Warum will die Regierung unser gesetzliches Pensionssystem schwächen?

18. September 2018

Die Bundesregierung bekennt sich in ihrem Regierungsprogramm zu einem „stabilen und nachhaltigen Pensionssystem mit einer wertgesicherten Altersversorgung“, plant jedoch Maßnahmen, die durchaus eine Schwächung des gesetzlichen Pensionssystems und damit einen (weiteren) Schritt in Richtung Abbau des Sozialstaates zur Folge haben können. Langfristprojektionen attestieren dem derzeit geltenden gesetzlichen Pensionssystem in Österreich ein hervorragendes Zeugnis auf solider Basis. Ein Ausbau der zweiten und dritten Säule in der Altersvorsorge stellt durchaus ein Gefährdungspotenzial für diese Basis dar.

Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge

Aus dem Regierungsprogramm ist zu entnehmen, dass eine verstärkte Förderung des Ausbaus der betrieblichen Altersvorsorge und der privaten Altersvorsorge geplant ist. Die Ausgangslage im Pensionssystem ist derzeit grundsolide, da durch die Novellen in den vergangenen Jahren bereits mehrere ausgabendämpfende Eingriffe in das Pensionsrecht vorgenommen wurden, welche für die betroffenen Versicherten zwar auch nachteilig waren, die aber im Gegenzug eine gute Basis des gesetzlichen Pensionssystems für die nächsten Jahrzehnte gewährleisten. Studien und Berichte mit Langfristprojektionen bestätigen die nur moderate Auswirkung der demografischen Entwicklung auf das österreichische gesetzliche Pensionssystem im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Ergebnisse des im März 2018 veröffentlichten Länderberichts der EU-Kommission (The 2018 Ageing Report) für Österreich entsprechen weitestgehend jenen des Basisszenarios des Ageing Reports 2015: Der Bericht prognostiziert für Österreich lediglich eine Erhöhung der öffentlichen Pensionsausgaben von aktuell knapp 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf knapp 15 Prozent bis 2040. Bis 2070 soll der Anteil wiederum auf 14,3 Prozent sinken. Das lässt keine drohende langfristige Unfinanzierbarkeit erwarten.

Österreichisches Pensionssystem als Vorbild

Die Deutschen bezeichnen das österreichische Pensionssystem gar als Referenzmodell und äußern sich irritiert über ein „Diskriminieren“ dieses Modells seitens der Politik im eigenen Land! Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin, Wochenbericht 8/2018) zufolge wurde im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD festgelegt, dass bis 2025 das Brutto-Rentenniveau in Deutschland nicht unter 48 Prozent fallen darf, bis 2030 nicht unter 43 Prozent(!). Ebenso gesetzlich festgeschrieben wurde, dass die derzeitigen Renten-Beitragssätze von 18,7 Prozent bis zum Jahr 2025 nicht über 20 Prozent steigen dürfen, bis 2030 nicht über 22 Prozent, was gegebenenfalls auch durch Steuermittel sicherzustellen ist. Dadurch sind diese „Stellschrauben“ eingeschränkt und als Alternativen verbleiben eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit und/oder weitere reale Rentenkürzungen über die (automatische) Rentenanpassungsformel.

Private Vorsorgemodelle gescheitert

Den deutschen RentenexpertInnen zufolge ist das private Vorsorgemodell (z. B. Riesterrente) gescheitert. 2017 bestanden 16,5 Mio. Riester-Verträge, wovon jedoch 20 Prozent derzeit ruhen. Die Verträge werden nicht staatlich geprüft, sind intransparent und völlig ungeeignet für die Abdeckung der Rentenlücken. Die zugrunde gelegte Lebenserwartung ist utopisch hoch und ergibt klare Verluste für die Versicherten!

In Österreich hingegen werden auch langfristig konstante Ersatzraten zwischen 70 und 80 Prozent prognostiziert, und zwar bei konstantem Beitragssatz von 22,8 Prozent und ohne Notwendigkeit, das gesetzliche Antrittsalter zu erhöhen. Im Gegenteil, die Entwicklung der Bundesmittel in den letzten drei Jahren ist aufgrund der guten Konjunkturlage und der nachhaltigen Reformen sogar rückläufig!

In Anbetracht der Fakten ist tatsächlich nicht nachvollziehbar, warum seitens mancher Gruppierungen hierzulande immer wieder eine „große und tiefgreifende Reform“ des Pensionssystems gefordert wird. Eine plausible Erklärung dafür wird das Interesse der Wirtschaft sein, Investitionen in die private Pensionsvorsorge anzukurbeln. Das würde jedoch das gesetzliche Pensionssystem schwächen und die Umverteilung nach oben verschärfen.

Umlageverfahren weniger krisenanfällig

Das gesetzliche Pensionssystem im Umlageverfahren bietet nämlich einen sozialen Ausgleich, indem auch für Zeiten ohne Erwerbstätigkeit (zum Beispiel Zeiten der Kindererziehung, Krankheit, Arbeitslosigkeit) staatliche Einzahlungen (Teilversicherung) geleistet werden sowie eine „Mindestpension“ (in Form einer Ausgleichszulage) garantiert wird. Zudem wirkt sich das Umlagesystem positiv auf die Wirtschaftsentwicklung aus, da die PensionistInnen die von den Erwerbstätigen eingezahlten Beiträge größtenteils in Form von regionalem Konsum ausgeben, was wiederum das Wachstum fördert und wie ein automatischer Stabilisator wirkt. So war Österreich nachweislich von der letzten Wirtschaftskrise in geringerem Ausmaß betroffen als viele europäische Nachbarländer, wo verstärkt auf Kapitaldeckungssysteme gesetzt wird. Allein schon die unschlagbar geringen Verwaltungskosten sprechen für dieses System (Jahresbericht PVA: gesamter Verwaltungsaufwand im Jahr 2017: 1,39 %).

Die Gewinner sind die Versicherungsunternehmen

Betriebspension und private Zukunftsvorsorge im Kapitaldeckungssystem hingegen bieten keinen sozialen Ausgleich. Ganz im Gegenteil, hat doch nur ein geringer Teil der Versicherten überhaupt Zugang bzw. kann sich die zusätzlichen Prämienzahlungen leisten. Zudem ist man dem permanenten Risiko ausgesetzt, durch Finanzkrise, Bankenkrise, Schuldenkrise, Zinsniveau, Insolvenzen etc. einen erheblichen Verlust hinnehmen zu müssen, wie in der Vergangenheit (Finanzkrise 2008/2009) vielfach zu erleben war.

Neben den weit höheren Verwaltungskosten – zu Beginn werden nur sieben von zehn Euro tatsächlich veranlagt – wird auch hier ein erheblicher Betrag an Steuergeldern zugeschossen, was manchen, die über die „so hohen staatlichen Zuschüsse“ ins Pensionssystem klagen, wohl nicht ganz klar zu sein scheint. Einer Studie des WIFO vom September 2017 zufolge betrugen die direkten und indirekten Kosten für den Staat zur Förderung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge in den Jahren von 2010 bis 2015 je nach Beitragsvolumen zwischen 1,3 Mrd. Euro und 2 Mrd. Euro! Von den Studienautoren wird auch hier (wie bei der Riesterrente in Deutschland) ein hoher Mangel an Transparenz kritisiert.

Die Gewinner sind die Versicherungsunternehmen, die als Aktiengesellschaften ihren AktionärInnen zur Gewinnausschüttung verpflichtet sind sowie die wenigen, die sich die zusätzlichen (Prämien-)Kosten und das damit verbundene (Verlust-)Risiko leisten können. Zur breitenwirksamen Existenzsicherung und Vermeidung von Altersarmut ist das Kapitaldeckungssystem definitiv nicht geeignet.

Und trotzdem soll das „Drei-Säulen-Modell“ nun forciert und steuerlich verstärkt gefördert werden?

Von einer privaten Pensionsvorsorge profitieren werden nicht die Masse der Klein- und Mittelverdiener, nicht die Arbeitslosen und nicht die gesundheitlich Eingeschränkten. Diese Formen der Pensionsvorsorge kommen vorwiegend denjenigen zugute, die erstens bis zur Pension überhaupt erwerbstätig sein können, zweitens deren ArbeitgeberIn eine Betriebspension überhaupt anbietet und drittens, die es sich leisten können, noch zusätzliche Beiträge bzw. Prämien zu zahlen – also denjenigen mit höheren Einkommen. Soziale und faire Umverteilung sowie verlässliche Altersicherung sieht anders aus und wäre sehr wohl über das gesetzliche Pensionssystem finanzierbar!

Anstatt die Steuermittel verstärkt und gezielt dafür einzusetzen, um bestehende Phänomene wie die ungleiche Verteilung von Lebenseinkommen – vor allem auch im Geschlechtervergleich – sowie die Altersarmut (beides ist überwiegend weiblich!) zu bekämpfen, forciert die Regierung mit einer (geplanten) verstärkten Förderung der privaten Altersvorsorge ein weiteres Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich. Und bedient damit eine ihrer Zielgruppen, nämlich die Versicherungsgesellschaften und deren AktionärInnen.