7 Ansätze, um die Interessen der ArbeitnehmerInnen auf europäischer Ebene besser sichtbar zu machen
„Alleine machen sie dich ein … Wenn wir uns aber erst mal einig sind, dann weht ein ganz anderer Wind und du weißt das wird passieren, wenn wir uns organisieren“, sangen Ton Steine Scherben 1972. Dahinter steht im Grunde das Prinzip der ArbeitnehmerInnenorganisation. Gemeinsam im Verbund organisiert Interessen zu vertreten und so die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Auf europäischer Ebene stößt die Idee jedoch auf viele Hürden. Umso wichtiger ist es, die Öffentlichkeit für die eigenen Anliegen zu gewinnen und so den Druck zu erzeugen, der zu Veränderungen führt. 7 Ansatzpunkte scheinen dabei besonders erfolgversprechend.
Die EU – tanzen auf rutschigem Parkett
ArbeitnehmerInnenorganisationen spielen auf einer schiefen europäischen Ebene. Die materiellen Kräfteverhältnisse sind nicht zu ihren Gunsten gelagert. Die Zugänge zu EntscheidungsträgerInnen fallen Großunternehmen viel leichter. Darüber hinaus machen sprachliche, organisatorische, politische Unterschiede, aber auch verschiedene Traditionen und gesetzliche Regelungen der ArbeitnehmerInnenmitbestimmung das gemeinsame Arbeiten schwierig. Dazu kommen tief sitzende Ressentiments, die oft mehr das Trennende als das Einigende in den Mittelpunkt stellen. Öffentlichkeit für ArbeitnehmerInneninteressen zu gewinnen und damit Legitimation und Durchsetzungskraft, ist da keine leichte Übung.
Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Durchsetzung der Interessen nur national möglich ist und ArbeitnehmerInnenvertretungen sich nicht um die mühsame Ebene der Europäischen Union kümmern sollten, wäre jedoch falsch. Die Spielregeln ändern sich nicht dadurch, dass man den Kopf in den Sand steckt. Die Regeln werden dann einfach ohne einen gemacht. Auch wenn die internationale Verflechtung in der medialen Berichterstattung gerne überschätzt wird und so getan wird, als ob Österreichs Wirtschaft fast nur noch aus der Exportwirtschaft bestehen würde, so ist sie doch groß genug, dass das „Nicht-mitspielen“ keine Option ist.
Die vielen Öffentlichkeiten der Europäischen Union
Wenn die Abwendung keine Lösung ist, müssen wir uns die Frage stellen, was überhaupt europäische Öffentlichkeit ist und wie wir sie erreichen. Denn ohne mobilisierte Öffentlichkeit lassen sich ArbeitnehmerInneninteressen nicht durchsetzen. Eine schwierige Frage, denn europäische Öffentlichkeit im engeren Sinn gibt es nicht.
Es gibt eine ExpertInnenöffentlichkeit in den Institutionen und den sie begleitenden NGOs, Lobbyingorganisationen und Interessenvertretungen. Diese ist supranational und von meist englischsprachigen Elitemedien dominiert.
Daneben gibt es 28 nationale Öffentlichkeiten, häufig noch durch sprachliche und regionale Besonderheiten gebrochen. Eine breitere gemeinsame europäische Öffentlichkeit gibt es hingegen entweder nur themenspezifisch für kurze Zeit, wenn sich verschiedene nationale Öffentlichkeiten für eine Thematik – beispielsweise das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP mit den USA – interessieren, ehe sie sich wieder anderen Themen zuwenden.
Politisch selektive ExpertInnenöffentlichkeiten
Die wichtigste der sehr eng abgesteckten ExpertInnenöffentlichkeit ist diejenige in Brüssel selbst. Rund um die Institutionen gibt es eine Reihe facheinschlägiger Publikationen, die bekannteste ist wohl das Nachrichtenportal Politico. Der Brüsseler Ableger des Washingtoner Politikinsiderportals verdient sein Geld hauptsächlich mit dem Verkauf hochspezialisierter Informationen an diejenigen, die es sich leisten können. Das sind meist Lobbyingorganisationen, die bereit sind, für spezialisierte Informationen – beispielsweise über Entwicklungen im Energiesektor – viel Geld zu bezahlen. Eine breitere Öffentlichkeit für dieses Geschäftsmodell schafft man durch den Vertrieb von Insiderinformationen und Gossip an die Brüsseler Blase. ArbeitnehmerInneninteressen spielen dabei eine geringe Rolle. Sie kommen nur vor, wenn entweder eine breite europaweite Öffentlichkeit mobilisiert ist oder die EU-Kommission gerade eine ihrer raren Ankündigungen im Sozialbereich unternimmt.
Direkt in den Elitendiskurs zu kommen, ist für ArbeitnehmerInneninteressen kaum möglich und entspricht auch nicht unbedingt deren Interessen. Eine stärkere Rezeption wäre aber wünschenswert, denn diese Medien haben eine große Rolle für die Diskussionsrichtung im Elitendiskurs. Es sind zwar Medien aus der Blase für die Blase. Sie neigen zu einer Überschätzung tagesaktueller Vorgänge und trotzdem, obwohl sie hierzulande kaum jemand kennt, haben sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, dienen sie doch EntscheidungsträgerInnen oft als Primärquellen ihrer Information.
Was ist also zu tun?
1. Kampagnenfähigkeit von den NGOs lernen
Im direkten Vergleich fällt auf, dass sich NGOs, vor allem diejenigen im Umweltbereich, sehr viel leichter tun, Interesse für ihre Anliegen in dieser spezialisierten Öffentlichkeit zu erlangen. Viele dieser Organisationen sind stärker supranational als national verankert. Das Erarbeiten gemeinsamer Kampagnen, die aus einem Guss sind, aber doch länderspezifisch angepasst, fällt so leichter. Das macht es möglich, einzelne Themen für eine breitere Öffentlichkeit zu kampagnisieren und parallel dazu auf der Mikroebene Lobbying für Gesetzesänderungen zu forcieren. Den Umwelt-NGOs ist es so gelungen, zu einem Machtfaktor in Brüssel zu werden. Ein Umstand, der ArbeitnehmerInnenvertretungen meist nur national gelingt.
Das mag damit zu tun haben, dass inhaltlicher Arbeit vor Öffentlichkeitsarbeit in vielen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung traditionell der Vorrang gegeben wird. Was dazu führt, dass Öffentlichkeitsarbeit nicht immer mit der notwendigen Professionalisierung stattfindet. Das Selbstbild als VertreterIn der Interessen einer sozialen Mehrheit wird jedoch in postdemokratischen Politinszenierung nicht mehr entsprechend abgebildet. Die Folge ist eine Unterrepräsentation im Diskurs.
In der Vielfalt vereint oder doch nur nebeneinander?
Auch macht es die Zersplitterung in viele nationale Traditionen schwer, ein gemeinsames Kampagnenziel zu verfolgen und Themen zu setzen, statt sich durch eine Vielzahl disparater Initiativen selbst Öffentlichkeit zu nehmen. Die – trotz gut gemeinter Versuche wie der aktuellen „Europe needs a pay rise“-Kampagne des EGB – noch unterentwickelte Kampagnenfähigkeit hängt sicher auch damit zusammen, dass Umwelt-NGOs sich leichter den Deckmantel des Unpolitischen geben können.
Das sollte ArbeitnehmerInnenorganisationen aber nicht daran hindern, kampagnenfähiger zu werden. Abgeordnete, aber vor allem auch die MinisterInnen, die ihre Entscheidungen im Rat immer noch weitgehend im Verborgenen fällen, müssen für ihr Abstimmungsverhalten Verantwortung übernehmen. NGOs können leichter Öffentlichkeit für ihre Anliegen organisieren, ArbeitnehmerInnenorganistionen tun sich dafür leichter Politikerinnen klar zu machen, dass sie wiedergewählt werden wollen. Breitere Allianzen, die die Stärken der ArbeitnehmerInnenorganisation mit der politischen Inszenierungsfähigkeit von NGOs und Grasroot-Organisationen verbinden, könnten eine Lösung sein, um hier in die Offensive zu gehen.
2. Eine Sprache sprechen, die man versteht
Dafür braucht es sicher eine Fokussierung der eigenen Aktivitäten. Dies ist gleich mehrfach erschwert. Ein Problem ist die Orientierung an der Sprache, die die EU-Kommission vorgibt.
Beispielsweise die Debatte über die „Soziale Säule“ der Europäischen Union. Es ist ein Erfolg progressiver Bewegungen, dass die EU-Kommission die soziale Frage überhaupt wieder zum Gegenstand ihrer Politik machen musste. Es sind zwar hauptsächlich unverbindliche Forderungen und keine konkreten Rechte, die der Kommission vorschweben, aber der Fuß ist in der Tür. Einmal gesetzt, wird man die Debatte über eine sozial gerechte Union nicht wieder so leicht abdrehen können. Problematisch ist, dass man sich das Framing der EU-Kommission aufdrängen lässt, das den Sozialstaat zu einem unbelebten Objekt erklärt: Eine „Säule“ ist kein Gegenstand politischer Auseinandersetzung, sondern verweist in den Bereich der technischen ExpertInnenarbeit.
Vom Rettungsschirm, über den Stabilitätsmechanismus, die Sixpackregeln bis zu sozialen Säulen lässt man sich eine Sprache aufzwingen, die klar macht, dass in dieser Debatte nur scheinbare ExpertInnen und keine breitere Öffentlichkeit erwünscht ist. Wir sollten die Übernahme dieser Sprache verweigern.
3. Keine nationalen Pseudodebatten führen
Ein Problem ist sicher, dass man sich zu oft nationale Debatten aufzwingen lässt, die dann – wenn überhaupt – nur eine pseudoeuropäische Dimension haben. Oft wird in nationalen Debatten gesprochen, dass man Verträge ändern oder es Brüssel mal richtig sagen wird und nun diese oder jene nationale Forderung einbringen wird. Das ist eigentlich immer Unsinn, denn tiefgreifende Veränderungen brauchen einen langen Atem und der ist bei Debatten, wo es um scheinbare nationale Interessen geht, eigentlich nie gegeben.
Es geht dabei fast nie um Interessen im politökonomischen Sinn, sondern fast immer um eine Scheindebatte, die ein nationales „Wir“ gegen ein supranationales technokratisches „Die“ stellt. Diese Debatten binden viel Kraft und Energie, dabei brechen sie meist fast ebenso schnell zusammen, wie sie begonnen haben. Diese Debatten öfter einmal zu ignorieren, hilft bei der Fokussierung aufs Wesentliche.
4. Naming and blaming
Über europäische Entscheidungsprozesse wird oft erstaunlich akteurslos berichtet. Verantwortlichkeit wird bemerkenswerterweise wenig thematisiert.
Beispielsweise wird die Frage, wie MinisterInnen im Rat stimmen, kaum jemals gestellt. Dass sich der österreichische Finanzminister zwar gerne öffentlich als Bekämpfer von Steuerbetrug feiern lässt, aber im Rat zu den großen Blockierern bei diesen Themen gehört, findet immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit.
Um es auf eine einfache Frage zu bringen: Warum findet man zwar beispielsweise ein Ranking zu fast jedem Thema als Teil postpolitischer medialer Inszenierung, aber kaum Information darüber, wie arbeitnehmerInnenfreundlich MinisterInnen abstimmen? (Zumindest in einem Ausmaß, wie das bei Europaabgeordneten der Fall ist, siehe – schlecht aufbereitete – Ergebnisse der Parlamentsabstimmungen bzw. die österreichspezifische Aufbereitung der ÖGfE.)
5. Für Europabildung sorgen
Um kampagnenfähiger zu werden, wäre es wichtig, in Bildungsarbeit zu investieren. Wenn man wie ich selbst aus dem Journalismus in die Öffentlichkeitsarbeit gewechselt ist, dann fällt auf, wie erschreckend gering das Wissen unter vielen österreichischen JournalistInnen über die europäischen Entscheidungsstrukturen ist. Transparenz ist die Voraussetzung für demokratische Kontrolle. Nur wenn klar ist, wer welche Entscheidungskompetenzen hat und wie er/sie diese einsetzt, kann der- oder diejenige auch verantwortlich gemacht werden. Festzuhalten, Brüssel hätte mal wieder dieses oder jenes verbrochen, ist zu wenig. Reale Machtverhältnisse zu verschleiern, nützt denen, die mächtig sind, immer am meisten.
Hier sind auch die ArbeitnehmerInnenvertretungen mit ihren eigenen Medien bzw. sonstigen Kommunikationsressourcen gefragt. Machtverhältnisse zu thematisieren, ist heute viel einfacher, als es lange Zeit war. Über Social Media lassen sich auch komplizierte Zusammenhänge vielen Menschen zu geringen Kosten vermitteln, was früher nur unter höchstem finanziellen Aufwand möglich war. Das gilt auch für die Kampagnenfähigkeit, die dadurch um ein Vielfaches einfacher herzustellen ist.
6. Von Erfolgsbeispielen lernen
Kampagnenfähigkeit wird es brauchen, um große Reformen durchzusetzen. Eines dieser großen Themen ist die Durchsetzung von Steuertransparenz, -fairness und -ehrlichkeit in Europa. Die europäische Steuerbasis erodiert zunehmend, vor allem da sich große Konzerne immer dreister aus der Verantwortung stehlen (siehe zB IKEA). Gegen massiven Widerstand gelingt es hier dem Europäischen Parlament, langsam Fortschritte zu erzielen. Diese Woche wurde beispielsweise über die Pflicht abgestimmt, wonach Konzerne länderweise Berichte über ihre Umsätze und Steuerleistungen legen müssen. Das Vorhaben wurde von Konservativen und Liberalen im Ausschuss zwar stark verwässert, kann aber im Plenum noch repariert werden. Wenn sichtbar werden würde, in welchem Ausmaß große Unternehmen schamlos ihre Beteiligung an unserer Gesellschaft verweigern, wird diese Praxis politisch nicht mehr haltbar sein.
Das Thema Steuergerechtigkeit eignet sich auch gut, um zu zeigen, wie es ArbeitnehmerInnenorganisationen im Verbund mit NGOs gelingen kann, Öffentlichkeit für ein komplexes, globales Problem zu schaffen. Mit „No to Tax Havens“ ist gerade erst erfolgreich demonstriert worden, in welche Richtung das gehen kann. Diese Aktivitäten sind sicher noch ausbaubar.
7. Stärkung der Öffentlichkeit durch Transparenz und Demokratisierung
Jeder sozialpolitische Fortschritt ist hart erkämpft. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Um es zumindest etwas leichter zu machen, müssen wir das Spielfeld ändern. Nicht weil davon kurzfristig Verbesserungen zu erwarten sind (sogar das Gegenteil ist leicht vorstellbar). Aber ohne europäische Parteien, die für das Europäische Parlament kandidieren und ohne eine Kommission, die politisch besetzt ist und politisch verantwortlich gemacht wird – also auch abgewählt werden kann – wird das europäische Projekt immer ein Stückwerk zwischen disparaten nationalen Interessen und einem teilentkoppelten supranationalen Entscheidungsprozess jenseits einer breiten Öffentlichkeit bleiben.
Sich für eine tiefergehende Demokratisierung der europäischen Entscheidungsprozesse einzusetzen, wird zu einer entscheidenden Frage für die nationalen ArbeitnehmerInnenvertretungen werden. Auch wenn das aktuell womöglich eine unerfreuliche neoliberale Mehrheit bringen könnte, sollten die neuen Möglichkeiten gesehen werden – ausgehend von der Überzeugung, Mehrheiten auch verändern zu können. Die europäischen ArbeitnehmerInneninteressen sollten es allemal wert sein, in ein solches europäisches Projekt mehr Energie zu investieren.