Am 25. Mai 2014 findet in Österreich die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Die kommende Legislaturperiode von 2014 bis 2019 fällt in eine für die Zukunft Europas entscheidende Phase. Denn Europa steht vor wichtigen Aufgaben: die Bekämpfung der dramatisch hohen Arbeitslosigkeit, die Regulierung und Schrumpfung der Finanzindustrie, die grenzüberschreitende Neuverteilung der Vermögens- und der Machtverhältnisse sowie der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion zu einer wirklich demokratischen und sozialen Union.
Das Europäische Parlament kann diese Herausforderungen, allem voran die Verteilung der Macht- und Vermögensverhältnisse und die Änderung jener europarechtlichen Strukturen, die diese absichern, nicht im Alleingang meistern. Aber es ist – das haben gerade die letzten Jahre gezeigt – der wichtigste EU-politische Akteur, wenn es darum geht, die Anliegen der Menschen in die europäische Politik zu integrieren und damit auch das viel beschworene Vertrauen der Menschen in die Europäische Union zu stärken.
Von Mutproben zu Machtproben
Die Liste an erfolgreichen Aktionen und Interventionen gegenüber den anderen beiden Legislativorganen, der EU-Kommission und dem EU-MinisterInnenrat, ist lang. Ohne Europäisches Parlament, das dabei oft auf Druck von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen reagierte, hätten wir heute eine Totalliberalisierung des freien Dienstleistungsverkehrs durch die Dienstleistungsrichtlinie, wir wären mit Einschränkungen bei der nicht kommerziellen Internetnutzung konfrontiert, wir hätten einen schwächeren Schutz der ArbeitnehmerInnen, der VerbraucherInnen und der Umwelt, aber auch die budgetären wachstumshemmenden Restriktionen gegenüber den Mitgliedstaaten im Euroraum wären noch akuter wie umgekehrt die Re-Regulierung der Finanzmärkte mitunter noch zahnloser wäre.
Denn hätte sich das Europäische Parlament nicht vehement die EU-weite Einführung der Finanztransaktionssteuer 2012 auf seine Fahnen geheftet, so wäre (unbeschadet der Gegenattacken der Finanzindustrie oder auch der schleppenden Verhandlungen im EU-Rat) dieses wichtige Vorhaben niemals allgemein konsensfähig geworden.
Grob resümierend etablierte sich das Europäische Parlament über die abgelaufene Legislaturperiode einmal mehr als konstruktiver Mitspieler mit einigen mutigen Sternstunden gegen die neoliberalen Elitenprogramme.
Ob angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen Europa heute steht, derartige Mutproben als Handlungsmuster weiter hinreichen, darf indessen bezweifelt werden. Sogar konservativere SozialdemokratInnen wie Helmut Schmidt forderten immer wieder in unmissverständlichem Duktus ein engagierteres Auftreten und Einschreiten des Europäischen Parlaments bis hin zum „Putsch“ gegenüber den anderen Organen im Machtdreieck der EU-Politik, bestehend aus Kommission, Rat und Parlament.
Wie auch immer man es bezeichnen mag, das neu zusammengesetzte Europäische Parlament, das seinen Anspruch nach Größe und Relevanz einlösen will, wird an seiner Fähigkeit und Entschlossenheit gemessen werden, die großen Herausforderungen der Europäischen Integration zu lösen. Dem Europäischen Parlament sind mittlerweile wichtige Instrumente an die Hand gegeben, um den Spieß in der institutionellen Machtfrage umzudrehen. Ohne Parlament gibt es – von Ausnahmen abgesehen – keine Rechtsetzung, keinen EU-Haushalt, es gibt keinen Kommissionspräsidenten und keine EU-Kommission.
Das Parlament könnte also schon jetzt im Selbstbewusstsein seiner direkten Legitimierung durch die Bevölkerung die Kommission unter seine Fittiche nehmen und den Rat auf seinen Platz verweisen. Das Parlament müsste dazu allerdings lernen, mit gewissen Routinen zu brechen und mit allen Konsequenzen gegebenenfalls „nein“ zu sagen.
Darauf hinzuweisen ist deshalb wichtig, weil es gerade auch eines klaren Bruchs mit jener vorherrschenden EU-Politik bedarf, die bislang noch kein taugliches Rezept gefunden hat, mit dem Europa aus der Krise finden kann. Immer noch sind über 26 Millionen Menschen arbeitslos (um 10 Millionen mehr als vor Ausbruch der Krise). Immer noch ist in einigen Mitgliedstaaten die Situation der Jugendlichen mit Arbeitslosigkeitsquoten über 50% dramatisch. Immer noch wird die Kaputtspardoktrin fortgesetzt, die – allen verfehlten Vogel-Strauß-Beteuerungen zum Trotz – nun voll in die österreichische Budgetdebatte eingeschlagen hat.
Gleichzeitig sind nach wie vor die großen gesellschaftlichen Probleme und Ursachen der Krise ungelöst: die Macht der Banken und Finanzindustrie ist nicht gebrochen, die ungleiche Verteilung der Vermögen zerstört den sozialen Zusammenhalt in unseren Gesellschaften, gegen die immer greifbarer werdende Umwelt- und Klimakrise wird viel zu wenig unternommen und die Schwächung der demokratischen Mitbestimmung schreitet voran.
Einstiegsprojekte in ein soziales, ökologisches und demokratisches Europa
Gemeinsam mit einem durch eine hohe Wahlbeteiligung gestärkten Europäischen Parlament gilt es jetzt, eine weitere Verschärfung einer gescheiterten Politik aufzuhalten und eine grundlegende Kehrtwende in der Europapolitik einzuläuten! Zu diesem Zwecke hat die AK Wien unter Federführung von Lukas Oberndorfer und Norbert Templ eine Wahlbroschüre erstellt, die das neu zu wählende Europäische Parlament als wichtigen Bündnispartner erkennt, um acht zentrale Einstiegsprojekte in ein soziales, ökologisches und demokratisches Europa auf den Weg zu bringen. Es betrifft folgende Punkte:
- Macht der Banken und Finanzmärkte einschränken
- Die soziale Krise stoppen
- In die soziale und ökologische Infrastruktur investieren
- Umverteilung von Einkommen und Vermögen zur Förderung der Binnennachfrage
- Den Binnenmarkt und die Wirtschaft an den Interessen der Menschen ausrichten
- Solidarität und Zusammenhalt unter den Menschen in Europa stärken
- Kurswechsel in der EU-Handels- und Investitionspolitik
- Europäische Entscheidungen demokratisieren und Macht der Wirtschaftslobbys brechen
Europa in unsere Hände nehmen
All dies lässt sich in seiner Gesamtheit nicht allein durch ein neu zusammen gesetztes Europäisches Parlament herbeiführen. Dafür braucht es eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf allen Ebenen, welche die ArbeitnehmerInnen gegenüber den Unternehmerinnen stärkt, die Finanzindustrie schwächt und den gesellschaftlichen Reichtum verteilt, demokratisiert und sinnvoll nutzt. Einen wesentlichen Beitrag zu einer solchen Verschiebung der Kräfteverhältnisse könnte eine breite Debatte darüber bewirken, in welchem Europa wir leben wollen und in welcher Weise dafür mit Blick auf eine bevorstehende Konventsdebatte die „europäische Verfassung“ (die Europäischen Verträge), durch welche die momentanen Kräfteverhältnisse abgesichert werden, geändert werden muss.
Gesellschaft hat sich aber darüber hinaus immer nur dann nachhaltig geändert, wenn Menschen aktiv geworden sind und ihre Lebensverhältnisse und die damit verbundene Politik in ihre Hand genommen und neu gestaltet haben: Der Achtstundentag, das (Frauen-)Wahlrecht, die Errichtung der Demokratie, das Streikrecht oder der Ausstieg aus gefährlichen Technologien (Atomkraft) – alles musste erstritten werden.
Auch wenn die heutige EU-Politik vor allem von Unternehmerverbänden, der Finanzindustrie und neoliberalen Eliten bestimmt wird, lohnt es sich um die europäische Ebene zu kämpfen. Nur auf dieser Ebene lassen sich die großen gesellschaftlichen Probleme, vor denen wir stehen, nachhaltig lösen.
Es gilt EUropa weniger dafür zu verteidigen, was es ist, sondern dafür, was es sein könnte – dafür, dass es anders wird, müssen die ArbeitnehmerInnen und ihre Organisationen die europäische Politik auf allen Ebenen wieder stärker in ihre Hände nehmen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind eine wichtige Möglichkeit dazu.