Zu spät, zu wenig, nicht ausreichend fokussiert: Budgetpolitik in der Corona-Krise

06. November 2020

Der Budgetentwurf 2021 steht ganz im Zeichen der Corona-Krise. Wie wir in unserer AK-Budgetanalyse argumentieren, kommen viele der gesetzten Maßnahmen zu spät, insbesondere am Arbeitsmarkt. Sie sind zu wenig umfangreich und nicht ausreichend fokussiert, um eine Verschärfung sozialer Ungleichheit zu verhindern. Im Sinne einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik bedarf es rasch eines Investitions- und Beschäftigungsprogramms von rund 2 Prozent des BIP. Dies könnte mehr als 100.000 Arbeitsplätze schaffen.

Die COVID-19-Maßnahmen der Bundesregierung

Über die umfangreichen Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Gesetze fehlt auch im siebten Monat der Krise eine konsistente finanzielle Gesamtdarstellung. Offen ist vor allem die geplante Verwendung des 28 Mrd. Euro schweren COVID-19-Krisenbewältigungsfonds. Anhand der aktuellen Budgetunterlagen wurde nun erstmals sichtbar, dass derzeit nicht mit einer vollen Ausschöpfung des Fonds und der angekündigten 12 Mrd. Euro für Kurzarbeit gerechnet wird. Auch wenn die finanziellen Auswirkungen auf das Bundesbudget letztendlich unklar bleiben, führen die Maßnahmen gegen die Pandemie jedenfalls zu deutlich mehr Ausgaben als jene gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008–2010.

In der neuen mittelfristigen Budgetplanung wird ersichtlich, dass die geplanten „Konjunkturmaßnahmen“ für Militär oder Waldfonds quantitativ etwa einen gleich großen Schwerpunkt wie die zusätzlichen Qualifizierungsausgaben für Arbeitslose haben. Sie sind gewichtiger als jene für Forschung, Digitalisierung, Bildung oder Frauen. Viele dringende Maßnahmen fehlen dagegen: insbesondere Hilfen für Arbeitslose, Familien mit ihrer Mehrfachbelastung und Kinder, deren Bildungschancen massiv beeinträchtigt sind. Zu wenig wird auch für jene Selbstständigen getan, die beträchtliche wirtschaftliche Ausfälle haben, jedoch nicht oder nur unzureichend Hilfe empfangen. Auch die unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Männern – etwa am Arbeitsmarkt – wird zu wenig thematisiert.

Auf den Arbeitsmarkt kommt es an

Die Konjunkturprognose für 2021, auf der der Budgetentwurf basiert, muss inzwischen als (zu) optimistisch gelten: Die wirtschaftlich negativen Folgen der ersten Welle der Pandemie werden jetzt durch jene der zweiten Welle verstärkt. Die für 2021 prognostizierte Zahl der registrierten Arbeitslosen übertrifft mit 365.000 das Niveau von 2019 (301.000) eklatant. Selbst im optimistischen Prognoseszenario wird das Vorkrisenniveau laut Budgetbericht bis 2024 nicht erreicht, im Risikoszenario bleibt die Zahl der Arbeitslosen bei über 400.000.

Erfolgreicher Wirtschaftspolitik muss es gelingen, die Zahl der registrierten Arbeitslosen bereits im Jahr 2021 zumindest wieder auf das Niveau des Jahres 2019 zu senken. Dafür braucht es aber eine umfassende Arbeitsmarktoffensive. Neben der Kurzarbeit setzt die Bundesregierung hingegen im Wesentlichen nur auf die Corona-Arbeitsstiftung. Eine massive Ausweitung der Mittel für Qualifizierung ist sinnvoll, jedoch beginnen die Maßnahmen erst Anfang 2021 zu wirken. Hier wurde sehr viel – für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit besonders wertvolle – Zeit versäumt.

Gesundheit, Pflege, Bildung, Frauen: große Herausforderungen weiter ungelöst

Die im Budgetentwurf bereitgestellten Mittel reichen nicht aus, um viele COVID-19-bedingte, aber auch darüber hinausgehende Herausforderungen zu bewältigen. Offen ist weiterhin die finanzielle Absicherung der gesetzlichen Krankenversicherung, die durch Einnahmenausfälle und Stundungen massiv unter der Krise leidet. Mittel zum Abbau bestehender Versorgungsdefizite fehlen ebenso wie Maßnahmen für eine höhere Krisenresilienz des Systems. Die angekündigte Reform der Langzeitpflege ist im Budgetentwurf nicht abgebildet, dabei wäre ein Ausbau dringend gefragt.

Im Bereich der Bildung kann der neue 8-Punkte-Plan für den digitalen Unterricht als erster wichtiger Schritt zur Digitalisierung der Schule betrachtet werden. Darüber hinaus fehlt dem Budget ein Plan zur Bewältigung der pädagogischen Herausforderungen der Corona-Krise. Besonders schmerzlich ist das Fehlen einer nennenswerten Budgetierung des Chancenindex-Pilotprojekts. Weder für die Aufstockung der Erwachsenenbildung noch für den notwendigen Ausbau der Kindergärten sind Mittel vorgesehen.

Zwar wird das Frauenbudget erhöht und damit die lang geforderte Zeitverwendungsstudie ermöglicht, dennoch ist es immer noch viel zu gering. Zudem spielt die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesamtausrichtung des Budgets nur eine geringe Rolle, obwohl aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheit von Frauen und Männern durch die COVID-19-Krise die Anwendung eines umfassenden Gender-Budgetings zurzeit besonders relevant wäre.

Klima: Fortschritte sind ersichtlich, mehr ist notwendig

Erfolgreiche Klimapolitik muss vor allem auf nachhaltige Alternativen zu CO2-intensiven Produktions- und Konsumweisen setzen. Zentral sind öffentliche Angebote, allen voran die Attraktivierung des Schienenverkehrs. Wirtschaftliche Aktivitäten des öffentlichen und des privaten Sektors müssen – unter Berücksichtigung sozialer Aspekte – nachhaltig gestaltet werden. Dafür sind auch Zuschüsse aus dem Bundesbudget sinnvoll, bei denen allerdings die Effektivität nicht aus den Augen zu verlieren ist.

Die Pläne der Bundesregierung sehen umfangreiche Investitionen vor, die Fortschritte in allen Bereichen bringen werden. Mehr ist notwendig: Erstens sind Klimamaßnahmen mit hoher Beschäftigungswirkung – allen voran der Ausbau der Bahn, des Regionalverkehrs und die thermische Sanierung – weiter zu beschleunigen. Zweitens sollten Gemeinden mehr Mittel erhalten, unter anderem um den sozial-ökologischen Umbau vor Ort voranzutreiben. Drittens ist der Umstieg auf erneuerbare Energieträger sozial abzufedern, beispielsweise indem ein Teil der Ökostrom-Förderungskosten künftig aus dem Bundesbudget getragen werden oder die Förderquote beim „Raus aus Öl“-Heizkesseltauschprogramm für Haushalte mit geringem Einkommen erhöht wird.

Ein zukunftsweisendes Investitions- und Beschäftigungsprogramm

Die zweite Welle der Pandemie wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch zusätzlich beeinträchtigen, dabei waren die bislang gesetzten Maßnahmen schon nicht ausreichend. Deshalb muss mit einem Investitions- und Beschäftigungspaket nachgebessert werden:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Ein solches Investitions- und Beschäftigungsprogramm könnte, basierend auf Faustregeln für Beschäftigungs-Multiplikatoren, deutlich mehr als 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und damit die „Corona-Arbeitslosigkeit“ zur Gänze abbauen. So gehen wir davon aus, dass allein eine Jobgarantie Beschäftigung für 45.000 Langzeitarbeitslose schaffen kann. Ebenso beschäftigungsintensiv ist der Ausbau sozialer Dienste, bei dem pro Milliarde zumindest 20.000 Jobs entstehen. Investitionen in Infrastruktur bringen zumindest 10.000 Jobs pro eingesetzter Milliarde. Eine Erhöhung sozialer Transfers zur Armutsbekämpfung im Ausmaß von einer Milliarde zieht indirekt einen Anstieg der Beschäftigung um 7.000 bis 8.000 Arbeitsplätze nach sich.

Finanzierbarkeit der COVID-19-Staatsschulden: niedrige Zinsen und Vermögenssteuern

Mit einem hohen Budgetdefizit und hohen Staatsschulden stabilisiert der öffentliche Sektor die wirtschaftliche und soziale Lage. Die europäischen Fiskalregeln sind in diesem Sinn 2020 und 2021 ausgesetzt. Es wird allerdings klar, dass sie grundlegend reformiert werden müssen. Angesichts negativer Zinssätze besteht für die nächsten Jahre jedenfalls keine Gefahr für die finanzielle Stabilität der Staatstätigkeit. Die Zinszahlungen des Staates werden weiter kräftig sinken (2009: 9 Mrd. Euro, 2024: 3 Mrd. Euro).

Dennoch besteht Bedarf, Finanzierungsspielräume zu schaffen, um die Krisenlasten gerecht zu verteilen und die notwendigen expansiven Programme für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, den Ausbau sozialer Dienste und die Investitionen in Klimaschutz zu ermöglichen. Deshalb ist eine Strukturreform des Abgabensystems notwendig. Verteilungspolitisch ist klar, dass das Abgabensystem stärker umverteilend wirken soll. An die im Regierungsprogramm vorgesehenen Steuerzuckerl für die oberen 100.000 ist nicht zu denken. Vielmehr ist es notwendig, vermögensbezogene Steuern an- bzw. überhaupt erst einzuheben. Das Schließen der gewaltigen Steuerlöcher und progressive Steuern auf Vermögen, Erbschaften, Kapital- und Spitzeneinkommen brächte Milliarden.

Dieser Beitrag basiert auf unserer deutlich ausführlicheren AK-Budgetanalyse zum Entwurf des Bundesvoranschlags 2021 und darüber hinaus.

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