Die Ungleichheit in der Verteilung von Vermögen und Einkommen wird in Wissenschaft und Gesellschaft intensiv diskutiert, doch wird sie auch von der Bevölkerung als ungerecht wahrgenommen? Eine Studie der AK Wien zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der österreichischen Bevölkerung die Verteilung von Vermögen für unfair hält und die Spitzeneinkommen als zu hoch empfindet. Gerecht empfinden die Menschen in Österreich eine Verteilung auf Basis eigener Leistung statt einer Geburtslotterie. Diese Diskrepanz führt zu Enttäuschung und gefährdet in der Folge Demokratie und sozialen Zusammenhalt.
Sehr hohe Ungleichheit bei Vermögen in Österreich
Nach mehreren Jahrzehnten mit einem Trend zu mehr sozialem Ausgleich tendiert die Verteilung von Einkommen und Vermögen in den Industrieländern seit den 1980er-Jahren zu mehr Ungleichheit. Dies steht mit einem grundlegenden Politikwechsel in Zusammenhang, der die wirtschaftspolitischen Ziele der Preisstabilität und Budgetkonsolidierung gegenüber jenen der Vollbeschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit priorisierte und durch Schritte der Deregulierung und Privatisierung gekennzeichnet war. In Österreich fand dieser Politikwechsel zeitverzögert und vergleichsweise verhalten statt. Der im europäischen Vergleich gut ausgestaltete und umfassende Sozialstaat hat die Tendenz zur Ungleichheit lange Zeit weitgehend korrigiert.
Während die Verteilung der Einkommen relativ egalitär ist, weist Österreich eine sehr hohe Konzentration des Vermögensbesitzes auf und zählt sogar zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit. Diese ist mit ungleicher Verteilung von Macht und damit Gefahren für wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Zusammenhalt und Demokratie verbunden und wird in jüngster Zeit auch zunehmend problematisiert.
Aber wird die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen auch in der Bevölkerung als ungerecht wahrgenommen? Diese Frage kann mit der neuesten Welle des European Social Survey beantwortet werden. Diese Haushaltserhebung mit Fokus auf den sozialen und politischen Einstellungen der Bevölkerung wird alle zwei Jahre europaweit durchgeführt und befragt in Österreich 2.500 Menschen.
Was ist gerecht?
Ob und welche Ungleichheiten als gerecht oder ungerecht angesehen werden, hängt stark von den persönlichen Normen und Werten ab. In der Gerechtigkeitsforschung unterscheidet man im Allgemeinen vier Prinzipien, nach denen eine Verteilung als gerecht oder ungerecht bewertet werden kann:
Leistungsprinzip: Gerecht ist, wenn hart arbeitende Menschen mehr verdienen als andere.
Bedarfsprinzip: Gerecht ist, wenn sich um Arme und Bedürftige gekümmert wird, unabhängig davon, was diese der Gesellschaft zurückgeben.
Gleichheitsprinzip: Gerecht ist, wenn Einkommen und Vermögen gleichmäßig auf alle Menschen verteilt sind.
Statusprinzip: Gerecht ist, wenn Menschen aus Familien mit hoher gesellschaftlicher Stellung Privilegien genießen können.
Zwar ist das Leistungsprinzip mehr oder weniger die „Grundnorm“ aller meritokratischen Gesellschaften. Allerdings finden sich stets alle Elemente dieser vier Prinzipien in modernen Gesellschaften, sie werden nur unterschiedlich stark betont.
Gerechtigkeitseinstellungen der Menschen in Österreich
Laut den Daten des ESS spricht sich in Österreich die überwiegende Mehrheit für das Leistungsprinzip (rund 90 Prozent) und das Bedarfsprinzip (81 Prozent) aus. Das Gleichheitsprinzip befürworten 54 Prozent der Befragten. Deutlich geringer, aber im EU-Vergleich (12 Prozent) immer noch erstaunlich hoch ist die Zustimmung zum Statusprinzip mit 18 Prozent.