Wir schreiben das fünfte Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise. Spätestens mit dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers im September 2008 kamen die unterschätzten Schwächen und Gefahren von unregulierten Finanzmärkten zum Vorschein. Finanzinstitute waren weltweit in Bedrängnis. Die Krisenfolgen für die Realwirtschaft waren nicht einschätzbar und Stimmen wurden laut, dass eine Große Depression wie jene der 1930er Jahre droht.
Nicht lange und die Bankenkrise schwappte auf die Realwirtschaft über. Unternehmen waren verunsichert und die Banken schränkten die Kreditvergabe ein. Jedoch blieben die befürchteten Horrorszenarien von Massenarbeitslosigkeit, sozialen Unruhen und einer zerstörerischen Rezession wie in den 1930er Jahren in weiten Teilen der westlichen Welt aus. Dieser günstige Verlauf der Krise ist zu einem großen Teil auf die stabilisierende Funktion des Staates zurückzuführen, die in den 1930er Jahren noch kaum ausgebaut war. Im Gegensatz zu damals besteht heute allerdings – aufbauend auf den Erkenntnissen aus John Maynard Keynes´ Werk General Theory (1936) – ein weiter Konsens über die positiven Effekte staatlicher Eingriffe zur Stabilisierung des Wirtschaftskreislaufs und ist schließlich in vielen Lehrbüchern des Volkswirtschaftsstudium, wie Bofinger (2011) oder Zimmermann, Henke und Broer (2009), nachzulesen. Ein hoher Staatsanteil an der Wirtschaft, entwickelte Sozialstaaten und die Bereitschaft in den Wirtschaftskreislauf aktiv und anti-zyklisch[1] einzugreifen haben ein Abgleiten in eine Depression verhindert. Das Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) (2011) weist darauf hin, dass einen wesentlichen Beitrag für den Erfolg die sogenannten automatischen Stabilisatoren, wie zum Beispiel die Arbeitslosen-, Kranken- und Pensionsversicherung oder andere Sozialtransfers liefern. Sie variieren den Umfang der staatlichen Einnahmen oder Ausgaben gegenläufig zum Konjunkturverlauf. Auf diese Weise erhöhen sie in Krisenzeiten die privaten Einkommen und stabilisieren wirksam über die Nachfrageseite den Wirtschaftskreislauf. Dabei zeichnen sich in der Krise besonders die skandinavischen Sozialstaaten, wie z.B. Schweden oder Dänemark, gegenüber den südeuropäischen und angelsächsischen: sozialstaatliche Leistungen gehen weit über ein Absichern von sozial Schwächeren hinaus. Ein hoch-qualitatives Angebot von öffentlichen Sachleistungen wie Kindergärten, Ganztagesschulen, Pflegeheimen und Heimhilfen auf kommunaler Ebene, und Dienstleistungen bietet optimale Rahmenbedingungen für WirtschaftsakteurInnen sowohl in Krisen- als auch Nicht-Krisenzeiten.
Kurzer Sinneswandel
Schließlich sollte das wirtschaftspolitische Umdenken, dass nachfragestärkende Eingriffe durch den Sozialstaat positiv auf die Gesamtwirtschaft in Krisenzeiten wirken, nicht lange anhalten. GegnerInnen des Sozialstaatmodells ergriffen die Gelegenheit der rasant anwachsenden Staatsverschuldung – die eigentlich auf die enormen Kapitalspritzen für Banken zurückzuführen ist – und beschuldigten den zu teuren Sozialstaat für die missliche Wirtschaftslage vieler europäischer Länder. Begleitet wurden diese Rufe von Reinhart und Rogoff (2010), die die Ursache für geringes Wirtschaftswachstum in einer hohen öffentlichen Verschuldung sahen. Zudem wurden die Drohungen von Ratingagenturen, die Kredit-Ratings von Staatsanleihen herabzustufen (womit die Beschaffung von Geld über die Finanzmärkte deutlich teurer wird), verwendet, um im Euroraum eine Vielzahl von Sparpaketen umzusetzen. Die implizite Annahme dass die Sparanstrengungen im öffentlichen Sektor die Privaten dazu anregen mehr auszugeben und folglich das Wirtschaftswachstum zunimmt, wie von Alesina et al. (2002) beschrieben wird, war jedoch verfrüht. Nachdem die von Reinhart und Rogoff (2010) verwendeten Daten öffentlich zugänglich waren, haben mehrere ÖkonomInnen die schwerwiegenden Fehler ihrer Analyse ans Tageslicht gebracht.[2] Dadurch wurde die Kernaussage „eine hohe Staatsverschuldung ist verantwortlich für ein geringes Wirtschaftswachstum“ der beiden Autoren Reinhart und Rogoff (2010) für nichtig erklärt. Nach Andrew Watt (2013) geht die soeben beschriebene Kausalität in die gegenläufige Richtung: Ein geringes Wirtschaftswachstum bewirkt eine hohe öffentliche Verschuldung. Darüber hinaus stellt Romer (2011) einen negativen BIP-Effekt von öffentlichen Sparbemühungen fest: höhere Steuern und geringere Staatsausgaben haben einen negativen Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Produktion. Umgekehrt haben laut Internationalem Währungsfond (IWF) (2013), Blanchard und Leigh (2013) sowie Nakamura und Steinsson (2011) Staatsausgaben in Krisenzeiten deutlich positive Effekte auf den gesamtwirtschaftlichen Output. Mit anderen Worten, wenn die Staatsausgaben in Krisenzeiten in der Höhe von 1 % des BIP eines Landes erhöht werden, haben diese kurz- und mittelfristig einen deutlich positiven Effekt auf die Wirtschaftsleistung der weit über 1 % des BIP liegt. Dieser positive Multiplikatoreffekt von Staatsausgaben überwiegt nach gängiger Meinung in der ökonomischen Diskussion auch die negativen Multiplikatoreffekte von Steuererhöhungen. Auf diese Weise können die staatlichen Mehrausgaben in Krisenzeiten über Steuererhöhungen gedeckt werden, ohne den öffentliche Schuldenstand zu belasten und zugleich die Wirtschaftslage verbessern. Eggertsson und Krugman (2012) zeigen, dass anti-zyklische Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten selbst bei Finanzierung über Kredite (und eines gleichzeitigem Anwachsen der Staatsschulden) notwendig ist, um Rezessionen abzuwenden und die Wirtschaftslage zu stabilisieren.
Trotz dieser Vielzahl von wissenschaftlichen Beiträgen zu den positiven und stabilisierenden Effekten von Staatseingriffen in Krisenzeiten und den negativen Folgen einer frühzeitigen öffentlichen Sparpolitik für MarktteilnehmerInnen halten GegnerInnen des Sozialstaates, wie die Agenda Austria, an ihren Forderungen der Staat müsse mehr sparen und sich aus der Wirtschaft zurückziehen fest.
Griechenland ein anschauliches Beispiel
Ein veranschaulichendes Beispiel für die möglichen Folgen verfrühten Sparens im öffentlichen Haushalt zeigt der Krisenverlauf in Griechenland (wie auch in Spanien, Portugal, Irland u.a.): Einsparungen im öffentlichen Sektor regten nicht wie angenommen die Wirtschaft an, sondern verschärften die bereits instabile Wirtschaftslage. Die Arbeitslosenquote stieg von 10% im Jahr 2010 innerhalb von drei Jahren auf über 25% (im Fall der unter 25-jährigen auf über 55%) (Vgl. Eurostat) an. Umfangreiche Einsparungen im Sozialstaat und im öffentlichen Dienst, so wie die Erhöhung von Massensteuern verringern das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte. Deshalb sinken die Konsumausgaben, damit auch die Produktion und die Beschäftigung. Gleichzeitig führt das zu einem Rückgang der Abgabeneinnahmen des Staates. Unsicherheiten machten sich in der gesamten Bevölkerung breit und soziale Unruhen, in Form von Demonstrationen und Ausschreitungen, sind in Griechenland Alltag geworden.
Fazit
Eindrucksvoll beweist der Sozialstaat in der andauernden Krise seine bedeutende Rolle. Neben den automatischen Stabilisatoren sorgte er auch mit nachfragewirksamen Konjunkturpaketen für stabile Rahmenbedingungen in Krisenzeiten. Auch wenn die öffentliche Verschuldung hoch ist, überwiegen insbesondere während Krisen die positiven Effekte anti-zyklischer Sozial- und Wirtschaftspolitik. Jedoch hat die Finanzkrise auch aufgezeigt, dass es in Österreich noch viel zu tun gibt. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage muss für und besonders in Krisenzeiten nachhaltig gestärkt werden. Durch Investitionen in den öffentlichen Wohnbau und einen Ausbau des öffentlichen Leistungsangebots, wie Ganztagesschulen oder Pflegeheime, werden die Haushaltseinkommen und damit der gesamtwirtschaftliche Konsum dauerhaft erhöht. Auch ein Umgestalten der Steuerstruktur bietet laut dem Fiscal Monitor des IWF (2013) deutlich positive Effekte für ein langfristiges Wirtschaftswachstum: Im Gegensatz zu Vermögenssteuern haben Steuern auf das Arbeitseinkommen einen weit größeren negativen Effekt auf die Wirtschaftsentwicklung. Da die Arbeitseinkommen in Österreich europaweit überdurchschnittlich hoch besteuert werden und die Vermögen so gut wie gar nicht belastet sind, ist – spätestens mit der Erkenntnis des IWF – ein Umgestalten der österreichischen Steuerstruktur unerlässlich: Die zu hohe Besteuerung von Arbeitseinkommen ist auf Kosten der Vermögen zu verringern um so ein langfristiges Wirtschaftswachstum sichern zu können. Hingegen erscheint es nicht notwendig, die Abgabenquote zu senken. Wer einen gut ausgebauten Sozialstaat mit seinen stabilisierenden sozialen und wirtschaftlichen Wirkungen haben will, der muss auch bereit sein, diesen über Steuern und Beiträge zu finanzieren.
Literatur
Bofinger, P. (2011): „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre – Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten“. In: Pearson Studium Verlag
Cohen-Setton, J. (2013): „Blogs review: The Reinhart and Rogoff debacle”. (am 20/10/2013 abgerufen)
IMF Fiscal Monitor (2013): „Fiscal Monitor – Taxing Times”.
Nakamura, E. und Steinsson, J. (2011): „Does fiscal stimulus work in a monetary union? Evidence from US regions”. (am 06/10/2013 abgerufen)
Watt, A. (2013): „Reading Reinhart-Rogoff On Reinhart-Rogoff”. In: Social Europe Journal, (am 20/10/2013 abgerufen)
Zimmermann, H., Henke, K.D. und Broer, M. (2009): „Finanzwissenschaft“. In: Verlag Franz Vahlen München
[1] Anti-zyklisch bedeutet in diesem Zusammenhang das Setzen von finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen die entgegen des Konjunkturverlaufs wirken. So kann der Staat die Konjunktur in Abschwüngen stabiliseren und in Zeiten der Hochkonjunktur bremsen. Auf diese Weise werden die konjunkturellen Schwankungen geglättet und schwere Krisenfolgen wie z.B. eine hohe Arbeitslosigkeit verhindert.
[2] Eine übersichtliche Zusammenfassung der ökonomischen Diskussion über die Fehler in der Analyse von Reinhart und Rogoff (2010) bietet Jérémie Cohen-Setton (2013) in einem Beitrag auf dem Blog des europäischen volkswirtschaftlichen Think-Tanks Bruegel.