In den jüngsten Jahren ist ein erneutes Interesse an Fragen der Sozialpartnerschaft für gesamtwirtschaftliche Entwicklungen erkennbar, wie beispielsweise ein jüngst erschienener Bericht der OECD zeigt. Eine aktuelle WIFO-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Länder mit ausgeprägten sozialpartnerschaftlichen Strukturen die Wirtschaftskrise 2008/09 besser bewältigten als solche, in denen diese Strukturen fehlen.
KoordinierteLohnverhandlungssysteme sind „Schockabsorber“
Sozialpartnerschaftliche Strukturen können auf vielfältige Weise die wirtschaftliche Performance eines Landes mitbestimmen. Ein wichtiger Wirkungsmechanismus entfaltet sich über den kollektiven Lohnfindungsprozess. Einheitliche Branchenlohnstrukturen bieten den Unternehmen Sicherheit und senken Kosten, da sie nicht mit jedem bzw. jeder einzelnen MitarbeiterIn Lohnverhandlungen führen müssen. Die Koordinierung berücksichtigt auch die Auswirkung von Lohnsteigerungen in einer Branche auf die Wettbewerbsfähigkeit anderer Branchen. Koordinierte Lohnverhandlungen stellen damit eine makroökonomische Steuerungsgröße dar, sie können die Reallohnflexibilität erhöhen und zur Abfederung ökonomischer Schocks (wie die Wirtschaftskrise 2008/09) beitragen. Zwar hat sich die Bedeutung koordinierter und vor allem zentralisierter Lohnverhandlungen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte aufgrund der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft reduziert. Koordinierte Lohnverhandlungssysteme und der soziale Dialog dürften allerdings ihr Potenzial als „Schockabsorber“ beibehalten haben. Dafür spricht das Ergebnis unserer Untersuchung, wonach Länder mit ausgeprägten sozialpartnerschaftlichen Strukturen und einem widerstandsfähigen Sozialdialog die jüngste Wirtschaftskrise tendenziell besser bewältigten als solche, in denen diese Strukturen fehlten oder nicht gut ausgebaut waren.
Gesamtwirtschaftliche Effekte
Sozialpartnerschaftliche Institutionen können auf wirtschaftspolitischer Ebene zur Eindämmung von Partikularinteressen beitragen und die Durchsetzung von gesamtgesellschaftlich vorteilhaften Strategien fördern. Jüngere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass optimale Verhandlungssysteme ein bestimmtes Ausmaß an Flexibilität auf der unteren (betrieblichen) Ebene mit dem notwendigen Grad an Koordination kombinieren sollten, um ihre Anpassungsfähigkeit auf makroökonomischer Ebene beizubehalten. Je nach Land und institutionellen Rahmenbedingungen können unterschiedliche Lohnfindungsprozesse diese „integrative Interaktion“ gewährleisten. Die Lohnführerschaft des exportorientierten Sektors in Österreich hat eine solche integrative Funktion. Hier orientieren sich die Abschlüsse auch an der gesamtwirtschaftlichen und nicht nur an der branchenspezifischen Produktivität, womit beispielsweise Wettbewerbsvorteile, aber keine preistreibenden Effekte für die Gesamtwirtschaft entstehen sollen.
Die Entfaltung makroökonomischerEffekte hängt somit stark von der institutionellen Gestaltung und der gelebtenPraxis der Arbeitsbeziehungen ab. In unserem internationalen Vergleich von 16europäischen Ländern zeigen sich für einige Länder starke Umbrüche, für eineGruppe von Ländern, zu denen auch Österreich gehört, vergleichsweise stabilesozialpartnerschaftliche Strukturen. Die wichtigsten Indikatoren für diesenVergleich beziehen sich auf die Verbreitung kollektiver Lohnverhandlungen(KV-Abdeckungsquote) sowie den Organisations- und Koordinationsgrad derArbeitnehmerInnen und der Arbeitgeber.
KollektivvertraglicheAbdeckungsquoten in vielen Ländern stabil
Zu den wesentlichen Indikatoren sozialpartnerschaftlicher Strukturen zählt die Reichweite von Kollektivverträgen. So variiert der Anteil der ArbeitnehmerInnen, die von Kollektivverhandlungen erfasst sind, zwischen knapp 30 Prozent in Großbritannien und 98 Prozent in Österreich. In der überwiegenden Mehrheit der Länder sind die kollektivvertraglichen Abdeckungsquoten seit Anfang der 1990er-Jahre relativ konstant geblieben. Vier Länder erfuhren allerdings starke Einbrüche in den Abdeckungsquoten: Griechenland, Portugal, Spanien und Deutschland. In Griechenland und Portugal vollzogen sich diese Veränderungen nach Ausbruch der Krise 2008/09 (siehe nachfolgende Grafik). Die geforderten Krisenmaßnahmen führten zur Erosion der ArbeitnehmerInnenrechte: Branchenübergreifende Rahmenkollektivverträge wurden abgeschafft, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen außer Kraft gesetzt, die Gültigkeitsdauer von vorhandenen Tarifverträgen begrenzt. In Griechenland halbierte sich zwischen 2007 und 2013 die Abdeckungsquote auf 42 Prozent. In Deutschland und Spanien handelt es sich um einen längerfristigen Trend, der bereits in den 1990er-Jahren durch die zunehmend häufigere Anwendung sogenannter Opting-out-Klauseln einsetzte. Diese ursprünglich als Härtefallregel konzipierte Möglichkeit für einzelne Unternehmen, die tarifvertraglichen Bestimmungen nicht anwenden zu müssen, führte in Deutschland zu einem Rückgang der Abdeckungsquote zwischen 1990 und 2007 von 85 Prozent auf 62 Prozent bzw. von 87 Prozent auf 77 Prozent in Spanien. Nach 2008 sank die Abdeckungsquote in Deutschland weiter, während sie in Spanien einigermaßen stabil blieb.