Arbeitszeitverkürzung in Kollektivverträgen: innovative Modelle und Handlungsbedarf

30. November 2020

Immer mehr ArbeitnehmerInnen wünschen sich kürzere Arbeitszeiten oder arbeiten schon in Teilzeit. In zahlreichen Kollektivverträgen wurden bereits wichtige Übereinkünfte getroffen, die direkt oder indirekt eine Arbeitszeitverkürzung bewirken. ArbeitnehmerInnen können Geldansprüche in Freizeit umwandeln, und besonders belastende Arbeitszeiten werden mit zusätzlicher Freizeit abgegolten. Wichtige Themen für künftige Verhandlungen sind die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und dabei besonders die digitale Entgrenzung von Arbeit sowie die Anerkennung arbeitsbezogener Tätigkeiten als Arbeitszeit.

Kürzere statt flexible Arbeitszeiten

Lange Zeit haben in Österreich Fragen der Flexibilisierung die Arbeitszeit-Debatten dominiert. Von flexibleren Arbeitszeiten haben sich nicht nur ArbeitgeberInnen, sondern auch viele ArbeitnehmerInnen Vorteile versprochen, wie z. B. eine bessere Vereinbarkeit von Arbeitszeiten und Leben, die Möglichkeit, Betreuungsaufgaben besser erfüllen zu können, und mehr Zeit für Freizeitaktivitäten. Die meisten dieser Versprechen sind allerdings nicht eingetroffen. Viele flexibel beschäftigte ArbeitnehmerInnen müssen über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus arbeiten, um die Menge an Arbeitsaufgaben zu bewältigen. Für viele Beschäftigte bedeuten flexible Arbeitszeiten also vor allem lange und entgrenzte Arbeitszeiten.

Bereits vor der Corona-Krise hat sich der Fokus in der Arbeitszeit-Debatte in Österreich verschoben. Mediale Aufmerksamkeit gab es für Betriebe, die neue Arbeitszeitmodelle mit kürzeren täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeiten erproben. Diese Leuchtturmprojekte zeigen zwar, dass kürzere Arbeitszeiten in einzelnen Unternehmen möglich sind, mangels Absicherung in Form von Betriebsvereinbarungen oder gar in einem Kollektivvertrag sind diese Modelle jedoch vom Goodwill der ArbeitgeberInnen abhängig.

Kollektivverträge als wichtige Verhandlungsebene für Arbeitszeitverkürzung

Kollektivverträge, die zwischen gesetzlichen Regelungen, innerbetrieblichen Regeln oder auch individuellen Vereinbarungen angesiedelt sind, erlauben mehr Transparenz und Verbindlichkeit. Sie sind für die passgenaue Vereinbarung von kürzeren Arbeitszeiten eine zentrale Verhandlungsebene. Gerade die Anforderungen an die Arbeitszeiten sind je nach Branche sehr unterschiedlich. Kollektivverträge bieten hier den Spielraum, um Maßnahmen an bestimmte Branchenspezifika und -erfordernisse anzupassen.

In zahlreichen Kollektivverträgen wurden bereits wichtige Übereinkünfte getroffen, die direkt oder indirekt in Richtung einer Verkürzung der Arbeitszeit wirken. Dies zeigt eine 2019/20 durchgeführte Analyse der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Freizeitoptionen

Einige Kollektivverträge bieten mit der Freizeitoption die Möglichkeit, Geldansprüche aus der jährlichen Kollektivvertragserhöhung in Zeit umzuwandeln. Die Freizeitoption wurde erstmals 2013 in der Elektro- und Elektronikindustrie eingeführt. Je nach Berufsgruppe war 2013 eine Ist-Lohn-Erhöhung von 2,8 Prozent bis 3,0 Prozent vereinbart worden. Daraus ergab sich in der Freizeitoption eine Reduktion der Arbeitszeit um 4,67 bis 5 Stunden im Monat. Weitere Kollektivverträge aus dem Bereich der Metallindustrie und der Papierindustrie folgten. Nur in der Elektro- und Elektronikindustrie ist es allerdings bisher gelungen die Freizeitoption bis 2025 zu verstetigen. ArbeitnehmerInnen dürfen diese bis zu viermal anstelle einer monetären Lohnanpassung wählen.

Zusätzlich ist in den letzten Jahren in einigen Kollektivverträgen die Möglichkeit der Umwandlung von Jubiläumsgeldern in Zeitguthaben hinzugekommen. Einige Unternehmen zahlen ihren MitarbeiterInnen z. B. nach 25 Dienstjahren eine Jubiläumsprämie. Durch die Umwandlung in Zeitguthaben können die MitarbeiterInnen statt einer Geldsumme zusätzliche freie Zeiten erhalten. Diese Option wurde erstmals im Jahr 2012 im Kollektivvertrag der Papierindustrie angeboten, seither sind die Mineralölindustrie, die chemische Industrie, die Angestellten in der Elektro- und Elektronikindustrie und weitere Kollektivverträge hinzugekommen.

Nicht aus dem Blick sollte jedoch geraten, dass diese Optionen vor allem für Beschäftigte möglich und sinnvoll sind, die ein höheres Lohnniveau erreichen und in einem sehr stabilen Beschäftigungsverhältnis sind. Im Niedriglohnbereich werden viele Beschäftigte kaum zwischen Zeit und Geld wählen können.

Ausgleich belastender Arbeitszeiten durch Freizeit

In einigen während der letzten eineinhalb Jahre abgeschlossenen Kollektivverträgen wurde erreicht, dass längere Arbeitszeiten nicht (nur) durch Geld, sondern auch durch zusätzliche bezahlte Pausen abgegolten werden. Mehrere Kollektivverträge bieten auch die Möglichkeit, Überstunden mit Zeitzuschlag wieder ausgleichen zu können. Konkret bedeutet dies, dass Überstunden nicht in Geld, sondern mit Freizeit ausgeglichen werden. Sie erhalten so wie beim Ausgleich in Geld Zuschläge von 50 Prozent (tagsüber) oder 100 Prozent (in der Nacht oder am Wochenende) oder mehr (während der Nacht am Wochenende).

Im Kollektivvertrag der Handelsangestellten orientiert sich die Höhe des Zeitzuschlags zusätzlich an der Frage, ob der Zeitausgleich in ganzen Tagen im Zusammenhang mit bereits freien Tagen erfolgt und damit zu längeren Freizeitblöcken führt oder ob einzelne freie Tage gewährt werden. In der Holzindustrie gebührt für die ersten 60 Zeitausgleichsstunden ein Zeitzuschlag von 15 Prozent, für weitere 30 Stunden in Höhe von 30 Prozent. Gerade was die längerfristige Gesundheit von ArbeitnehmerInnen betrifft, sind diese Modelle vielversprechend.

Selbstbestimmung beim Ausgleich von Mehrarbeit

Immer wieder kommt es in der Praxis in Gleitzeitmodellen vor, dass angesammelte Mehrstunden nicht ausgeglichen werden können. Dann werden den DienstnehmerInnen nach einer bestimmten Frist oft Teile oder das gesamte Zeitguthaben gestrichen. Zumindest teilweise Abhilfe schafft hier das Recht auf eine Mindestzahl an Freizeittagen oder andere Modi der Vereinbarung von Zeitausgleich, die den ArbeitnehmerInnen mehr Autonomie einräumen.

Der Kollektivvertrag der metalltechnischen Industrie sieht vor, dass Zeitguthaben an mindestens sechs ganzen Tagen im Jahr verbraucht werden kann. Entsprechend dem Kollektivvertrag für Textilindustrie können ArbeitnehmerInnen den Zeitpunkt des Ausgleichs von Überstunden in Abstimmung mit dem Arbeitgeber selbst bestimmen. Kommt keine Einigung zustande, können sie mit einer Vorankündigungsfrist von vier Wochen den Verbrauch von fünf Tagen bzw. fünf Schichten einseitig festlegen.

Dieses „Recht auf Zeitausgleich“ könnte auf weitere Bereiche mit Durchrechnungszeiträumen wie etwa Arbeitszeitkonten ausgeweitet werden.

Arbeitsleistung auch als Arbeitszeit anerkennen

Alle arbeitsbezogenen Tätigkeiten müssen auch als Arbeitszeit gewertet werden. Bei den Umziehzeiten ist etwa nach einem ÖGH-Urteil zu Umkleidezeiten in Krankenhäusern im Sommer 2018 in einigen Kollektivverträgen eine Erweiterung der Arbeitszeit um diese Zeiten erreicht worden.

Tatsächlich wird aber häufig selbstverständlich angenommen, dass arbeitsbezogene Tätigkeiten in der Freizeit ausgeführt werden, und zwar keineswegs nur von hochbezahlten ManagerInnen und Top-ExpertInnen. Dies kann z. B. eine notwendige Kommunikation mit der Dienststelle sein, um Änderungen im Dienstplan zu erfahren. Ebenso wichtig ist auch eine noch bessere Klarstellung, dass Arbeit während des Weges zu und von der Arbeit zur Arbeitszeit zählt.

Grenzen der Arbeit(-szeit) und Berücksichtigung von Lebensphasen

Auch digitale Formen der Kommunikation im Arbeitsumfeld, der Organisation von Arbeit und der Arbeit im engeren Sinne machen die Frage, was als Arbeit gelten kann und was nicht, immer wichtiger. Wie werden E-Mails, die am Abend oder am Wochenende gelesen und beantwortet werden, gewertet? Ist die Pflege eines arbeitsbezogenen Twitter-Accounts Arbeit oder Freizeit? Eine Klärung in diesem Bereich und die Honorierung von notwendigen oder zumindest erwarteten Tätigkeiten als Arbeit hätte für viele Beschäftigte eine Verkürzung ihrer tatsächlichen Arbeitszeiten zur Folge. Kollektivvertragsverhandlungen sollten dieses Thema aufgreifen, besonders um die ArbeitnehmerInnen vor überbordenden Zugriffen und dem wachsenden Druck zur Arbeit in der Freizeit zu schützen.

Schließlich sollte auch die Frage der Gestaltung lebensphasenspezifischer Arbeitszeitmodelle weiterhin im Blick bleiben. Modelle für den Berufseinstieg, die Familienphase und die mittlere Erwerbsphase sollten ebenso wie die Altersteilzeitmodelle entwickelt und den Bedürfnissen von ArbeitnehmerInnen angepasst werden.

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