Finanzielle Zuschläge für belastende Arbeitszeiten sind weit verbreitet, stellen aber keine gute Lösung dar, um die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Dieser Beitrag stellt einen neuen Ansatz vor: Ausgehend von einer einerseits weit verbreiteten und andererseits auch sozial- und gesundheitspolitisch wünschenswerten „neuen Normalarbeitszeit“, nämlich der Gleitzeit von Montag bis Freitag tagsüber, sollen davon abweichende Arbeitszeiten hinsichtlich ihrer Belastung bewertet werden. Eine angemessene Kompensation in Form von zusätzlicher Freizeit statt finanzieller Zuschläge soll dann diese Belastung ausgleichen. Damit würden positive Effekte auf Gesundheit und Privatleben erzielt sowie bestehende Anreize für ein freiwilliges Verbleiben in belastenden Arbeitszeiten reduziert werden.
Aktuelle Regulative zur Arbeitszeit
Die österreichischen Regulative im Bereich der Arbeitszeit weisen viele positive Eigenschaften auf. Zu den ungünstigen Eigenschaften zählt jedoch, dass Entgeltfragen sehr stark mit Fragen der Zeitgestaltung verwoben sind und zum Teil die Erzielung höherer Einkommen von den Sozialpartnern, aber auch von den ArbeitnehmerInnen höher bewertet wird als andere Faktoren (manchmal zulasten der Allgemeinheit bei unfallträchtiger Arbeit). So gerät die Frage der optimalen Arbeitszeitgestaltung im Vergleich zum Entgeltthema oft in den Hintergrund.
Ein Beispiel: Niedrige Überstundenzuschläge (oder einfach anzuordnende Überstunden) machen Überstunden für Unternehmen attraktiv; hohe Überstundenzuschläge führen aber wiederum dazu, dass Beschäftigte – vor allem nach Monaten der Gewöhnung – darum kämpfen, diese auch langfristig zu behalten; auch unter Nichtbeachtung der eigenen kurz- und langfristigen Gesundheit sowie Work-Life-Balance.
Ein weiterer Nachteil der derzeitigen Regulierung ist, dass es nur eine lose Verbindung der Regelungen zu Forschungserkenntnissen gibt. 2018 wurde sogar entgegen aktuellen Erkenntnissen zu langen Arbeitszeiten und Risiken (eine aktuelle Übersicht findet sich hier) ein vereinfachter Zugang zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche im österreichischen Arbeitszeitrecht verankert. Zusätzlich entfällt die bisher notwendige arbeitsmedizinische Beurteilung bei Ausweitung der Höchstarbeitszeiten in Betrieben ohne Betriebsrat. Damit werden in Österreich Forschungsergebnisse bei der Gesetzgebung deutlich weniger systematisch berücksichtigt – im Gegensatz etwa zu Risikomanagementsystemen wie in Australien oder zum expliziten Auftrag zur Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit im deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG §6).
Zur Überwindung dieser Schwächen und Nachteile schlagen wir in der am Ende des Beitrags angeführten Publikation einen Ansatz für eine „neue Normalarbeitszeit“ vor. Dieser soll eine Bewertung und adäquate Kompensation der physischen und psychosozialen Belastung durch Arbeitszeiten ermöglichen und Anreize für den Einsatz belastender Arbeitszeiten über das versorgungspolitisch (zum Beispiel Nachtdienst in Krankenhäusern) und technologisch beziehungsweise wirtschaftlich erforderliche (zum Beispiel Vermeidung von An- und Abfahren von Hochöfen, Erfüllung von KundInnenanforderungen) Minimum hinaus senken.
Der Weg zu einer neuen „Normalarbeitszeit“
Als „Normalarbeitszeit“ wird allgemein die Arbeitszeit von Montag bis Freitag zwischen 8 und 17 Uhr bezeichnet. Jedoch arbeiten viele ArbeitnehmerInnen bereits regelmäßig außerhalb dieser Zeiten. ArbeitnehmerInnen in Österreich berichten z. B. im europäischen Vergleich besonders häufig von unregelmäßigen Arbeitszeiten, und etwa 45 Prozent der österreichischen Erwerbstätigen arbeiten regelmäßig am Wochenende. Beschäftigte äußern zudem zunehmend den Wunsch nach selbstbestimmt flexiblen Arbeitszeiten. Die klassische „Normalarbeitszeit“ sollte daher aus unserer Sicht modifiziert werden, um den Aspekt der Selbstbestimmung zu integrieren und die festen Zeiten von 8 bis 17 Uhr zu entschärfen:
Die „neue Normalarbeitszeit“ sollte sich an einer Gleitzeit von Montag bis Freitag während des Tages (nicht am Abend oder Wochenende) orientieren.
Belastungsausgleich durch mehr Zeit statt mehr Geld
Der belastungsorientierte Ansatz zielt auf eine Kompensation der Belastung, die aus bestimmten Arbeitszeitmerkmalen resultiert, durch zusätzliche Freizeit statt durch Geld ab. Die Kernpunkte sind in der folgenden Abbildung dargestellt. Basis sind jene Belastungen, die sich bei gleicher Tätigkeit und gleichen Umfeldbedingungen (wie etwa Lärm) in der „neuen Normalarbeitszeit“ ergeben („Baustein 1“). Andere Arbeitszeitorganisationsformen werden danach bewertet, ob sie – nach dem jeweiligen wissenschaftlichen Stand – in den Dimensionen Unfallrisiko, Gesundheit, Soziales und Wohlbefinden zumindest gleich gut wie die „Normalarbeitszeit“ sind („Baustein 2“). Wenn nicht, sollten zusätzliche Belastungen z. B. durch Nacht- oder Wochenendarbeit in Zeit statt in Geld vergütet werden, um eine gezielte Entlastung in Form von mehr Frei- bzw. Erholungszeiten zu ermöglichen und die Belastung wieder auf das „normale Belastungsmaß“ zu reduzieren („Baustein 3“). Es werden maximale Grenzen der Belastung festgelegt, und die Nebenkosten für Arbeit außerhalb der „Normalität“ steigen („Baustein 4“, siehe auch „Abgabe für ungesunde Zeiten“ unten). Da etwa bekannt ist, dass das Unfallrisiko nach der neunten Arbeitsstunde exponentiell steigt (bei zwölf Stunden ist es bereits doppelt so hoch wie bei acht Stunden), sollte eine angemessene Obergrenze der täglichen Arbeitszeit im Sinne der Arbeitssicherheit, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Gesundheit und Work-Life-Balance als maximale Belastungsgrenze festgelegt werden.
Ein fiktives Beispiel wäre ein wöchentlich wechselndes Drei-Schicht-Modell mit Früh-, Spät- und Nachtschicht. Wäre das Unfallrisiko in einem solchen System beispielsweise um 25 Prozent gegenüber der „Normalarbeitszeit“ bei gleichartiger Tätigkeit erhöht, müsste die Arbeitszeit um 25 Prozent reduziert werden, um einen adäquaten Belastungsausgleich zu gewährleisten.