Das Frauenvolksbegehren geht in die Endrunde. Ab heute können Bürger*innen ihre Stimmen abgeben, um sich für einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel stark zu machen. Von 1. bis 8. Oktober kann mittels Handysignatur, Bürger*innenkarte oder an jedem Gemeindeamt Österreichs unterstützt werden. Schon eine Woche nach Beginn der Sammlung der Unterstützungserklärungen hatten über 100.000 Bürger*innen ihre Stimme für das Frauenvolksbegehren abgegeben, womit es formal erfolgreich ist und im Nationalrat behandelt werden muss. Um den neun Forderungen aber noch mehr politisches Gewicht zu verleihen, ist jede weitere Stimme von größter Bedeutung.
Für so manche Zeitungslesende und politisch Wachsame ergibt die gegenwärtige Weltlage ein eher grimmiges Bild. Die extreme Rechte erlebt europaweit einen steilen Aufstieg, etablierte politische Allianzen scheinen in der Schwebe. Die allgemeine Verrohung der Sprache bringt eine neue Desensibilisierung gegenüber Hetze und Hass mit sich, gesellschaftliche Konflikte werden forciert und ausgebeutet. Progressive Begriffe werden vertauscht und in völliger Beliebigkeit zur Herleitung nationalistischer und neoliberaler Inhalte missbraucht. Vor einer solchen Kulisse kann selbst der leidenschaftlichsten Idealistin der Atem ausgehen. Umso wichtiger ist es, Initiativen Aufmerksamkeit zu schenken, die all dem Alternativen entgegensetzen, die nachhaltigen Fortschritt und ein besseres Leben für alle zum Ziel haben. Eine solche Initiative ist das Frauenvolksbegehren.
Schlechte Frauenpolitik hat weitreichende Konsequenzen
Österreichs Gleichstellungsbilanz fällt im internationalen Vergleich negativ aus. Sie öffnen sich der Betrachterin nach basaler Recherche. Nur 35 % der Parlamentsabgeordneten in Österreich sind Frauen*, in Unternehmensvorständen sind sie mit lediglich 8,4 % und in Aufsichtsräten mit 18,5 % Prozent vertreten. Jede fünfte Frau* über 15 Jahre ist von körperlicher oder psychischer Gewalt betroffen, die meisten Übergriffe finden innerhalb der Familie und des Bekanntenkreises und zwar zu Hause statt. Zudem sind drei von vier Frauen* von sexueller Belästigung betroffen, diese geschieht häufig auch im öffentlichen Raum.
Die wohl meist besprochene Größe in der Gleichbehandlungsdebatte ist sicherlich der Gender-Pay-Gap. Mit 20,1 % geschlechtsspezifischer Differenz in den Bruttostundenverdiensten belegt Österreich innerhalb der EU den fünften Platz der Länder mit der größten Einkommensschere zwischen Männern* und Frauen* in der EU. Für 2014 ist eine noch genauere Analyse möglich. Der Gender-Pay-Gap lässt sich zum Teil durch unterschiedliche Branchen, Berufswahl, Beschäftigungsform usw. erklären. Dennoch verbleibt ein Unterschied von 13,6 Prozent, der durch keine dieser Faktoren bedingt ist. Während der erklärbare Teil auf Segregation des Arbeitsmarktes und den dortigen strukturellen Benachteiligungen von Frauen* basiert, ist der sogenannte unerklärte Teil Ausdruck individueller, unverblümter Diskriminierung, welche einzig am Geschlecht der Betroffenen anknüpft.
Lange Liste nachteiliger Wechselwirkungen
Diese Unterschiede bedingen eine lange Liste an nachteiligen Wechselwirkungen, die sich vor allem in den Rollenbildern von Männern* und Frauen* sowie der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit niederschlagen und häufig zu einer höheren Armutsgefährdung von Frauen* führen.
Weil Frauen* zumeist schlechter verdienen als Männer*, gehen sie öfter und länger in Karenz, was die Gehaltsrückstände zu den Männern* oft noch verstärkt. Damit werden zum einen finanzielle Abhängigkeiten von Frauen* verfestigt, zum anderen Männern* die Teilnahme an der Kindeserziehung erschwert. Da Frauen* traditionell mit der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Familienangehörigen betraut sind und diese Arbeit unbezahlt, jedoch zeit- und energieintensiv ist, arbeiten Frauen* wesentlich öfter in Teilzeitbeschäftigungen, was die oben genannten Effekte weiter zementiert. Laut Statistik Austria waren 2016 etwa 75,1 % der Frauen* im Alter von 25 bis 49 Jahren mit Kindern unter 15 Jahren teilzeitbeschäftigt (Männer* 6,9 %).
All diese Umstände haben direkt proportionale Auswirkungen auf das weibliche Armutsrisiko. Selbst vollzeitbeschäftigte Frauen* sind daher doppelt so stark gefährdet, unter die Armutsgrenze zu fallen, als Männer*. Ähnlich verhält es sich bei der Altersarmut, deren Ursachen in der zu geringen Einkommenshöhe und Erwerbsdurchgängigkeit gelegen sind. Jede fünfte alleinlebende Pensionistin ist armutsgefährdet.
Gleichstellungs- und wirtschaftspolitisch am falschen Dampfer
Aufgrund dieser Wechselwirkungen benötigt eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik ein tiefes Verständnis gesellschaftlicher Machtstrukturen einerseits und einen starken Anspruch an soziale Gerechtigkeit andererseits. Beides lässt die Arbeit der neuen Regierung weitgehend vermissen.
So bedeutet etwa die Einführung der De-facto-60-Stunden-Woche eine weitere Abdrängung von Frauen* in Teilzeitbeschäftigungen und die damit einhergehende finanzielle Abhängigkeit. Die gleichbleibenden Ausgaben des Bundes für die Kinderbetreuung kommen in diesem Lichte einer Kürzung gleich. Das Angebot hat bisher schon nicht ausgereicht: Für sieben von zehn Kinder ist keine vollzeitadäquate Betreuung vorhanden. Eine Erhöhung der Arbeitszeit wird diese Problematik auch weiter zuspitzen.
Die angedachte Kürzung der Mindestsicherung sowie die Einführung des Familienbonus sorgen nicht nur für eine Umverteilung der staatlichen Unterstützung von unten nach oben, sondern auch von Frauen* zu Männern*. So kommt die Koppelung der Höhe des Familienbonus an die Einkommenshöhe aufgrund der realen Einkommensverhältnisse vor allem Männern* zugute. Indes sind es die Armutsgefährdeten, unter denen sich in Österreich mehr Frauen* als Männer* befinden, die künftig mit weniger Unterstützung rechnen müssen.
Das dem Familienbonus und vielen anderen Gesetzesinitiativen zugrundeliegende Motiv ist jenes der „zu entlastenden Leistungsträger“. Während damit eine gutverdienende Bevölkerungsgruppe massiv entlastet werden und mehr Vorteile genießen soll, sollen andere, die dieser Definition nicht entsprechen, wohl zur Leistung gezwungen werden. Was damit verschwiegen wird, ist, dass der Zusammenhalt und die Funktionalität unserer Gesellschaft zu einem großen Teil durch völlig unbezahlte Arbeit garantiert wird. In Österreich werden jährlich 9,7 Milliarden Stunden an unbezahlter Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege und anderer Sorgearbeit sowie ehrenamtlicher Arbeit geleistet – zwei Drittel davon von Frauen*.
Zeit für Neues: das Frauenvolksbegehren
Vor diesem Hintergrund wird klar: Es ist höchste Zeit für Veränderung! Macht, Geld und Arbeit müssen besser zwischen Frauen* und Männern* aufgeteilt werden. Daher fordert das Frauenvolksbegehren gleiche Repräsentation von Frauen* in Entscheidungsgremien, volle Lohntransparenz, eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 30 Arbeitsstunden pro Woche sowie den Rechtsanspruch auf kostenlose und qualitativ hochwertige und vollzeitkompatible Kinderbetreuungsplätze.
All diese wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen sind Investitionen in die Prosperität und Zukunft Österreichs. Die Ausschöpfung des gesellschaftlichen Potenzials hängt von den Partizipationschancen jedes und jeder Einzelnen ab. Strukturelle Benachteiligung vernichtet die Möglichkeit zur Einbringung der eigenen Fähigkeiten, schafft toxische Abhängigkeiten und behindert sozial-innovative Entwicklungen.
Das Frauenvolksbegehren als Initiative, um Demokratie als Praxis zu kultivieren
Während nationalistische Herleitungen von Allgemeinwohl auf der Abschottung gegen sozial benachteiligte Gruppen basieren, verlangt der Feminismus, dass gesellschaftlicher Fortschritt solidarisch geschehen muss. Nichts ist so teuer wie Armut, nichts so gefährlich wie Ungerechtigkeit und nichts so einbremsend wie Ungleichheit. Die Nutzung gesellschaftlichen Potenzials dient zum Wohle aller.
In einem intensiven Prozess nahm sich das Frauenvolksbegehren daher der Probleme fehlender Gleichstellung in Österreich an. Demokratie ist keine Theorie und auch keine Ware, die sich konsumieren lässt. Es ist Zeit, Demokratie als Praxis zu kultivieren. Veränderung kann nur gemeinsam initiiert werden. Das Frauenvolksbegehren kann dabei als lebendiges Beispiel breiter zivilgesellschaftlicher Mobilisierung und als die Verkörperung kollektiver Sehnsucht nach einer besseren Welt verstanden werden. Mit jeder Unterschrift kommen wir einer Umsetzung dieser Ziele näher.