Die Sozialpartner einigten sich im Juni 2017 darauf, in Österreich einen flächendeckenden Mindestlohn von zumindest 1.500 Euro im Monat einzuführen. Bis zum Jahr 2020 soll dieser in allen Branchen umgesetzt werden. Eine neue Studie des WIFO zeigt: Der Mindestlohn würde die Einkommen von Niedriglohnbeschäftigten deutlich erhöhen. Die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte sind hingegen gering. Die Ergebnisse passen gut zu vergleichbaren Untersuchungen für Österreich und andere Länder.
Der Mindestlohn – theoretisch umstritten, breit erforscht
Nur wenige Themen der Arbeitsmarktökonomie wurden und werden so kontrovers diskutiert wie der Mindestlohn. Frühere theoretische Betrachtungen gingen von einem Arbeitsmarkt mit vollständigem Wettbewerb aus, in denen ein Mindestlohn immer zu negativen Beschäftigungseffekten führt. Die neuere Literatur zeigt dagegen, dass ein Mindestlohn auch zu einem Anstieg der Beschäftigung führen kann, wenn der Konsum und dadurch die Wirtschaftsleistung steigen. Zahlreiche empirische Untersuchungen, insbesondere aus den USA und Großbritannien, finden keine oder nur geringe negative Auswirkungen eines Mindestlohnes auf die Beschäftigung und untermauern so die theoretischen Befunde. Auch aus Deutschland gibt es bereits erste Studien zu den Folgen der Mindestlohneinführung im Jahr 2015, die keine oder nur geringe Beschäftigungseffekte finden, aber dafür zufriedenere und produktivere Beschäftigte.
Die Studie des WIFO wurde in zwei Schritten erstellt: Zunächst wurden mit dem WIFO-Mikrosimulationsmodell die Auswirkungen eines Mindestlohns auf die Einkommen von Personen und Haushalten berechnet, und deren Verteilung untersucht. Danach wurden die Ergebnisse der Mikrosimulation ins WIFO-Makromodell übernommen und so die gesamtwirtschaftlichen Effekte eines Mindestlohns berechnet. Die Simulationen wurden für einen monatlichen Mindestlohn in der Höhe von 1.500 € und 1.700 € durchgeführt.
Ein breiter Personenkreis ist vom Mindestlohn betroffen
Die Berechnungen mit dem Mikromodell zeigen, dass von einem Mindestlohn von 1.500 € pro Monat 291.000 Personen oder neun Prozent der unselbstständig Beschäftigten profitieren würden. Der durchschnittliche Stundenlohn der betroffenen Beschäftigten würde dadurch um 17 Prozent zunehmen. Ein Mindestlohn von 1.700 € würde 548.000 Personen betreffen, das sind 17 Prozent der unselbstständig Beschäftigten. Der durchschnittliche Stundenlohn jener Personen steigt dadurch um 19 Prozent.
Frauen würden etwa doppelt so stark von einer Einführung des Mindestlohns profitieren wie Männer. Die Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen und Personen mit maximal Pflichtschulabschluss sind ebenfalls stark betroffen. Markant sind die Unterschiede bei Arbeitszeit und Vertragsdauer: Teilzeitbeschäftigte profitieren anteilsmäßig deutlich stärker als Vollzeitbeschäftigte, Beschäftigte mit befristeten Dienstverhältnissen deutlich mehr als solche mit unbefristeten Dienstverhältnissen. Insbesondere aber profitieren Niedriglohnbeschäftigte: Ein Mindestlohn von 1.500 € würde deren Einkommen deutlich erhöhen; bei 1.700 € würde die Niedriglohnbeschäftigung vollständig eliminiert werden. Beschäftigte im Handel und in der Gastronomie, jene in kleinen und mittleren Betrieben und jene in dichter besiedelten Regionen sind vom Mindestlohn besonders stark betroffen.
Positive Verteilungseffekte
Gut sechs Prozent aller Haushalte und 14 Prozent aller Haushalte mit mindestens einer (stabil) beschäftigten Person sind von einem Mindestlohn in der Höhe von 1.500 € betroffen. Die untere Hälfte der Einkommensverteilung profitiert dabei erwartungsgemäß am stärksten (siehe Abbildung 1). Lohneinkommen spielen im untersten Dezil jedoch anteilsmäßig gegenüber Pensions- und Transfereinkommen eine geringere Rolle als in den darüber liegenden Einkommensgruppen. Betrachtet man daher alle Haushalte (und nicht nur solche mit unselbstständig Beschäftigten), dann ist der Effekt in der untersten Einkommensgruppe niedriger als in den nächst höher gelegenen. Danach wird der Anteil der betroffenen Personen und Haushalte in der Tendenz umso geringer, je höher die Einkommensgruppe ist. Deutlicher sind die Verteilungseffekte innerhalb der (stabil) unselbstständig Beschäftigten: Gut 40 Prozent der Haushalte im untersten Zehntel sind von einem Mindestlohn von 1.500 € betroffen. Bei einem Mindestlohn von 1.700 € profitieren zehn Prozent aller Haushalte und 21 Prozent der Beschäftigtenhaushalte. Im untersten Zehntel sind das mehr als die Hälfte der Beschäftigtenhaushalte.