Angeblich antwortete auf Winston Churchills Vorwurf, dass er in wirtschaftspolitischen Fragen ständig seine Meinung ändere, John Maynard Keynes einst: „If facts change, I change my mind. What do you do, Sir?“ Finanz-, Energie-, Lieferketten- und Klimakrise lehren uns jetzt Ähnliches. Die etablierten ökonomischen Ansätze geben keine oder nur unzureichende Antworten, althergebrachte Weisheiten der Mainstream-Ökonomie stehen plötzlich zur Disposition und grundsätzliche Fragen der Wirtschaftspolitik müssen neu gestellt werden. Welche Rolle muss der Staat in der Wirtschaftslenkung einnehmen? Welche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der Daseinsvorsorge sollen über einen Marktmechanismus koordiniert werden – und welche nicht? Wo trägt das Individuum Eigenverantwortung und wo braucht es kollektive Vorsorge? Gerade in Zeiten großer Veränderung werden diese Fragen wieder drängend und rufen nach gesellschaftlichem Diskurs und neuen Antworten.
Zeiten verändern sich, Zeiten verändern dich
Digitalisierung, Dekarbonisierung und (De-)Globalisierung verändern Produkte, Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle in allen wesentlichen Industrien. Beginnend bei der Energieerzeugung und den Grundstoffindustrien Chemie, Stahl, Zement, Eisen und Metall über die Bauwirtschaft, den Fahrzeug- und Maschinenbau, den gesamten Verkehrssektor bis hin zur Landwirtschaft bleibt kein Stein auf dem anderen. Neue (digitale) Monopole gewinnen politische Macht und gesellschaftlichen Einfluss, Plattformökonomie und digitale Geschäftsmodelle entgrenzen Arbeit sowohl räumlich als auch zeitlich, und neue Technologien werfen ethische Fragen zum Umgang mit personenbezogenen Daten und der Mensch-Technik-Beziehung auf. All dem liegt die Frage zugrunde: Wie soll die Gesellschaft mit den großen sich abzeichnenden Veränderungen umgehen – per Krise und Chaos oder aktiv politisch gestaltet?
Ein neuer wirtschaftspolitischer Anspruch: Veränderung braucht aktive Gestaltung
Um den sozialen Zusammenhalt in der Veränderung aufrechtzuerhalten und niemanden zurückzulassen, müssen Wirtschafts- und Industriepolitik als Teil einer aktiven und vorausschauenden Strukturwandelpolitik verstanden werden. Mit der vorherrschenden Dogmatik „Der Markt regelt das schon“ und „Strohfeuer-Initiativen“ – Einzelmaßnahmen losgelöst von Strategie und Kontext für die medial Dauerbeschallung – wird es nicht gelingen, den Wandel sozial gerecht (Just Transition) zu gestalten. Dafür braucht es eine aktive und strategische Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und ein neues Verständnis des Staates im wirtschaftspolitischen System. Da sich der digitale und grüne Strukturwandel nicht gleichmäßig über alle Wirtschaftsbereiche, Qualifikationen, Regionen und Branchen hinweg vollzieht, braucht es eine Mischung aus sektoralen und regionalen Strategien, die arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitisch begleitet werden.
Der Staat muss klare und verpflichtende Ziele und Rahmenbedingungen setzen und daraus konkrete Transformationspfade entwickeln. Das kann nur in Abstimmung mit allen betroffenen Politikbereichen und unter starker Einbindung der relevanten Stakeholder gelingen. Das Ziel ist eine inklusive industrie- und regionalpolitische Gesamtstrategie für eine faire Transformation, die mit dem Wandel verbundene Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung nutzt und den sozialen Ausgleich wahrt.
Bausteine für eine vorausschauende und zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik
Eine vorausschauende und vorsorgende Wirtschaftspolitik setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen. Diese Bausteine sind die Stärkung der Widerstandsfähigkeit, der Ausbau der Strategiefähigkeit des öffentlichen Sektors und seiner Institutionen, die missionsorientierte Ausrichtung in Forschung & Entwicklung, die Stärkung von Mitbestimmung und Beteiligung sowie strategisch gezielte Investitionen.