Die Diskussion zu den heiß umstrittenen Investitionsschiedsgerichten in der europäischen Handelspolitik geht in die nächste Runde. Die Europäische Kommission hat eine öffentliche Konsultation über eine multilaterale Reform des Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (ISDS) vorgelegt. Aber auch diesmal werden grundsätzliche Fragen nicht zugelassen: Brauchen wir ISDS überhaupt? Oder anders gefragt: Welches internationale System braucht die globalisierte Welt von heute, um wirtschaftliche Interessen nicht weiterhin über Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte zu stellen?
Grundsätzliche Kritik an der Konsultation
Ähnlich wie bei anderen EU-Konsultationen in der Vergangenheit manipuliert die Kommission das mögliche Ergebnis durch ihre Fragetechnik: Die interessierte Öffentlichkeit soll via vorformulierten Antwortmöglichkeiten Detailfragen zur Ausgestaltung eines multilateralen Investitionsschiedssystems (MIC) beantworten. Hierbei beziehen sich die Fragen ausschließlich auf Verfahrensregeln: z.B. Schiedsgericht mit Berufungsinstanz oder aber nur ein Berufungsorgan; Auswahl, Qualifikation und Entlohnung der RichterInnen; Verfahrenskostenübernahme für KMU-KlägerInnen aus Steuergeldern; etc.?
Damit blockiert die Kommission einmal mehr eine grundsätzliche Diskussion über den privilegierten Investitionsschutz für multinationale Konzerne. Schon bei der Konsultation zu ISDS in TTIP im Frühjahr 2014 war dies der Fall. Damals hat die Kommission schlussendlich doch die vehemente Ablehnung von Sonderklagerechten zur Kenntnis nehmen müssen. Nichtsdestotrotz wird die Forderung der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft, die negativen Folgen der Globalisierung in die Diskussion einzubeziehen, wieder negiert.
Nicht nur in der EU sondern vor allem international fehlen effektive Rechtsmittel um Arbeits- und Umweltrechte durchsetzen zu können! Hingegen mangelt es nicht am Schutz privilegierter Rechte von InvestorInnen, dieser ist in mehr als 3.000 sog. bilateralen Investitionsschutzverträgen (BITs) verbrieft. Daher wäre dringend geboten, über einen alternativen internationalen Gerichtshof für Soziales und Umwelt zu diskutieren. Gewerkschaften, NGOs, aber auch von Menschenrechtsverletzungen betroffene Personen sollen ihre Grundrechte gegenüber multinationalen Konzernen in der Produktionskette durchsetzen können. Zur Schließung der globalen Regulierungslücke braucht es ein effektives System zur Durchsetzung von Menschenrechten (diese schließen Eigentumsrechte mit ein), sozialen Rechten und Umweltzielen. Nur so ist der Standard-Senkungswettlauf auf Kosten der ArbeitnehmerInnen zu vermeiden.
Was soll die ISDS-Schiedsgerichtsreform MIC können?
Nach Vorstellung der Kommission sollte das MIC das in Misskredit geratene private ad hoc ISDS-Schiedsgericht verbessern. Die Vorwürfe gegenüber dem System sind Intransparenz, Parteilichkeit der SchiedsrichterInnen, Rechtsunsicherheit aufgrund widersprüchlicher Auslegung und keine Berufungsmöglichkeit. Stattdessen soll nun ein international respektiertes permanentes Schiedsgericht für Investor-Staat-Streitigkeiten etabliert werden. Die Vorteile: SchiedsrichterInnen werden von Amts wegen ernannt und bezahlt, Berufungsinstanz führt zu konsistenterer Rechtsprechung, etc. Die Länder sollen die noch auszuverhandelnde MIC-Konvention unterschreiben und damit die privaten ad hoc Schiedsgerichte der BITs durch das MIC ersetzen.
Damit würde die ISDS-Schiedsgerichtsbarkeit zwar nicht besser, denn das MIC kann im Streitfall nur die Investitionsschutzbestimmungen der BITs auslegen. Aber die Schiedsurteile werden unter Umständen berechenbarer. Die BITs gewähren den ausländischen InvestorInnen nur Rechte, wie Schadensersatzansprüche bei sogenannter indirekter Enteignung durch Regulierungen im Gemeinwohlinteresse. Sie verlangen von ihnen aber keinerlei Pflichten. Es steht auch nicht zur Diskussion das MIC auf die Schnelle auch auf völkerrechtliche Nachhaltigkeitsverpflichtungen auszuweiten. In dem Fall wäre wohl zu hinterfragen, ob ein auf Handels- und Investitionsrecht spezialisiertes Gericht das geeignete Forum für Sozial- und Umweltanliegen ist. Vielmehr ist auf die laufende Arbeit zu verbindlichen Normen für multinationale Unternehmen im Rahmen der Vereinten Nationen zu verweisen.
Argumente, warum ISDS-Schiedsverfahren abzulehnen sind
Investitionsschutzabkommen (BITs oder FHA), die ausländischen InvestorInnen einseitige Klagsrechte gewähren, sehen meist ISDS-Verfahren zu deren unmittelbaren Durchsetzung vor. Mittlerweile haben diese Schiedsgerichte verschiedene Regeln und damit auch unterschiedliche Bezeichnungen: ICSID ist bei der Weltbank angesiedelt, in CETA heißt das Streitverfahren ICS. Der neue multilaterale Schiedsverfahrensregeln-Vorstoß der Kommission heißt MIC. Doch alle tun inhaltlich das gleiche, nämlich parallel zur nationalen Gerichtsbarkeit privilegierte Konzernrechte gegen Staaten durchsetzen. Zur Analyse des MIC sind folgende grundsätzliche Überlegungen zentral:
- Es ist anzuerkennen, dass ein MIC mit Berufungsinstanz ISDS-Verfahren verlangsamt und mehr Kontrolle über Schiedssprüche erlangt wird. Jedes Mehr an Rechtsstaatlichkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Gewichtung öffentlicher Interessen. Damit wird die Gerichtsbarkeit unbeschadet der einseitigen materiellen Investitionsbestimmungen verbessert.
- Zum einem hat die EU die Verantwortung verbindliche Rechtsvorschriften zu erlassen, um Missbrauch von Menschen und Umwelt entlang der gesamten Produktionskette zu stoppen. Zum anderen setzen Konzernklagen demokratischen Regierungen immer mehr unter Druck. Sie haben ihren Politikgestaltungsspielraum zu verteidigen, wenn sie regulierend eingreifen wollen um sozialen oder umweltpolitischen Problemen zu begegnen. Daher sind international die Konzernrechte nicht zu verfestigen oder gar zusätzlich auszuweiten, sondern den Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten ist Vorrang gegenüber Investitionsschutzrechten einzuräumen. Das MIC wird dem nicht gerecht.
- Auch ein Rechtsanwendungsorgan MIC kann die schlechten BITs-Verträge nicht besser machen: Ein „besseres“ Verfahren der ISDS-Schiedsgerichtsbarkeit löst nicht die dem Investitionsschutzregime zu Grunde liegenden Probleme. Diese sind nämlich die Sonderrechte für Konzerne und die Sondergerichtsbarkeit, mit der multinationale Konzerne nationale Gerichte umgehen.
- Das Investitionsschutzregime ist ein Auslaufmodell: Schwellenländer wie Indien, Südafrika und Indonesien haben ihre BITs bereits gekündigt. Hierfür waren aber nicht die privaten ad hoc Schiedsverfahren ausschlaggebend: Die Länder wollen sich der Sonderpflichten gegenüber Konzernen entledigen und ihre Souveränität zurückgewinnen! Auch andere bedeutende Länder wie Mexiko, Türkei, Peru, Italien, Philippinen und Indonesien kritisieren die BITs-Klauseln. Entwicklungsländer kündigen ihre ICSID-Mitgliedschaft womit die Durchsetzbarkeit der Schiedsurteile eingeschränkt wird (z.B. Ecuador und Venezuela). Andere wiederum gründen eigene regionale Investitionsschiedsgerichte (Singapur, Philippinen und Südafrika).
- Realisierungschancen äußert gering: Folgende Länder haben sich bereits gegen ein MIC ausgesprochen: Argentinien, Brasilien, Japan und Indien. Auch die USA ist mehr als skeptisch, wobei sich die neue Regierung noch nicht geäußert hat. Für die EU ist die sogenannte „Mauritius-Konvention“ jenes Modell, wie das ad hoc ISDS-Verfahren durch das MIC in bestehenden BITs ersetzt werden soll. Die bisherigen Erfahrungen mit der „Mauritius-Konvention“ sind aber mehr als bescheiden: Seit 2015 haben nur 2 von 150 Staaten (Kanada und Mauritius) diese ratifiziert. Dabei geht es bei dieser Konvention bloß um Transparenzkriterien im Schiedsverfahren.
- Sozialer Wohlstand durch InvestorInnenschutz nicht nachweisbar: Selbst die jüngste OECD-Studie kann keine positiven Effekte auf Wohlstand und Investitionstätigkeit finden. Dies gilt auch für die Entwicklungsländer, mit denen ein Großteil der 3.000 BITs abgeschlossen wurde. Aber gerade bei weniger entwickelten Ländern ist es aus entwicklungspolitischer Sicht problematisch, InvestorInnenrechte über sozial- und umweltpolitische Interessen zu stellen, ohne dass die Zivilbevölkerung oder Gewerkschaften adäquate Klagemöglichkeiten haben.
Fazit
Einmal mehr fordert die Kommission die Öffentlichkeit auf, sich an einer Diskussion zu beteiligen, die den Kern des Problems negiert. Hingegen soll der vorgelegte Reformdiskurs der Kommission die Konzernsonderjustiz re-legitimieren. Das Kommissionsvorhaben wird damit zur reinen Kosmetik.
Unverzagte können am Ende des Konsultationsfragebogens (in der 63. Frage!) zur Untermauerung ihrer Antworten ein Positionspapier hochladen. Toll wäre, wenn viele Interessierte und Engagierte diese Möglichkeit nutzen, qualifizierte Meinungen ohne Antwortraster abzugeben. Bis 15. März 2017 ist noch Zeit.