Die Politische Ökonomie der Einkommensverteilung: Ergebnisse für Österreich nach Branchen

05. Oktober 2016

Seit den 1980er Jahren kam es zu einem signifikanten Rückgang der Lohnquote, also des Lohnanteils am Bruttoinlandsprodukt, sowohl in den entwickelten als auch in den Entwicklungsländern. In unserer aktuellen Studie  untersuchen wir die Ursachen dieses Rückgangs anhand von Branchendaten aus unterschiedlichen OECD-Ländern, wobei für Österreich eine vertiefende Analyse erfolgt. Unsere Ergebnisse zeigen einen starken Einfluss politischer und machtbedingter Faktoren und stützen somit Erklärungsansätze, die eine starke polit-ökonomische Dimension aufweisen. Der Fall der Lohnquote wurde maßgeblich vom Rückgang der Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen befördert, insbesondere vom sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad.

Für die detaillierte Untersuchung wurde zunächst ein Branchendatensatz erstellt, der neun OECD-Länder umfasst (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweden, Spanien, UK und die USA). Die Verwendung von Branchendaten erlaubt es uns, die unterschiedlichen Entwicklungen der Löhne im Verhältnis zur Produktivität getrennt nach Sektoren mit hohen bzw. niedrigen Qualifikationsanforderungen, aber auch nach dem Produktions- und Dienstleistungssektor zu untersuchen.

Die sinkende Lohnquote und ihre Ursachen

Die Globalisierung hatte in allen betrachteten Ländern einen massiv dämpfenden Einfluss auf den Lohnanteil. In Österreich, Deutschland und zu einem geringeren Grad im Vereinigten Königreich beruht dieser Effekt vor allem auf Abflüssen von Investitionen ins Ausland und der damit verbundenen steigenden Einfuhr von Vorprodukten. Diese Entwicklung spiegelt die Bedeutung internationaler Outsourcing-Praktiken wider.

Die Finanzialisierung, also die zunehmende Bedeutung der Finanzmärkte, hatte in Österreich, dem Vereinigten Königreich und den USA sehr klar negative Effekte, aber auch für Deutschland ist ein Effekt nachweisbar.Außerdem fanden wir Belege für eine negative Auswirkung der persönlichen Einkommenskonzentration auf die Lohnquoten in diesen vier Ländern.

Technologischer Wandel, bislang der wichtigste Faktor für die Erklärung ansteigender Ungleichheit in Mainstream-Studien, hat keinen robusten Einfluss. Das heißt, dass jene Variablen, die den technischen Fortschritt abbilden, keinen signifikanten Effekt aufweisen, sobald man andere Variablen in die Analyse miteinbezieht. Selbst in jenen Modellspezifikationen, die für Österreich, Italien und die USA einen negativen Zusammenhang zwischen technologischem Wandel und Lohnanteil am Gesamteinkommen zeigen, ist der technologische Wandel ökonomisch stets weniger bedeutend als Variablen wie der gewerkschaftliche Organisationsgrad, die Globalisierung oder die Finanzialisierung.

Österreichs Lohnquote stark gefallen

Österreich erfuhr unter den europäischen Ländern einen der stärksten Rückgänge der Lohnquote – vom Höchststand von 66,2 % im Jahr 1978 auf 52,8 % im Jahr 2007, also noch vor der Krise. Im Jahr 2015 liegt sie mit 55,5 % immer noch 10,6 % unterhalb des Höchststands. Von den einzelnen Einflussfaktoren wirkte sich die Veränderung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Österreich am stärksten aus. Die abnehmende Gewerkschaftsdichte erklärt 85,1 % des durchschnittlichen Rückgangs der Lohnquote.

Im Zeitraum von 1996 bis 2007 finden wir für jene Variablen, die die Globalisierung messen, einen beachtlichen negativen Effekt. Einerseits sind dies die Einfuhr von Vorprodukten als Maß für das internationale Outsourcing und andererseits die Direktinvestitionen im Ausland, für die wir einen etwas kleineren Effekt finden. Finanzialisierung wird gemessen anhand der Haushaltsverschuldung sowie der Zins- und Beteiligungserträge nicht-finanzieller Unternehmen im Verhältnis zu ihrer Kapitalausstattung. Auch für diese Variablen finden wir einen klaren negativen Effekt auf die Lohnquote.

Der negative Effekt des technologischen Wandels ist vergleichsweise kleiner und nicht immer signifikant. Um den technologischen Fortschritt zu messen, setzen wir den Anteil der Informations- und Telekommunikationsinvestitionen im jeweiligen Sektor ins Verhältnis zur Wertschöpfung in diesem Sektor.

Migration hat positiven Effekt auf die Lohnquote

Die Resultate deuten darauf hin, dass Migration einen sehr starken positiven Effekt auf die Lohnquote hatte. Steigende Kapitalimporte und Einfuhren von Konsumgütern hatten ebenfalls erhebliche positive Effekte.

Zusammenfassend zeigt unsere Studie, dass der Anstieg der Ungleichheit in Österreich weniger als eine unweigerliche Folge des technischen Fortschritts zu sehen ist, sondern eher auf sich öffnende Spielräume und Ausweichmöglichkeiten für Kapital zurückgeht. Diese ergeben sich aus einer gestiegenen Kapitalmobilität in Form von Outsourcing, Direktinvestitionen und Finanzialisierung. Gleichzeitig sind mit dem Rückgang der Verhandlungsmacht bei Kollektivverträgen die Spielräume für ArbeitnehmerInnen geschrumpft. Der Anteil migrantischer Arbeitskräfte an der gesamten Beschäftigung zeigt keinen negativen Einfluss auf die Lohnquote – auch nicht im Dienstleistungssektor, in dem vornehmlich niedrig qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt werden.

Der Rückgang der Lohnquote ist das beabsichtigte Ergebnis jener politischen Maßnahmen, die sowohl in Österreich als auch in ganz Europa in einen Teufelskreis aus steigender Ungleichheit, Finanzialisierung, chronischer Nachfrageschwäche und einem Abschwung bei Investitionen und Wachstum führten.

Dass die globale wirtschaftliche Integration negative Effekte mit sich bringt, ist kein unvermeidliches Schicksal, sondern vielmehr das Ergebnis der momentanen nationalen und internationalen politischen Maßnahmen. Offenheit und regionale Integration könnten auch so gestaltet werden, dass sowohl die reicheren als auch die ärmeren Partner davon profitieren. Dazu müssten Handels- und Investitionsströme als Teil einer gleichheits- und wachstumsorientierten internationalen Wirtschaftspolitik gestaltet werden. Im europäischen Kontext haben progressive Bewegungen eine bessere gemeinsame Basis, als sie derzeit ausnutzen. Es gibt Spielraum für internationale Zusammenarbeit, falls die derzeitigen Hürden in der Koordination ausgeräumt werden können.

Die empirische Evidenz zeigt, dass alternative politische Konzepte benötigt werden, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Diese müssen auf einem koordinierten Policy Mix basieren, der sich auf die Beseitigung von Einkommensungleichheit und öffentliche Investitionen stützt. Onaran und Obst zeigen, dass der Mythos zurückzuweisen ist, arbeitnehmerInnenfreundliche Politik sei in Zeiten der Globalisierung nicht möglich. Österreich ist als Teil Europas stark genug, eine egalitäre, lohngetriebene Wachstumsstrategie zu verfolgen. Gleichzeitig würde Österreich von einer koordinierten Steigerung der Lohnquote profitieren. Daher könnten und sollten Österreich und andere Länder in Europa Schritte ergreifen, die eine radikalen Umkehr im gobalen Trend der Lohnquote bewirken.

Fazit

Die Strategie solch einer lohngetriebenen Entwicklung erfordert arbeitsmarktpolitische Lösungen, die auf die Verteilung der Markteinkommen ebenso abzielen wie auf Umverteilung durch die öffentliche Hand. Diese Maßnahmen beinhalten eine Stärkung der Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen, etwa durch das Sicherstellen einer höheren Kollektivvertragsabdeckung insbesondere auf europäischer Ebene. Zudem sind die Gleichstellung der Geschlechter und vernünftige Lohnrelationen zwischen Hoch- und Niedriglöhnen durchzusetzen, um die Einkommensungleichheit abzumildern. Die Progressivität des Steuersystems muss wiederhergestellt werden.

Diese Politiken der Einkommensverteilung müssen in einen größeren makroökonomischen und industriepolitischen Policy Mix eingebunden sein. Dieser soll eine Verringerung von Einkommensungleichheit, Vollbeschäftigung und ökologische Nachhaltigkeit zum Ziel haben. Dazu ist es notwendig, den Finanzsektor und die Führungsstruktur von Kapitalgesellschaften ebenso wie die internationale Kapitalmobilität zu regulieren und ein öffentliches Investitionsprogramm umzusetzen. Im Mittelpunkt substanzieller öffentlicher Investitionen sollten eine umweltfreundliche physische Infrastruktur, erneuerbare Energie, Öffentlicher Verkehr, Wohnungsbau und soziale Infrastruktur im Pflege-, Bildungs- und Gesundheitsbereich stehen.

Dieser Beitrag basiert auf Nummer 156 der Working Paper Reihe „Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft“ der AK Wien.