Derzeit erlebt der Sozialstaat in der öffentlichen Debatte ein Revival. Die Einstellung der Bevölkerung zum Sozialstaat war jedoch immer schon überwiegend positiv, wie unter anderem eine Studie der Arbeiterkammer Wien mit Erhebungszeitraum 2018 zeigte. Sozialstaatliche Leistungen wie die Arbeitslosenversicherung oder die öffentliche Gesundheitsversorgung werden als wichtige Maßnahmen gesehen, um die wirtschaftliche Ungleichheit in Österreich zu verringern. Die Befragten sprechen sich insgesamt für mehr Sozialleistungen aus – und dafür, dass Reiche und Vermögende einen größeren Beitrag zu deren Finanzierung leisten sollen.
Mehr Finanzierung, um Ungleichheit zu verringern
Wie unter anderen auch schon Grausgruber für Österreich und andere ForscherInnen international zeigten, ist die allgemeine Stimmung gegenüber dem Sozialstaat in der Bevölkerung sehr positiv. Dies bestätigt sich auch in einer repräsentativen Studie der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2018 zu den Einstellungen der Bevölkerung zum Sozialstaat. Befragte, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Erwerbsstatus, sind im Allgemeinen Fans von den Leistungen, die die öffentliche Hand für sie bereitstellt. Gute öffentliche Schulen, Krankenhäuser oder geförderte Wohnungen kommen allen zugute, unabhängig davon, wie viel sie verdienen oder wie viel sie besitzen. Der Sozialstaat ist das Vermögen der vielen. So verwundert es wenig, dass Befragte, die keine Aktien besitzen, über keine zusätzliche private Altersvorsorge oder Krankenversicherung verfügen und auch kein eigenes Haus haben, sondern zur Miete wohnen, den Sozialstaat besonders schätzen.
In Österreich wünschen sich sogar fast 90 Prozent der Befragten eine Ausweitung des Sozialstaates in Richtung eines Wohlfahrtsstaates nach skandinavischem Vorbild. Der Staat solle großzügige, durch Steuern finanzierte Leistungen in allen sozialen Bereichen bereitstellen, und zwar für alle EinwohnerInnen, so die breit geteilte Ansicht. Ein konservatives Wohlfahrtsmodell, wie es in Österreich derzeit der Fall ist, ist mit knapp 70 Prozent erst die zweite Wahl der Befragten. Insbesondere junge Menschen sprechen sich für die Ausweitung in Richtung eines nordischen Sozialstaats aus.
Bildung, Kinderbetreuung und Pflege: Mehr Finanzierung ist gewünscht
Dementsprechend besteht nach Ansicht der Befragten in einigen Bereichen auch Verbesserungsbedarf. Besonders mangelt es den TeilnehmerInnen der Befragung an Leistungen im Bildungsbereich und in der Kinderbetreuung. 74 Prozent der Befragten wünschen sich eine höhere Finanzierung des Bildungssektors, und 63 Prozent sind für einen Ausbau der Kinderbetreuungsangebote. Das ist gut verständlich. Höhere Investitionen in frühkindliche Betreuung und schulische Bildung, um Aufstiegsmöglichkeiten für junge Menschen zu verbessern, werden seit Jahren von vielen Akteuren gefordert. Dieses Ergebnis überrascht auch deswegen nicht, da allseits bekannt ist, dass es in den meisten Bundesländern viel zu wenige Kinderbetreuungsplätze gibt. Gerade im ländlichen Raum sind Kindergärten, deren Öffnungszeiten eine Vollzeitberufstätigkeit ermöglichen, selten.
Als konservativer Wohlfahrtsstaat baut Österreich noch heute auf traditionelle Geschlechterstereotype. Um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, ist es jedoch sinnvoll, das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen zu vergrößern. Dies wäre auch ein Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, da Frauen bis heute den größten Teil der unbezahlten (Erziehungs-)Arbeit leisten.
Die Zustimmung zu einem Ausbau der Leistungen in der Pflege ist mit 72 Prozent auch sehr hoch. Insbesondere Frauen in Städten, die einer Teilzeittätigkeit nachgehen, um Angehörige zu pflegen, sind in hohem Maß für den Ausbau von Pflegeleistungen.
Mehrheit der Befragten spricht sich für Reichen- und Unternehmenssteuern aus
Spannend ist allerdings nicht nur die Frage, welche Bereiche mehr gefördert werden sollen und welche nicht, sondern auch, wie der Sozialstaat nach Ansicht der Befragten finanziert werden soll. Auch dazu liefert die Befragung einige interessante Details: Insbesondere die höhere Besteuerung von Unternehmen, großen Vermögen und Immobilien findet bei den Befragten mit 71 Prozent Zustimmung großen Anklang.
Dazu trägt ein Faktor wesentlich bei: Die Menschen sehen die immer größer werdende Ungleichheit auch als gesellschaftliches Problem an. Über 85 Prozent der Befragten finden, dass die Ungleichheiten mittlerweile zu groß sind und der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung schaden. Kein Wunder also, dass sie einen höheren Finanzierungsbeitrag von Unternehmen und Vermögenden einfordern.
Demgegenüber werden Steuererhöhungen für die breite Bevölkerung nur von wenigen unterstützt. Lediglich 20 Prozent stimmen dieser Finanzierungsform zu. Aktuell tragen alle Erwerbstätigen unabhängig von der Höhe ihres Einkommens in ähnlichem Ausmaß – nämlich mit rund 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens – zur Finanzierung des Sozialstaats bei. Daher überrascht es nicht, dass der eigene Anteil zur Sozialstaatsfinanzierung von den meisten Befragten auch wahrgenommen und eine Erhöhung folglich abgelehnt wird.