Die im Rahmen der Aktionswoche “Kürzer arbeiten – leichter leben!” der GPA-djp präsentierte Befragung von Erwerbstätigen zeigt einmal mehr, wie brisant das Thema Arbeitszeitverkürzung ist. Obwohl es in den letzten Jahren wieder verstärkt Initiativen zu einer Neugestaltung der Arbeitszeit im Interesse der ArbeitnehmerInnen gab, sind wir von einer neuen Arbeitszeit weit entfernt. Es liegt mittlerweile 40 Jahre zurück, dass die gesetzlich festgelegte wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden auf 40 Stunden reduziert wurde und die in vielen Branchen kollektivvertraglich festgelegte Arbeitszeit von 38,5 Stunden ist bereits seit 25 Jahren unverändert. In der Arbeitszeitdiskussion der letzten Jahrzehnte dominierten Fragen der Flexibilisierung und Ausweitung der Arbeitszeit (vgl. Sorger 2014).
Dabei weisen die bestehenden Arbeitszeiten ein hohes Ausmaß an Flexibilität in Bezug auf Lage und Länge auf: So arbeiten 69 Prozent in selbst- oder fremdbestimmten variablen Arbeitszeitformen – von Gleitzeit bis zu Schichtarbeit und Arbeit auf Abruf. Rund jede/r fünfte Angestellte hat einen All-In Vertrag oder eine Überstundenpauschale. Regelmäßige Überstundenleistungen sind gängige Praxis, laut Arbeitsklimaindex leisten nur 30 Prozent der vollzeitbeschäftigten Angestellten nie Überstunden. Umgekehrt arbeitet ein Viertel sämtlicher Beschäftigter im Angestelltenverhältnis durchschnittlich mehr als 40 Wochenstunden, bei den Männern beträgt dieser Anteil sogar 39 Prozent und bei leitenden Angestellten 55 Prozent. Dass diese Arbeitszeiten nicht der Wunsch sind, zeigt die hohe Zustimmung zur Frage der Arbeitszeitverkürzung: Für eine generelle Reduktion der Normalarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden sprechen sich im Falle eines vollen Lohnausgleichs zwei Drittel der Angestellten aus, ohne Lohnausgleich sind es immer noch knapp ein Viertel (23%). Derzeit haben allerdings haben zahlreiche weibliche Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit in unbezahlter Form reduziert (Siehe dazu auch den Beitrag: Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich)
Mehr Geschlechtergerechtigkeit durch kürzere Arbeitszeiten
Vor allem für Geschlechtergerechtigkeit sind durch eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohn- und Personalausgleich positive Effekte zu erwarten. Damit könnte einerseits dem Trend der Aufteilung bei Paaren mit Kindern in Vollzeit Männer und Teilzeit Frauen entgegengewirkt werden. Andererseits würde dies zu einer Aufwertung der Teilzeit führen. In Frankreich hatte beispielsweise die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden den Effekt, dass die Vollzeitarbeit von Frauen anstieg (vgl. Fagnani/Letablier 2007). Gerade in einer gesellschaftlichen Realität, in der mehrheitlich beide Elternteile bzw. Alleinerziehende erwerbstätig sind, weist eine Arbeitszeitverkürzung besondere Dringlichkeit auf. Schon eine geringe Verkürzung der Normalarbeitszeit würde den Zeitdruck für erwerbstätige Eltern verringern, mehr Zeit für Versorgungsarbeit ermöglichen und zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Aufteilung dieser Arbeit führen. Die Zielsetzung der Angleichung der weiblichen Erwerbsarbeitszeit an die männliche Norm erscheint hingegen – nicht nur aus beschäftigungspolitischen Gründen – weder realistisch noch erstrebenswert. Die volle Leistungsfähigkeit ist in einer einigermaßen beanspruchenden Vollzeitarbeit inklusive regelmäßigen Überstunden ohne einen versorgenden Partner – oder meistens: eine Partnerin – über längeren Zeitraum nicht gegeben. Dies ist insbesondere in Lebensabschnitten der Fall, wo zeitintensive Versorgungsarbeit für Kinder oder Pflegebedürftige anfällt. Aber auch die negativen Auswirkungen langer Arbeitszeiten über längeren Zeitraum auf die Gesundheit sind vor allem hinsichtlich der Frage vom alternsgerechten Arbeiten zu berücksichtigen.
Aufhebung der Teilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit
Eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich würde den Spielraum für die Gestaltbarkeit der Arbeitszeit wesentlich erhöhen. Steinrücke (2004: 159) definiert in diesem Sinne das Ziel einer „Vollbeschäftigung neuen Typs auf der Basis einer neuen, radikal verkürzten Normalarbeitszeit“. Die von Reproduktionsarbeit wie Haus- und Versorgungsarbeit entlasteten beruflichen Biographien von Männern definieren noch immer die Arbeitsplatzerwartungen und erfolgreiche Karrieremuster. Dabei geht es auch um eine Aufhebung der Zweiteilung und Hierarchisierung der Lohnarbeit einerseits und der unbezahlten Reproduktionsarbeit andererseits und einer Abkehr von der Annahme, dass die Organisation der Lohnarbeit nichts mit der Organisation der Reproduktionsarbeit zu tun habe und sich letztere quasi von selbst regelt.
Arbeitszeit sollte daher nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Beschäftigungseffekte diskutiert werden, es müssten auch noch stärker die Auswirkungen auf die Qualität des Lebens betont werden. Wie der Soziologe Hartmut Rosa (2014: 8) formuliert: „Wenn wir die Struktur und Qualität unseres Lebens untersuchen wollen, sollen wir uns seinen Zeitstrukturen zuwenden.“ In diesem Sinne sollte Arbeitszeit als wichtige Dimension gesellschaftlicher Entwicklung und als Chance für eine gerechtere Gestaltung der Geschlechterverhältnisse verstanden werden.
Konferenz “40 Jahre 40 Stundewoche – und jetzt?”
Gelegenheit, weiter über das Thema zu diskutieren, bietet die Konferenz „40 Jahre 40-Stunden-Woche in Österreich. Und jetzt? Impulse für eine geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik“, die am 21. Oktober 2015 im AK Bildungszentrum stattfindet. Dort setzen sich österreichische und europäische ExpertInnen mit Visionen und Umsetzungsmöglichkeiten einer Arbeitszeitgestaltung auseinander, die Geschlechtergerechtigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Frauen und Männer in den Mittelpunkt rückt. Vorgestellt werden Initiativen, theoretische Einsichten und praktische Ansatzpunkte aus Österreich und anderen europäischen Ländern. Veranstaltet wird die Konferenz von der Arbeiterkammer Wien (Abteilung Frauen und Familie sowie Abteilung Wirtschaftswissenschaft), der Frauenabteilung der Stadt Wien, der Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen des AMS sowie dem Bundesministerium für Bildung und Frauen. Die inhaltliche Konzeptionierung und Organisation erfolgt durch L&R Sozialforschung.
Die Autorin hat sich im Rahmen ihrer Dissertation intensiv mit dem Thema Arbeitszeit und Geschlechtergerechtigkeit auseinandergesetzt. Das Buch ist im Dampfboot-Verlag erschienen: Sorger, Claudia (2014): Wer dreht an der Uhr? Geschlechtergerechtigkeit und gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik. Münster: Westfälisches Dampfboot
Weitere Literatur:
Fagnani, Jeanne/ Letablier, Marie Thérèse (2007): The French 35-hour working law and the work-life balance of parents: friend or foe? In: Perrons, Diane/ McDowell, Linda/ Fagan, Colette/ Ray, Keith/ Ward, Kevin (ed.): Gender Divisions and Working Time in the New Economy. Changing Patterns of Work, Care and Public Policy in Europe and North America. Cheltenham, 79-90
Rosa, Hartmut (2014): Beschleunigung und Entfremdung. Berlin: Suhrkamp
Steinrücke, Margarete (2004): Arbeitszeit – Lebenszeit. Überlegungen zur Neubestimmung ihres Verhältnisses im 21. Jahrhundert. In: In: Baatz, Dagmar/ Rudolph, Clarissa/ Satilmis, Ayla (Hrsg.): Hauptsache Arbeit? Feministische Perspektiven auf den Wandel von Arbeit. Münster, 152-164