Konservative Wirtschaftspolitik versucht, die wirtschaftliche Spaltung in Verlierer:innen und Gewinner:innen für weniger sozialen Schutz für Arme und Arbeitslose und geringere Steuern für Reiche zu nutzen. Progressive Politik muss im Gegenteil die Ängste der Menschen ernst nehmen, Sicherheit geben, Hoffnung auf Verbesserung wecken und mehr Freiheit schaffen. Dafür muss sie die Machtfrage stellen.
Verlierer:innen und Gewinner:innen der Krise
Nachdem das Bruttoinlandsprodukt im Oktober 2021 das Vorkrisenniveau wieder erreicht hat, fällt es im Winter-Lockdown wieder darunter. Doch die ohnehin schwierige Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Lockdown-Kosten darf nicht den Blick auf die eigentlich relevanten Fragen verstellen. Die Covid-Wirtschaftskrise führt für einige soziale Gruppen zu einer massiven, bei manchen auch langfristigen, Verringerung des Wohlstandes, bei anderen hingegen zu hohen Gewinnen.
Die Gruppe der Verlierer:innen besteht aus:
- 400.000 Arbeitslosen, vor allem den 110.000 Langzeitarbeitslosen, die massive Einkommensverluste erlitten. Drei Viertel der Langzeitarbeitslosen sind armutsgefährdet.
- Hunderttausenden prekär Beschäftigten, deren Arbeitsmarktchancen sich in der Covid-Krise markant verschlechtert haben: Das betrifft junge Menschen, die zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt ins Erwerbsleben einzutreten versuchten, ausländische Staatsbürger:innen, die ohnehin in besonderem Ausmaß unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, sowie Frauen in Teilzeitbeschäftigung mit geringem Stundenausmaß.
- Zehntausenden Einpersonenunternehmer:innen, die in der Covid-Krise ohne Einkommen, soziale Absicherung und deshalb auf spät erfolgende und nicht ausreichende Hilfszahlungen aus dem Härtefallfonds angewiesen waren.
- Hunderttausenden Kindern aus gesellschaftlich benachteiligten Familien, die in besonderem Ausmaß unter Schulschließungen, Lockdowns, beengten Wohnverhältnissen, fehlenden sozialen Kontakten, Armutsgefährdung und damit auch langfristig unter negativen Folgen der Covid-Krise leiden.
Die Covid-Krise hat damit in besonderem Ausmaß jene sozialen Gruppen getroffen, bei denen die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung ohnehin sehr hoch ist. Sie führt damit zu einer weiteren Schwächung der Schwachen.
Doch es gibt auch die Gewinner:innen der Krise. Das sind erstens die Milliardär:innen und Multimillionär:innen, denn Immobilienpreise und Aktienkurse legten jüngst zu wie selten zuvor. Das Vermögen der „Milliardäre und Clans“ ist in dieser Krise nochmals kräftig gestiegen.
Zweitens, haben viele Unternehmen von der Krise profitiert. In der Industrie hat die Produktion das Vorkrisenniveau ohnehin rasch wieder übertroffen. Die großzügigen, wenig zielgerichteten Covid-Wirtschaftshilfen haben ein finanzielles Füllhorn über die Unternehmen ausgeschüttet, das trotz des tiefsten Wirtschaftseinbruchs nach 1945 sogar zu einem Überschuss in ihrem Finanzierungssaldo führte. Doppelt- und Dreifachförderungen, bei denen Kurzarbeit mit Umsatz- und Fixkostenersatz sowie Investitionsförderungen in bislang nie gesehenem Umfang kombiniert werden konnten, ließ so manches Unternehmen finanziell deutlich besser dastehen als vor der Krise. Viele Unternehmen haben von staatlichen Covid-Aufträgen profitiert, manche in einer Art und Weise, die die Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan rief.
Konservative Wirtschaftspolitik: Druck auf Verlierer:innen, Förderung der Gewinner:innen
Konservative Wirtschaftspolitik nutzt die soziale und wirtschaftliche Spaltung in Verlierer:innen und Gewinner:innen zweifach. Zum einen verstärkt sie den Druck auf die Verlierer:innen, etwa die Arbeitslosen. Diese sind ein beliebtes Opfer konservativer Politik, auch weil ihr Ansehen in der Öffentlichkeit gering ist: Das Arbeitslosengeld bzw die Notstandshilfe sollte für Langzeitarbeitslose von derzeit 51% des Letzteinkommens gemäß dem Vorschlag des ÖVP-Wirtschaftsbundes auf unter 40%, jenem von Agenda Austria auf 25% und jenem der Neos auf 0% gesenkt werden. Damit versucht man den Arbeitslosen Angst einzujagen und sie für die Annahme schlechter Jobs bereit zu machen. Angst soll aber auch prekär Beschäftigten bereitet werden, denen so gezeigt wird, was passiert, wenn sie nicht bereit sind, unfaire Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Die Debatte um eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen und der Abschaffung des geringfügigen Zuverdienstes zielen in die nämliche Richtung.
Zweitens, zielt konservative Wirtschaftspolitik auf die Stärkung der Gewinner:innen der Krise: Forderungen nach Senkung der Körperschaftssteuer, Erhöhung des Gewinnfreibetrages, Wiedereinführung einer kurzen Behaltefrist bei der Wertpapier-Kapitalertragssteuer, Senkung der Lohnnebenkosten, immer höhere staatliche Investitionsprämien und immer noch mehr Subventionen. Ein Teil der Forderungen konnte abgewehrt werden, doch einige haben Eingang in die Steuerreform der Regierung gefunden. Kürzung der Sozialtransfers für Arme und Senkung der Steuern für Reiche, so hat der große US-Ökonom John Kenneth Galbraith einmal neoliberale Wirtschaftspolitik persifliert.
Progressive Wirtschaftspolitik muss Angst nehmen und Hoffnung wecken
Progressive Wirtschaftspolitik muss das Gegenteil machen. Sie muss zunächst genau auf die sozialen Verhältnisse schauen. Sie muss den Verlierer:innen Ängste nehmen. Sie muss Sicherheit geben. Sie muss Hoffnung machen, indem sie einen Weg der Veränderung, Verbesserung und des Fortschritts aufzeigt. Sie muss Momente der Emanzipation und Freiheit eröffnen.