Am 24. 10. 2016 begann die zweite Sitzung der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zum „TNC-Treaty“ mit einer Überraschung: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten hatten den Prozess bisher bekämpft, nahmen nun aber doch teil. Auch Österreich. Es geht um die Erarbeitung eines UN-Abkommens, das Menschenrechtsverstöße von Unternehmen durch verbindliche Regeln verhindern und ahnden soll. Der Treaty-Prozess im Menschenrechtsrat in Genf ist heiß umkämpft. Vielleicht, weil es sich um eine historische Chance handelt.
Warum brauchen wir das?
Landgrabbing in Sierra Leone, tote und ausgebeutete TextilarbeiterInnen in Pakistan oder Bangladesch, durch Megastaudämme vertriebene Indigene in Amazonien, vom Bergbau vergiftete Böden und Gewässer – all diese Tragödien haben eines gemeinsam: international agierende Unternehmen machten und machen gute Geschäfte, haben aber im Fall von massiven Menschenrechtsverstößen oder Umweltverbrechen kaum etwas zu befürchten.
Während die Multis es schaffen, sich in Investitionsschutz- oder Freihandelsabkommen, knallharte Rechte gegenüber Staaten samt Entschädigungsmöglichkeiten zu sichern, galten im umgekehrten Fall – wenn Unternehmen zu Tätern oder Komplizen werden – bloß Empfehlungen und freiwillige Selbstverpflichtungen als akzeptabel.
Nach Jahrzehnten der Deregulierung im Geist des Neoliberalismus scheint es vor allem Staaten des Globalen Südens unmöglich, international agierenden Unternehmen angesichts deren Wirtschaftsmacht, Größe und Ressourcenausstattung auf nationaler Ebene etwas entgegenzuhalten.
Die Vertretung Indiens beim UN-Menschenrechtsrat brachte die Notwendigkeit eines globalen Schulterschlusses auf den Punkt: „When states are unable to enforce national laws with respect to the gross violations committed by business and hold them accountable due to the sheer size and clout of the transnational corporations, the international community must come together to seek justice for the victims of the violations committed by the transnational corporations.”
Die Vorgeschichte
Debatten um einen Rechtsrahmen für transnationale Unternehmen auf UN-Ebene haben eine lange Vorgeschichte: Der konkreteste Vorstoß wurde 2003 in der damaligen UN-Menschenrechtskommission (heute UN Menschenrechtsrat) mit den sogenannten UN-Normen unternommen. Dieser scheiterte jedoch am Widerstand der USA und der Unternehmensverbände. Beide lehnten jegliche Form von verbindlichen Verhaltenskodizes und Regelwerken für transnationale Unternehmen ab.
In den folgenden Jahren setzte der Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, vor allem auf Dialog, Freiwilligkeit und Konsens. Die 2011 einstimmig vom UN-Menschenrechtsrat beschlossenen UN-Leitprinzipien unterscheiden klar zwischen Staatenpflichten zum Schutz vor Menschenrechtsvergehen durch Unternehmen und der Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte. Hinzu kommt der Zugang zu Abhilfe, d. h. gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsmitteln im Falle von Menschenrechtsvergehen.
Die insgesamt 31 Prinzipien sind der Form nach reine Handlungsempfehlungen. Die Staaten werden aufgefordert, die Umsetzung der Leitprinzipien mit nationalen Aktionsplänen (NAPs) voranzutreiben, die wiederum durchaus rechtlich bindende Maßnahmen beinhalten könnten. Erst 10 Staaten haben bisher einen derartigen NAP verabschiedet. Deren Inhalte sind bisher enttäuschend unkonkret. In Österreich gibt es derzeit keinen Erarbeitungsprozess für einen NAP.
Der Druck kommt aus dem Globalen Süden
Vor allem in Ländern des Globalen Südens wuchs der Unmut, dass transnationale Unternehmen zwar weiterhin von billiger Arbeitskraft, billigen Rohstoffen und niedrigen Umweltstandards profitieren, aber selbst im Fall von katastrophalen Vergehen sanktionslos bleiben, weil sie etwa auf die formale Eigenständigkeit von Tochterunternehmen verweisen.
Zwar räumen die VerfechterInnen des Freiwilligkeitsdogmas ein, dass die UN-Leitprinzipien auch zu ihrem fünften Geburtstag im Juni 2016 die gewünschte Wirkung (noch) nicht entfalten, pochen aber darauf, dass diese nur besser umgesetzt werden müssten.
Anders sahen das die Regierungen südlicher Staaten (allen voran Ecuador), hunderte zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Bewegungen quer über den Globus, die sich in der „Treaty Alliance“ oder im Kampagnennetzwerk „Dismantle Corporate Power and Stop Impunity“ zusammengeschlossen haben sowie internationale Expertinnen und Experten, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz.
Sie forderten ein rechtsverbindliches internationales Abkommen, das insbesondere transnationale Unternehmen in ihrer Besonderheit regulieren, indem es etwa eine klare Rechtsverantwortung von Konzernen für ihre Tochterunternehmen etabliert oder Staaten auf eine Zusammenarbeit bei der Rechtsdurchsetzung verpflichtet.
Historische Resolution erteilt Auftrag zur Erarbeitung eines Abkommens
Im Juni 2014 brachten Ecuador und Südafrika im Menschenrechtsrat eine Resolution für die Erarbeitung eines rechtsverbindlichen Instruments zu Wirtschaft und Menschenrechten ein. In einer Kampfabstimmung konnten die BefürworterInnen, denen sich u. a. auch Russland und China anschlossen, die Oberhand behalten.
Die USA und europäische Staaten stimmten gegen die Resolution. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sahen vor allem die konsensbasierte Aufbauarbeit zu den Leitprinzipien durch neue Polarisierung gefährdet und lehnten eine Mitarbeit an der neu eingerichteten zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe ab.
Nachdem nördliche Staaten der ersten Sitzung tatsächlich fernblieben, führten massiver Druck der Zivilgesellschaft – auch der österreichischen – und zähe diplomatische Verhandlungen letztlich zum oben geschilderten Einlenken.
Die zweite Verhandlungsrunde und Ausblick
Im Zuge der zweiten Arbeitsgruppensitzung wurde intensiv diskutiert, für welche Unternehmen die Bestimmungen des Abkommens gelten sollen. Eine kritische Frage ist dabei, ob Unternehmen Träger von Menschenrechtspflichten werden könnten ohne sie damit zu Rechtssubjekten des Völkerrechts zu machen – was derzeit nur Staaten sind.
Einen wichtigen Diskussionsstrang bildete auch die Frage, inwiefern für Staaten auch menschenrechtliche Schutzpflichten außerhalb ihres Staatsterritoriums bestehen. Hier wurden die von internationalen RechtsexpertInnen vorgeschlagenen Maastricht Prinzipien für extraterritoriale Staatenpflichten prominent diskutiert.
Das kommende Jahr wird sehr spannend, da es nun um konkrete Inhalte für das Abkommen geht. Bis zur nächsten Arbeitsgruppensitzung von 23. bis 27.10.2017 soll ein erster Entwurfstext erarbeitet werden.
Die Forderungslisten der Zivilgesellschaft dafür sind lang: So soll etwa eine klare rechtliche Verantwortung von Konzernzentralen und deren Heimatstaaten für Töchterunternehmen und abhängige Firmen verankert werden. Das Abkommen soll klare Umsetzungs- und Sanktionsmechanismen für seine Regelungen vorsehen. Opfer sollen erleichterten Zugang zum Rechtssystem in den Heimatstaaten von Konzernen sowie zu regionalen Gerichtshöfen bekommen.
Langfristig könnte ein internationaler Gerichtshof für Unternehmen oder ein anderer „Treaty Body“ etabliert werden. Menschenrechten soll eine klare rechtliche Priorität über Investitionsschutz und Freihandel eingeräumt werden, usw.
Bis ein Abkommen verabschiedet wird und von Staaten ratifiziert werden kann und damit in Kraft tritt, ist es noch ein langer, steiniger Weg – aber ein vielversprechender, wie wir meinen.
Melanie Oßberger (Projektreferentin “Menschenrechte ins Ernährungssystem”, FIAN Österreich, www.fian.at)
Herbert Wasserbauer (Koordinator der Anwaltschaftsarbeit der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, www.dka.at)
Weiterführede Links:
Open-ended intergovernmental working group on transnational corporations and other business enterprises with respect to human rights: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/WGTransCorp/Pages/IGWGOnTNC.aspx
Treaty Alliance: http://www.treatymovement.com/