Denn die Globalisierung neoliberalen Zuschnitts trägt wesentlich dazu bei, dass Ungleichheit und Unzufriedenheit zunehmen.
Soll populistischen Gruppierungen der Wind aus den Segeln genommen werden, müssten Kommission und Mitgliedstaaten auch in der Handelspolitik einen Kurswechsel vornehmen. Die Alternative muss sein, die Handelspolitik gesellschaftlichen Interessen unterzuordnen. Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Umweltschutz müssen im Mittelpunkt unserer zukünftigen Bemühungen stehen.
Der Weg zur Transformation von einem freien zu einem fairen Handel bleibt ein weiter.