Man trifft sie beim Haareschneiden, wenn sie den Kaffee servieren oder das Büro putzen: Beschäftigte, die weniger als 1.500 Euro im Monat verdienen. Mehr als 350.000 Menschen in der Privatwirtschaft verdienen gemessen an Vollzeitarbeit weniger als 1.500 Euro brutto im Monat. Zwei Drittel davon sind Frauen.
Sie tun in ihrer Arbeit viele Dinge, die wir täglich in Anspruch nehmen. Wer einkaufen geht, ins Kaffeehaus oder ins Restaurant, sich die Haare schön machen oder einen schönen Blumenstrauß binden lässt, saubere Kleidung aus der Reinigung holt oder Zeuge wird, wenn Büros blitzblank geputzt werden, der begegnet ihnen: Menschen, die weniger als 1.500 Euro bei Vollzeit für ihre Arbeit erhalten.
Damit ist für viele Männer und noch mehr Frauen ein Einkommen Lebensalltag, mit dem man in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten nur schwer über die Runden kommt. Jede sechste beschäftigte Frau und fast jeder zwölfte Mann lag zu Beginn der Sozialpartnerverhandlungen unter der angestrebten Mindestgrenze von 1.500 Euro. In diesem Fall von “Verdienst” zu sprechen, mutet eigentlich zynisch an. Denn diese Menschen verdienen definitiv mehr. Und auch die 200.000 Teilzeitbeschäftigten, die umgerechnet auf Stundenbasis unter dieser Grenze liegen, müssen anteilig mehr bekommen.
Frauenbranchen = Mindestlohnbranchen
Gerade jene Branchen, wo viele Frauen Arbeit finden, sind Niedriglohnbranchen. Die größte ist der Bereich Hotellerie und Gastgewerbe, wo 120.000 Beschäftigte bzw. 57 Prozent der Beschäftigten für weniger als 1.500 Euro brutto arbeiteten. Dort haben sich die Sozialpartner mittlerweile erfreulicherweise auf einen österreichweiten KV-Mindestlohn von über 1.500 Euro brutto ab 2018 geeinigt. Im Handel erhält knapp jeder Zehnte ein Einkommen unter der Niedriglohngrenze. Sowohl in der Gastronomie als auch im Handel sind deutlich mehr als die Hälfte der Beschäftigten weiblich. Da zudem beide sehr große Branchen sind, sind es zwei der wichtigsten Beschäftigungsbereiche für Frauen überhaupt.
Im Bereich „sonstige wirtschaftsnahe Dienstleistungen“, zu dem u. a. Arbeitskräfteüberlassung, Wach- und Sicherheitsdienste oder Gebäudebetreuung zählen, waren ein Viertel aller Beschäftigten zu Niedriglöhnen tätig. Ebenfalls von niedrigen Löhnen betroffen sind rund 14.000 FriseurInnen und 35.000 von insgesamt 40.000 Reinigungskräften.
Die InnungsmeisterInnen mehrerer Niedriglohnbranchen (FloristInnen, TextilreinigInnen, KonditorInnen) wehren sich im wahrsten Sinne des Wortes gegen das Mindeste und setzen dabei auf Verzögerungstaktik: Sie wollen die Anhebung bis 2025 hinausschieben. Möglicherweise hoffen sie auf die Geduld der überwiegend weiblichen Beschäftigten in diesen Bereichen. Diese zynische Strategie darf ihnen keinesfalls durchgehen, denn faire Lohnpolitik schaut anders aus.
Arme Frauen, arme Familien
Mit 1.500 Euro brutto monatlich kommt man netto auf ca. 1.200 Euro. Das liegt halbwegs solide über der aktuellen Armutsgrenze von 1.000 Euro pro Monat (14x jährlich). Aber auch wenn es sich mit dem Lohn gerade noch ausgeht: Spätestens wenn man eine Sozialleistung braucht, kann es eng werden. Denn wichtige Leistungen wie Arbeitslosengeld, Krankengeld oder eine Unfallrente berechnen sich aus dem vorangegangenen Einkommen. So beträgt beispielsweise das Arbeitslosengeld 55 Prozent des vorangegangenen Nettoeinkommens, das wären bei 1.500 Euro dann 660 Euro. Damit findet man sich deutlich unter der Armutsgrenze wieder. Von noch geringeren Löhnen gar nicht zu reden.
Bei den Alleinerziehenden ist ein Viertel arm trotz Arbeit. Wie weitgehend bekannt ist, sind 90 Prozent der Alleinerziehenden Frauen. Damit wird deutlich, was in der Mindestlohndiskussion wenig Beachtung findet: Dass Kinder von Armut betroffen sind, weil ihre Eltern zu wenig verdienen.
Bei Paaren sollten auch die Männer ein Interesse daran haben, die Einkommensposition der Frauen zu verbessern. Denn nur ein ausreichend hohes Fraueneinkommen ermöglicht einen finanziellen Ausgleich, wenn ein Mann aufgrund von Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit als Verdiener ausfällt. Und auch im Falle einer Trennung geht es allen besser, wenn beide Teile ein Einkommen haben, von dem sie auch leben können.
Europäische Ungleichheits-Spitze
Um Niedriglohn über verschiedene Länder hinweg vergleichbar zu machen, wurde ein eigener Indikator geschaffen. Niedriglohn ist hier definiert als weniger als zwei Drittel des durchschnittlichen Einkommens. Vergleicht man Österreich dabei mit anderen EU-Ländern, so zeigt sich, dass in Fragen der Gendergerechtigkeit hierzulande ein Problem besteht.
Zwar liegt Österreich beim Anteil der Niedriglohn-BezieherInnen insgesamt im EU-Ranking im mittleren Bereich – wir haben aber den größten Unterschied zwischen den Geschlechtern in der gesamten EU. So haben in Österreich 25 Prozent der beschäftigten Frauen, aber nur acht Prozent der beschäftigten Männer einen solchen Niedriglohn. Nirgends anders ist der Abstand höher.
Auch wenn viel Energie darauf verwendet wird, den Einkommensnachteil weg zu erklären: Die Daten zeigen etwas Anderes. Denn selbst wenn Branche, Beruf, Bildungsniveau, Alter, Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Vollzeit/Teilzeit, Art des Arbeitsvertrags, Region und Unternehmensgröße rausgerechnet werden, bleibt ein Nachteil von fast 14 Prozent für Frauen. Zur Veranschaulichung: 14 Prozent von 1.500 Euro sind 210 Euro. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass 200 Euro monatlich mehr oder weniger in dieser Einkommensgruppe einen spürbaren Unterschied machen. Deswegen müssen auch die 1.700 Euro im nächsten Schritt das Ziel sein.
Wirtschaftlich sinnvoll
Ein höherer Mindestlohn ist nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit dringend notwendig – er ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Haushalte mit niedrigen Einkommen müssen einen großen Teil ihres Geldes für Lebenshaltungskosten ausgeben, Lohnerhöhungen landen demnach nicht am Sparbuch, sondern direkt im Wirtschaftskreislauf. Gerade der Handel würde von der Erhöhung des Mindestlohns doppelt profitieren, weil das zusätzliche Geld in den Konsum fließt. Das sollte für Unternehmen eigentlich ein überzeugendes Argument sein.
Dieser Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung des Artikels „Beschäftigt, weiblich, unterbezahlt“ aus der „Arbeit und Wirtschaft“ Printausgabe 3/2017