Die Regierungskoalition hat am 14. Juni 2018 per Initiativantrag einen Gesetzesvorschlag zur „Flexibilisierung der Arbeitszeitgesetze“ eingebracht, der insbesondere wegen seiner radikalen Anhebung der regulären Grenzen der Gesamtarbeitszeit auf 12 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich viel Staub aufgewirbelt hat. Nun ist heute, am 29. Juni 2018, ein Abänderungsantrag der Regierungsparteien eingebracht worden, der Entschärfungen bringen soll, insbesondere eine von den Klubobleuten der Regierungsparteien sogenannte „Freiwilligkeitsgarantie“ zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche. Wie stellt sich das Gesetzesvorhaben jetzt insgesamt dar?
Der Abänderungsantrag zum 12-Stunden-Tag-Gesetz ist ein Papiertiger. Es bleibt dabei:
- Die Grenze der Tagesarbeitszeit, bis zu der vom Arbeitgeber jederzeit legal Überstunden angeordnet werden können, wird von 10 Stunden generell auf 12 Stunden angehoben, die Wochengrenze von 50 auf 60. Die Planbarkeit von Familienleben und Freizeit wird damit schwer beeinträchtigt, bei entsprechender Häufigkeit der Anordnung auch die Gesundheit.
Die durch den Abänderungsantrag vorgesehene Möglichkeit, Überstunden über die 10. Tagesstunde/die 50. Wochenstunde hinaus ohne Begründung abzulehnen, ist besser als die Ursprungsvariante, kann aber nur eine sehr relative „Freiwilligkeit“ bringen. Das Arbeitsrecht ist vom Gesetzgeber mit gutem Grund seit jeher als Schutzrecht konstruiert worden, auf das die – auf ihr Einkommen und ein gutes Betriebsklima angewiesenen – ArbeitnehmerInnen selbst freiwillig nicht verzichten können. Wenn ArbeitnehmerInnen nun nicht mehr automatisch durch die 10 Stunden-Grenze und die 50 Stunden-Grenze geschützt werden, sondern gegenüber Vorgesetzten und KollegInnen auf ihrem Ablehnungsrecht beharren müssen, räumt der entstehende Druck schnell mit der Freiwilligkeit auf …
Dagegen hilft auch das Benachteiligungsverbot nur wenig: Der/Die ArbeitnehmerIn muss im Streitfall vor Gericht beweisen, dass z. B. eine Beförderung wegen der vor einem halben Jahr abgelehnten Überstunden unterblieben ist, dass die Aufnahme auf die Kündigungsliste im Stellenabbau wegen ein bisschen zu viel Freiwilligkeit erfolgt ist, usw. Wer riskiert den Arbeitsplatz, wer lässt sich schon gerne auf ein Gerichtsverfahren ein, wem gelingt der Nachweis der Benachteiligung …?
- Ein Anspruch auf eine 4-Tage-Woche als Ausgleich für angeordnete 12-Stunden-Tage findet sich auch nach dem Abänderungsantrag nach wie vor nicht. Die jetzt geschaffene Möglichkeit, sich für Zeitausgleich statt Geld als Abgeltungsform zu entscheiden, sagt ja nichts darüber aus, ob der Zeitausgleich zusammenhängend in Form von ganzen Tagen genommen werden kann und zu welchem konkreten Zeitpunkt er stattfindet. Hier sind die ArbeitnehmerInnen weiter von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig. Erst ein halbes Jahr später, wenn noch immer keine Vereinbarung über den Zeitausgleichskonsum zustande gekommen ist, können ArbeitnehmerInnen mit 4-wöchiger Vorankündigung einseitig Zeitausgleich nehmen. Wenn sie sich trauen …
- Unverändert werden Betriebsräte um ihr Zustimmungsrecht zu Überstunden bis zum 12 Stunden-Tag/zur 60 Stunden-Woche gebracht – und damit um die Möglichkeit, eine bessere Abgeltung, geblockten Zeitausgleich und Ähnliches für die ArbeitnehmerInnen herauszuverhandeln.
Dass schon jetzt bestehende Betriebsvereinbarungen laut Abänderungsantrag „nicht berührt“ werden, mag gut gemeint sein, aber bekanntlich ist gut gemeint oft das Gegenteil von gut: 1. können solche günstigen Betriebsvereinbarungen überall dort, wo es sie bisher nicht gegeben hat, generell nicht mehr abgeschlossen werden und bleiben die ArbeitnehmerInnen daher dort in Zukunft ohne Schutz und „Goodies“ für die Extra-Überstunden; 2. sind solche Betriebsvereinbarungen oft für einen bestimmten Anlass oder einen bestimmten Zeitraum abgeschlossen worden und danach für alle Zukunft wirkungslos und 3. hindert den Arbeitgeber niemand, eine geltende Betriebsvereinbarung zu kündigen. Dieser Typ von Betriebsvereinbarung (eine sogenannte Zulassungsbetriebsvereinbarung) erlischt damit ohne Nachwirkung – das heißt für den Arbeitgeber: Weg mit dem Vereinbarungskrempel – in alle Zukunft kann die 11. und 12. Stunde ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat angeordnet werden …
Es ist einmalig in der Zweiten Republik, dass der Gesetzgeber den Betriebsräten ein von der Arbeitsverfassung gewährtes Mitbestimmungsrecht streicht. Die betriebliche Sozialpartnerschaft ist ein österreichisches Erfolgsmodell, das von den durch starke Betriebsräte vertretenen Belegschaften genauso geschätzt wird wie von klugen Arbeitgebern, die in den Betriebsräten Ansprechpartner haben, über die strukturiert und planvoll mit den MitarbeiterInnen kommuniziert und verhandelt werden kann. Diese österreichische Stärke gehört ausgebaut und nicht beschädigt.
Unverändert bleiben auch nach dem Abänderungsantrag folgende Probleme der Gesetzesinitiative:
- Der Kreis von Menschen, die überhaupt keinen gesetzlichen Schutz zum Thema Arbeitszeit genießen – also nicht einmal die 12-stündige Begrenzung der Tagesarbeitszeit, Ansprüche auf Nachtruhe, freie Wochenenden und Feiertage – wird beträchtlich ausgedehnt. Waren bisher nur „leitende Angestellte“ (im Wesentlichen die erste und zweite Managementebene) von Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz ausgenommen, sollen es in Zukunft auch ArbeitnehmerInnen mit „maßgeblicher selbständiger Entscheidungsbefugnis“ sein, deren Arbeitszeit „nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird“.
Das könnte also heißen: ArbeitnehmerInnen, die wegen ihrer guten Spezialkenntnisse relativ selbstständig arbeiten (IT-SpezialistInnen, TechnikerInnen, WissenschafterInnen, MitarbeiterInnen in Kreativbranchen, JournalistInnen, Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen …), mit denen „Vertrauensarbeitszeit“ vereinbart wird (teile dir deine Arbeit selbst ein, Hauptsache, du erledigst die dir aufgetragene große Arbeitsmenge zu unserer Zufriedenheit!), stehen zukünftig ohne jeden arbeitszeitgesetzlichen Schutz da … Das heißt übrigens auch: Soweit nicht der für die betreffende Person geltende Kollektivvertrag Überstundenentgelt vorsieht, besteht nicht einmal ein Anspruch auf Überstundenzuschläge!
- Derzeit kann durch Kollektivvertrag für Beschäftigte im Hotel- und Gastgewerbe in Saisonbetrieben (!) die tägliche Ruhezeit auf 8 Stunden gekürzt werden, um auf diese Weise Freizeitblöcke zu erzeugen, die insbesondere am Ende der Saison konsumiert werden und so die Phase der Saisonarbeitslosigkeit verkürzen. Die ArbeitnehmerInnen wohnen in diesen Fällen im oder sehr nahe dem Betrieb, sind oft fern von ihrem Heimatort und können damit in vielen Fällen mit der vom Kollektivvertrag garantierten geblockten Freizeitphase mehr anfangen als mit den regulären täglichen Ruhezeiten.
Der Gesetzesentwurf ermöglicht nun ohne jeden kollektivvertraglichen Schutz durch entsprechende Diensteinteilung oder einseitige Überstundenanordnung die Ruhezeitverkürzung auf 8 Stunden auch im ganzjährigen Tourismus! Voraussetzung ist ein geteilter Dienst.
Das kann etwa für KellnerInnen in Wien, Graz, Salzburg oder Innsbruck bedeuten: 8 Uhr Arbeitsbeginn mit dem Servieren des Frühstücks, übergehend in das Service zu Mittag, dann ein paar Stunden Freizeit (was tun damit – den vielleicht langen Weg nach Hause und wieder zurück fahren?), Service am Abend und an der Hotelbar bis Mitternacht, dann die 8-stündige Ruhezeit: vielleicht eine Stunde heimfahren, Körperpflege, ein paar Stunden schlafen, aufstehen, duschen und wieder eine Stunde in die Arbeit fahren … Freizeit? Familienleben? Vergiss es!
Der Tourismus klagt über Arbeitskräftemangel und will Personal bereits außerhalb der EU suchen. Anstatt die Arbeitsbedingungen in dieser für Österreich wichtigen Branche zu verbessern, werden sie so in Grund und Boden gefahren.
- Dort, wo es erforderlich ist, bestehen nach derzeitiger Gesetzeslage Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe (Gastronomie, Verkehr, Gesundheitsbetriebe, Kino, Theater und sonstige Freizeiteinrichtungen, Medien, Produktionsbetriebe, in denen aus technischen Gründen die Produktion nicht unterbrochen werden kann, usw.). Neue, notwendige Ausnahmen werden durch Verordnung des Sozialministeriums oder Kollektivvertrag eingeführt. Für vier Sonn- oder Feiertage im Jahr soll der Arbeitgeber künftig auch ohne solche Notwendigkeit mit dem Betriebsrat, in Betrieben ohne Betriebsrat mit jedem/jeder einzelnen ArbeitnehmerIn Ausnahmen von der Wochenend- oder Feiertagsruhe vereinbaren können. Die österreichischen Bischöfe haben diesen Eingriff in die Sonn- und Feiertagsruhe ohne zwingende sachliche Notwendigkeit scharf verurteilt.
Auch hier gilt nach dem Abänderungsantrag – so wie bei den angeordneten 12-Stunden-Tagen und 60-Stunden-Wochen – das theoretische Ablehnungsrecht. Wem der Besuch der Heiligen Messe, der Familienausflug, der Städtetrip nach London usw. wichtiger ist als die angeordnete Sonn- oder Feiertagsarbeit, kann also Nein sagen. Der Einsatz der eigenen sozialen Intelligenz zur Beurteilung allfälliger Spätfolgen auf das Betriebsklima und die Position im Betrieb ist freilich auch hier empfohlen …