Die Debatte über Zölle auf Stahl und Aluminium, ausgelöst durch US-Präsident Trump, füttert einmal mehr das Argumentarium von Freihandelsbefürwortenden. Damit gerät die notwendige und überfällige Kritik am derzeitigen Handelssystem in den Hintergrund. Eine vertiefte Diskussion über die negativen Folgen von Globalisierung und mögliche Alternativen bleibt aus.
Handelsstreit als „Krieg“ mit Zöllen
Schlägt man in den vergangenen Wochen die Zeitung auf, so wimmelte es von Kriegsvokabular. Doch ging es hier nicht etwa um eine der vielen Krisenregionen der Welt, sondern um den globalen Handel. Von einem drohenden „Handelskrieg“ über „Schutzzölle“ und „Strafzölle“ bis hin zu „Vergeltungsmaßnahmen“ und „gefährlichem Protektionismus“ war zu lesen.
Ausgelöst wurden diese schon fast reflexartig anmutenden Reaktionen durch die Ankündigung des US-Präsidenten Anfang März, Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium zu erheben. Expertinnen und Experten fast aller politischen Lager sehen sich angesichts des „Angriffs auf den Freihandel“ nun genötigt, eben jenes System zu verteidigen und Protektionismus bis aufs schärfste zu verurteilen.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages erklärte etwa: „Hätten wir bereits ein Freihandelsabkommen wie TTIP, wären die aktuellen Strafzölle ausgeschlossen“, und plädierte für die erneute Aufnahme der TTIP-Verhandlungen. Diese sind jedoch nicht zuletzt durch erfolgreiche Proteste transnationaler Bündnisse von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft in Kritik geraten und mit der Wahl des neuen US-Präsidenten Donald Trumps schlussendlich vollständig zum Erliegen gekommen.
Protektionismus: nationale Sicherheit durch Zölle?
Die Zölle begründet Trump mit nationalen Sicherheitsbedenken: die billigen Importe von Stahl und Aluminium würden den amerikanischen Markt schwächen und seien für den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze verantwortlich. Davon wäre auch die amerikanische Verteidigungsindustrie betroffen, wodurch letztlich die nationale Sicherheit gefährdet sei. Die Einfuhrzölle würden ausländische Importe in die USA unattraktiver machen und so die heimische Industrie ankurbeln – zumindest in den entsprechenden Branchen.
Ob Trumps Maßnahmen nun tatsächlich dieses Ziel erreichen, ist umstritten. Die US-Ökonomen Jared Bernstein und Dean Baker argumentieren etwa, dass ArbeiterInnen in den durch die Zölle geschützten Sektoren profitieren würden – jedoch auf Kosten der Mehrheit der ArbeitnehmerInnen, z. B. jenen in nachgelagerten Branchen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass die Trump’sche Politik Erfolg hat und zumindest kurzfristig mehr Arbeitsplätze schafft. So befürworten auch amerikanische Gewerkschaften den Schritt des US-Präsidenten, den US-Stahlmarkt mit Zöllen zu schützen. Die europäischen Gewerkschaften wiederum fürchten negative Konsequenzen für den europäischen Markt und plädieren für eine gemeinsame Lösung im Umgang mit den weltweiten Überkapazitäten.
Die EU hat zwar vorerst bis zum 1. Mai 2018 eine vorläufige Ausnahme europäischer Einfuhren verhandeln können, übt aber trotzdem scharf Kritik an der Argumentation Trumps. Sie sieht in den Zöllen ungerechtfertigten Protektionismus und einen Verstoß gegen internationales Handelsrecht. Sie will ihrerseits mit der Rücknahme von US-Zollvergünstigungen und der Einführung höherer Zölle auf bestimmte US-Produkte antworten. Derzeit verhandeln USA und EU, wie es nach dem 1. Mai weitergehen soll. Berichten zufolge könnte dies auch eine Neuauflage des Handelsabkommens mit den USA beinhalten.
Es fehlt eine ernsthafte Diskussion über die Verteilungseffekte der Globalisierung
Damit die weitgehend vereinfacht geführte Debatte zwischen „Protektionismus = böse“ und „Freihandel = gut“ nicht zu einem weiteren Fortschreiben von marktkonformer Globalisierung und Liberalisierung führt, bedarf es einer tieferen Diskussion über die Probleme des internationalen Handelssystems und seiner Verteilungseffekte. Gerade angesichts der gefährlichen Harmonie zwischen nationalistischer und protektionistischer Wirtschaftspolitik sind neue und umfassendere Handelsabkommen nicht die Antwort.
Denn die aktuelle Diskussion ist vor allem auch eines: Ausdruck dessen, dass die derzeitige Struktur des internationalen Handels und der Globalisierung ungerecht ist. Das immer wiederkehrende Credo von unermüdlichen Freihandelsbefürwortenden „Freihandel ist für alle gut“ ignoriert schlichtweg, dass längst nicht alle von der zunehmenden Vernetzung des Weltmarkts profitiert haben. Das gilt in Industrieländern, wie Österreich und den USA, für jene Bevölkerungsteile, deren Jobs durch Freihandelsabkommen und die Verlagerung der Produktion in andere Länder mit zumeist geringeren Lohnkosten verloren gegangen sind. Aber auch für Länder in Asien, Afrika, Lateinamerika oder der europäischen Peripherie, in denen sich nationale Industrien angesichts des internationalen Konkurrenzdrucks kaum etablieren können. Schließlich nimmt die Ungleichheit trotz steigendem Wohlstand vielerorts zu.
Das Versprechen von Wohlstand durch Handel lässt sich jedenfalls mit der gegenwärtigen Handelspolitik nicht erfüllen, wie der Ökonom Dani Rodrik argumentiert: Während es einst in Handelsabkommen vor allem um die allgemeine Reduktion von Zöllen ging, ist dies zunehmend immer weniger der Fall. Stattdessen werden in den Verträgen regulatorische Verpflichtungen und die Harmonisierung von Standards festgeschrieben, die besonders die Interessen großer exportorientierter Konzerne wiederspiegeln. Indem Pharmakonzerne, Finanzinstitutionen und multinationale Unternehmen nationalstaatliche Regelungen und Produktstandards in ihrem Interesse beeinflussen, können sie einen noch größeren Teil der Globalisierungsgewinne für sich beanspruchen.
Schließlich, so bekräftigt Rodrik, sind es auch gerade die Themen, die nicht auf den Agenden von Freihandelsabkommen landen, die zeigen, dass diese Abkommen weitgehend nur die Interessen von Konzernen widerspiegeln. Leerstellen gibt es gerade dort, wo potenziell ein hoher Nutzen für die Gesellschaft entstehen würde, wie bei der Bekämpfung von internationalem Steuerwettbewerb und Steuervermeidungspraktiken.
Es braucht daher eine Handelspolitik, die diese Missstände und Verteilungseffekte nicht negiert, sondern aktiv bearbeitet. Das bedeutet auch, dass Handel nicht isoliert von anderen Politiken betrachtet werden darf. Stattdessen sollte Handel eingebettet in eine umfassendere gesellschaftliche Perspektive demokratisch verhandelt werden. Neben Arbeits- und Umweltschutzaspekten könnte dazu ebenfalls eine Diskussion über eine sinnvolle wirtschaftspolitische Steuerung jenseits von globalen Marktmechanismen gehören – insbesondere wenn es gilt, die negativen Effekte des Klimawandels für die Gesellschaft negativen Effekte des Klimawandels für die Gesellschaft nachhaltig abzuwenden.