Gegen den langjährigen Widerstand der meisten Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände wurde in Deutschland zum 1. Januar 2015 erstmals ein allgemein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Und das obwohl große Teile der deutschen Wirtschaftswissenschaft in zahlreichen Studien davor gewarnt hatten, dass durch den Mindestlohn bis zu einer Million Arbeitsplätze verloren gehen würden. Das war aber nicht der Fall. Vielmehr haben Millionen Beschäftigte von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns profitiert, ohne dass hierdurch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt entstanden wären.
Der Gesetzgeber reagierte nach einer mehr als 10jährigen politischen Auseinandersetzung mit Mindestlohn auf die anhaltende Erosion des deutschen Tarifvertragssystems und die sinkende Tarifbindung. Derzeit fallen nur noch 58% aller Beschäftigten in Deutschland unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages. Besonders ausgeprägt war der Rückgang der Tarifbindung in vielen privaten Dienstleistungsbranchen, in deren Folge sich der Niedriglohnsektor immer weiter ausbreitete. So gab es im Jahr 2014 zwischen 4,8 und 5,4 Millionen Beschäftigte, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Dies entsprach einem Anteil von 14,8 bis 16,6% aller Beschäftigten. Bei Frauen lag der Anteil der Beschäftigten mit weniger als 8,50 Euro pro Stunde doppelt so hoch wie bei Männern.
Zur Einordnung ein grober Vergleich: In Österreich beträgt die Kollektivvetragsabdeckung immer noch nahezu 100 % und der praktisch durchgesetzte kollektivvertragliche Lohnuntergrenze 1.300 Euro im Monat. Das entspricht bei 38,5 Stunden Normalarbeitszeit die Woche einem Stundenlohn von 7,78 Euro. Berücksichtigt man jedoch, dass in Österreich kollektivvertraglich mindestens 14. Monatsgehälter bezahlt werden, so liegt der Mindestlohn faktisch bei 9,09 Euro pro Stunde.
Überdurchschnittlich hohe Lohnzuwächse im Niedriglohnsektor
Mit der Einführung des Mindestlohns hat sich erstmals der seit langem beobachtbare Trend zu mehr Lohnungleichheit in Deutschland wieder umgekehrt. Insbesondere ungelernte und gering qualifizierte Beschäftigte konnten im Laufe des Jahres 2015 überdurchschnittlich hohe Lohnzuwächse verzeichnen. Während die Bruttostundenlöhne im 3. Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 2,0% anstiegen, waren es bei den angelernten Beschäftigten 2,4% und bei den Ungelernten 3,7%. Besonders hoch waren die Lohnzuwächse in Ostdeutschland, wo Angelernte 5,5% und Ungelernte sogar 8,2% mehr verdienten. Ähnliches gilt für geringfügig Beschäftigte (die so genannten Minijobber, also geringfügig oder nur sehr kurz Beschäftigte), deren Löhne ebenfalls deutlich schneller als bei anderen Beschäftigtengruppen angehoben wurden.
Der Einfluss des Mindestlohns zeigt sich schließlich auch in den überdurchschnittlich hohen Lohnzuwächsen in einigen klassischen Niedriglohnbranchen wie z.B. der Fleischindustrie, dem Einzelhandel oder dem Wach- und Sicherheitsgewerbe. In Ostdeutschland kam es in diesen Branchen sogar zu zweistelligen Zuwachsraten. Wie viele Beschäftigte nun letztendlich von der Einführung des Mindestlohns genau profitiert haben, lässt sich aber aufgrund der aktuellen Datenlage noch nicht exakt beziffern.