ÖkonomInnen waren sich immer weitgehend sicher, dass der Freihandel eine wichtige Quelle der allgemeinen Wohlfahrtssteigerung sei. Widerstand dagegen wurde weithin als von blindem Nationalismus getriebene Irrationalität angesehen. Die jüngsten Entwicklungen haben diesen festen Glauben an die Vorteile des Freihandels erschüttert. Der Aufstieg des Rechtspopulismus mit all seinen gravierenden politischen Auswirkungen scheint darauf hinzudeuten, dass eine immer tiefere globale Wirtschaftsintegration von vielen Menschen abgelehnt wird. Stattdessen wird das nationale Interesse in den Vordergrund gestellt und alle anderen Volkswirtschaften als Konkurrenten angesehen, die es wirtschaftlich zu bekämpfen gilt. Was also ist schiefgelaufen?
Erkenntnisse der Wirtschaftstheorie sind nicht das Thema
Die Schlussfolgerung, dass eine globale Arbeitsteilung unter einer Vielzahl von Annahmen für alle Seiten vorteilhaft sein kann, gilt nach wie vor. Dies schließt die üblichen Vorbehalte ein. Verteilungsprobleme, die sich aus globalem Handel ergeben, weil die Früchte dieses Handels in einer Volkswirtschaft ungleich verteilt sind, können über steuerlich induzierte Umverteilung im Prinzip gelöst werden. Voraussetzung ist, dass der politische Wille vorhanden ist.
Das Gleiche gilt für die Auswirkungen des technologischen Wandels, die die komparativen Vorteile einzelner Volkswirtschaften verändern können. Eine expansive Innovationspolitik, die z. B. durch öffentliche Investitionen angetrieben wird, kann den Verlust komparativer Vorteile begrenzen bzw. neue Vorteile erschließen. Voraussetzung ist auch hier das Vorhandensein eines politischen Willens.
All diese Probleme lassen sich also mit einer angemessenen Kompensationspolitik lösen, die letztlich aus den Vorteilen des Freihandels finanziert werden kann. Das Fehlen einer ausreichenden Ausgleichspolitik wird bisweilen als Ursache des gegenwärtigen Misstrauens gegenüber der Globalisierung gesehen. Ohne Zweifel enthalten diese Überlegungen mehr als ein Körnchen Wahrheit. Dies wird vor allem von RechtspopulistInnen genutzt. Aber sie sind nicht der Kern des Problems.
Neue Freihandelsverträge – weit mehr als Handelsabkommen
Die entscheidende Debatte dreht sich um das Verständnis des Begriffs „Freihandel“. In früheren Zeiten bedeutete dies das Fehlen von Zöllen und anderen tariflichen Hindernissen für Handel sowie die Nichtdiskriminierung von Importeuren.
In jüngerer Zeit wurde das Konzept des Freihandels auf die Abschaffung der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse ausgedehnt. Dabei handelt es sich um Normen und Vorschriften, die für jede Volkswirtschaft grundsätzlich unterschiedlich sind. Sie basieren auf politischen Überlegungen und spiegeln die politischen Präferenzen der jeweiligen Gesellschaft wider. Aus handelspolitischer Sicht wurden sie als Markteintrittsbarrieren interpretiert.
Diese Sichtweise lag nicht zuletzt den ersten Entwürfen für die transatlantischen Handelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) – sowie zuletzt auch dem Abkommen mit Japan (JEFTA) – zugrunde. Sie interpretierten Regulierungsvorschriften im Grundsatz als Handelshindernis, dessen Fortdauer im Rahmen eines solchen Abkommens zu begründen war. Dies eröffnet ein völlig neues Feld des Denkens und Gestaltens des Welthandels sowie der wirtschaftlichen Machtbalance innerhalb einer Volkswirtschaft.
Aus dieser Perspektive sieht nämlich der Abbau von Regulierungen wie ein Rezept für einen intensivierten globalen Handel und höheren Wohlstand aus. Es mag ja gute Gründe geben, für die Abschaffung von Normen zu plädieren, die speziell dafür entwickelt wurden, Importe aus dem Ausland fernzuhalten. Eine generelle Abschaffung, Angleichung oder zumindest Überprüfung von Normen und Vorschriften geht in ihren Auswirkungen weit über den Außenhandel hinaus.
Neuordnung der binnenwirtschaftlichen Regulierung
Auf diese Weise wird vor allem die binnenwirtschaftliche Machtbalance verändert und zwar zulasten derer, denen die Regulierungen nutzen. Mehrere Arten von Vorschriften sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig: dies sind Arbeitsmarkt-, Umwelt- und VerbraucherInnenschutzvorschriften. Sie alle haben großen Einfluss auf den Alltag der Menschen. Ihre Ausgestaltung spiegelt die Ansichten einer Gesellschaft in diesen Bereichen wider. Diese können auf wirtschaftlichen, politischen oder sogar philosophischen Überlegungen beruhen, die in anderen Gesellschaften geteilt werden können – oder auch nicht. Die Regulierungen sind jedenfalls Ausdruck der souveränen Wahl einer Gesellschaft, ihre wichtigen ökonomischen Gegebenheiten nach ihren Regeln gestalten zu wollen.
Wenn sie nun als grundsätzliche Beschränkung des Freihandels verstanden werden, entsteht ein Konflikt, den der Harvard-Ökonom und Politikwissenschaftler Dani Rodrik mit einem Trilemma beschrieben hat. Demnach kann man nur jeweils zwei von den drei folgenden Dingen haben: nationale Gestaltungsmacht oder vertiefte globale Integration oder demokratische Entscheidungsprozesse. Wer also unbedingt nach verstärktem Freihandel strebt, muss entweder nach supranationalen demokratischen Regulierungsformen streben – zulasten der nationalen Gestaltungsmacht. Oder aber man verzichtet auf nationale demokratische Regulierungsvorhaben und passt sich den Handelserfordernissen an.
Bis vor kurzem wurde primär der letzte Weg beschritten. Und dies ist der Stoff, aus dem der harte und nicht unberechtigte Widerstand gegen Globalisierung entsteht. Dieser Weg wird völlig zurecht als ein demokratischer Kontrollverlust empfunden, der vor allem zulasten der Mittel- und Unterschicht geht, während eine globale Oberschicht sich an den Erträgen des Freihandels erfreut. Mit der Auseinandersetzung um TTIP und CETA ist diese Position aber ins Wanken geraten. Vielleicht zu spät, um das Aufkommen von Rechtspopulisten zu verhindern, aber nicht zu spät, um nicht eine Trendwende einzuleiten.
Wider den Totalitätsanspruch des Freihandels
Es gilt, den Totalitätsanspruch des globalen Handels zu begrenzen. In einer demokratisch und offenen Gesellschaft kann dies nur durch den Weg einer multilateralen und supranationalen Regulierung geschehen. Die demokratische Vertiefung der europäischen Beziehungen wäre ein erster Schritt zu einer Globalisierung für alle – und nicht nur für wenige.
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