Bei der Debatte um die Arbeitszeitflexibilisierung und den 12-Stunden-Tag ist ein neuer Aspekt in den Fokus gerückt: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Während die Einen behaupten, der 12-Stunden-Tag würde dabei wesentliche Verbesserungen bringen, sehen die Anderen das Ende der Familie kommen. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie sich die Situation aus Sicht der Kinder darstellt.
Eine wichtige Maßnahme zur Stärkung der Familienfreundlichkeit sei die Arbeitszeitflexibilisierung mit dem 12-Stunden-Tag, wird seitens der BefürworterInnen eines solchen argumentiert. Indem etwa ein Elternteil zwei Mal zwölf Stunden arbeitet und dann zu Hause bei den Kindern ist und der andere Elternteil es umgekehrt macht.
Das ist allerdings ein krasser Widerspruch zu den Anliegen der Wirtschaft, die möchte, dass dann gearbeitet wird, wenn Arbeit anfällt. Wie überhaupt ein wesentlicher Kern der Debatte in der banalen Frage liegt: Wer entscheidet über die Arbeitszeit? Und hier gibt es einen klaren Interessenskonflikt: Während es der verständliche Wunsch der UnternehmerInnen ist, ihre Beschäftigten nach Anfall der Arbeit einzusetzen, ist es der genauso verständliche Wunsch von Eltern, ihre Arbeitszeiten an die familiären Bedürfnisse anzupassen.
Halbierte Familie
Aber selbst wenn das Modell der Vereinbarkeit via 12-Stunden-Tag umsetzbar wäre: Es würde dem Wort “Eltern-Teil” eine ganz neue Bedeutung geben. Denn tatsächlich würde das zu einer Auf-Teilung der Familie führen, sodass die Kinder – zumindest unter der Woche – nur mehr entweder Vater oder Mutter sehen. Auch Paare bekämen einander kaum noch zu Gesicht. Ein krasser Widerspruch zum konservativen Familienbild, das die Gemeinsamkeit betont.
Und die ist auch wesentlich. Denn wenn im Alltag gemeinsame Zeiten, wie z.B. miteinander abendzuessen, weitgehend verschwinden, geht das Gefühl von Gemeinsamkeit verloren. Es braucht auch Zeit für gegenseitige Unterstützung, z. B. um mit den Kindern Hausaufgaben zu machen und zu lernen – oder einfach um darüber zu reden, wie der Tag war. Schließlich wollen Eltern täglich am Leben der Kinder teilhaben, anstatt sie nur in Freizeitblöcken zu sehen. Umgekehrt gilt das aus Sicht der Kinder natürlich genauso.
Das Homeoffice, das als eine mögliche Lösung für das Dilemma propagiert wird, bringt dabei kaum Verbesserungen. Erstens ist es nur für klassische Bürojobs möglich, womit ein Großteil der ArbeitnehmerInnen keine Berücksichtigung findet. Zweitens weiß jeder, der schon einmal Kinder beaufsichtigt hat, dass daneben zu arbeiten schwierig bis unmöglich ist. So bleibt einzig die Ersparnis der Fahrzeit zum Arbeitsplatz als echter Gewinn. Das kann sicher eine Entlastung sein – eine Kompensation für einen 12-Stunden-Tag ist es nicht.
12-Stunden-Tag mit Kindern vereinbar?
Eigentlich müsste man die Frage anders stellen: Ist der 12-Stunden-Tag mit Kindern vereinbar? Wenn man davon ausgeht, dass Kinder Stabilität und Zuverlässigkeit brauchen, ist die Antwort zwangsläufig: schwerlich.
Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass bei Einführung der generellen Möglichkeit die Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden zu erhöhen, auch in allen Betrieben dauernd 12 Stunden gearbeitet wird. Die Unsicherheit für die Beschäftigten könnte sich aber beträchtlich erhöhen, da noch nicht klar ist, wann und wie oft so lange Tage angeordnet werden können. Das spießt sich ganz massiv mit familiären Betreuungspflichten, die Planbarkeit brauchen – und auch mit dem Bedürfnis der Kinder nach vorhersehbaren Tagesabläufen.
Freizeitblöcke sind dafür kein Ausgleich, denn es geht um Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit. Zudem gibt es auch hier ein starker Widerspruch zu den Anliegen der Wirtschaft: Bei Durchrechnungszeiträumen von bis zu zwei Jahren, wie sie gefordert werden, bedeutet das, dass ArbeitgeberInnen ihre Beschäftigten nach Hause schicken möchten, wenn gerade wenig Arbeit da ist, sodass am Ende der Durchrechnung keine Zuschläge fällig werden. Das heißt, nicht nur die Zeiten, in denen mehr Stunden zu arbeiten sind, wären nicht vorhersehbar – sondern auch die Zeiten, in denen die Gutstunden konsumiert werden. Von Planbarkeit, wie Familien sie brauchen, ist da keine Rede.
Angebot an Kinderbetreuung: Schon 8-Stunden-Tag nicht leicht
Trotz voranschreitendem Ausbau: Schon der 8-Stundentag erweist sich als wenig kompatibel mit dem aktuellen Angebot an Kinderbetreuung und Elementarbildung, wie die Kindertagesheimstatistik zeigt. Nur jedes 3. Kind in Österreich hat einen Platz, der mit gängiger Vollzeit, also einem 8-Stunden-Tag vereinbar ist. Bei den unter 3-Jährigen fehlen zudem mindestens 21.000 Plätze – unabhängig von den Öffnungszeiten.
Beim 12-Stunden-Tag schaut es noch viel trister aus: Einzig in Wien gibt es eine relevante Zahl elementarer Bildungseinrichtungen, die 12 Stunden geöffnet haben. Im Rest von Österreich muss man sie suchen: Ganze 2 Prozent der Krippen und Kindergärten bieten so lange Betreuungszeiten an.
Besserung könnte es durch eine geplante Umstellung in der Finanzierung der Kinderbetreuung geben: Künftig sollen Mittel stärker nach der Größe und Qualität des Angebots vergeben werden (“aufgabenorientierter Finanzausgleich”). Allerdings sind noch viele Fragen in der konkreten Umsetzung offen. Und ein Bundesrahmengesetz, das Mindeststandards für ganz Österreich sichern würde, ist auch noch in weiter Ferne.
Bei den Volksschulen gibt es de facto gar keine 12 Stunden Betreuung, denn selbst Ganztagesschulen bieten in der Regel nur 8 Stunden Betreuung – mit Zusatzprogrammen manchmal auch 10 Stunden. Das ist ohnehin schon ein langer Tag für die Kinder.
Und egal, wie die Betreuungssituation ausschaut: Die Frage ist, ob man Kinder auch zu 12-Stunden-Tagen zwingt, indem man die Eltern 12 Stunden lag in der Arbeit festhält.
Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter
Wenn es um Fragen der Obsorge geht, wird gerne betont, dass Kinder ein Recht auf Vater und Mutter haben. Dieses Recht der Kinder könnte vor allem in Bezug auf die Vätern durch einen generellen 12-Stunden-Tag empfindlich eingeschränkt werden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass Männer noch länger arbeiten und Frauen noch stärker in Teilzeit gehen, weil es sich für Paare und Familien anders nicht mehr ausgeht.
Das wollen weder Männer noch Frauen in Österreich. Im Gegenteil: Generell möchten Vollzeitarbeitskräfte (zumeist Männer) durchschnittlich 1 Std. 48 Min. pro Woche kürzer, Teilzeitarbeitskräfte (zumeist Frauen) um 2 Std. 42 Min. Stunden länger arbeiten (Schwendinger 2015). Und Väter wünschen sich erst recht kürzere Arbeitszeiten, wie Ingrid Moritz in ihrem Beitrag anschaulich darstellt.
12-Stunden-Tag: Ein Gesundheitsrisiko für die Gesellschaft
Insgesamt macht der 12-Stunden-Tag ein soziales Leben deutlich schwieriger. Zusammen etwas zu machen, ist der Webstoff der Gesellschaft – es verknüpft Freundeskreise ebenso wie Dorfgemeinschaften oder gute Nachbarschaften. Dafür braucht es gemeinsame Zeiten. Mit dem 12-Stunden-Tag werden Menschen ein Stück weit isoliert. Es wird deutlich schwieriger, Treffen mit FreundInnen und Bekannten auszumachen, sich ehrenamtlich zu engagieren oder einfach nur an einem Kurs teilzunehmen. Diese Dinge lassen sich nicht ausschließlich auf Freizeitblöcke verlagern – erst recht nicht, wenn nicht selbst darüber entschieden werden kann, wann diese Freizeitblöcke stattfinden. Wer die Vereinzelung in der Gesellschaft beklagt, kann den 12-Stunden-Tag nicht begrüßen.
Ein brandneue Studie der Medizinuniversität Wien weist zudem auf die problematischen Gesundheitsfolgen so langer Arbeitstage hin: 12-Stunden-Arbeitstage führen zu einer erheblichen Tagesermüdung, die nur schwer durch die Tagesfreizeit abgebaut werden kann. Außerdem birgt sie Gesundheitsrisiken, erhöhte Unfallgefahren sowie Fehlerhäufigkeit.
Das schafft Probleme für alle Menschen. Aber gerade für Familien ist gemeinsame Zeit besonders wertvoll. Ein 12-Stunden-Tag könnte diese Zeiten nicht nur empfindlich vermindern, sondern auch dazu führen, dass die Kinder permanent mit übermüdeten Vätern und Müttern vorlieb nehmen müssen. Und die sachlich so kühl bezeichnete “vermehrte Unfallhäufigkeit” bringt viel menschliches Leid und betrifft auch Kinder, wenn Eltern diese Unfälle haben.
Der Ausbau der Elementarbildung ist zwar ganz wichtig, um die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und auch mehr Chancengleichheit unter den Kindern zu ermöglichen – er ist aber nicht die Lösung für überlange Arbeitszeiten. Schließlich kann es nicht das Ziel sein, dass 3-Jährige 13 Stunden im Kindergarten sind. Es wäre gut sich daran zu erinnern, dass Arbeit ein gutes Leben ermöglichen soll und nicht das Leben nur auf Arbeit ausgerichtet wird.