Blockzeiten, 12-Stunden-Tag, Digitalisierung und Kinderbetreuung: Arbeitszeitflexibilisierung wurde in den letzten Wochen in den Medien und auch auf Twitter und Facebook laufend diskutiert. Doch die vorgebrachten Argumente sind vielfach nicht sachlich und zielen bewusst darauf ab, Arbeitszeitflexibilität mit Modernität und Zukunft zu verknüpfen. Ist Arbeitszeitflexibilisierung die Voraussetzung für neue Arbeitswelten und Digitalisierung? Plädoyer für eine Diskussion abseits von Phrasen.
Stand der Dinge
Um die gegenwärtigen Bedingungen von Arbeitszeit zu beleuchten, sind zwei Aspekte zu unterscheiden: die rechtlichen Rahmenbedingungen und die tatsächliche Ausgestaltung in Österreich.
In der Argumentation zielen insbesondere Interessenvertreter der Wirtschaft darauf ab, den rechtlichen Rahmen in Österreich zu diskreditieren und argumentieren mit dem Verweis auf starre Arbeitszeitregelungen, die heimische Unternehmen vor kaum bewältigbare Aufgaben stellen. Diese Feststellung entspricht aber keineswegs der Realität, wenn man die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Möglichkeiten zur Arbeitszeitgestaltung auswertet. Das Arbeitszeitrecht ermöglicht viel Flexibilität, etwa Bandbreiten- und Durchrechnungsmodelle, Schichtmodelle, Gleitzeit oder 4-Tage-Woche. Während also die rechtliche Seite recht klar erscheint oder zumindest leicht zu recherchieren ist, fehlen konkrete Belege für die Schwierigkeiten heimischer Unternehmen. Im Ö1 Journal-Panorama vom 15.2. wies Jörg Flecker (Universität Wien) etwa darauf hin, dass sich die Ausgestaltung von Arbeitszeit in den einzelnen Branchen stark von dem unterscheidet, was nach außen suggeriert wird: gerade Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen, schöpfen Flexibilitätsmöglichkeiten kaum aus, vielmehr werden diese hauptsächlich von Binnenbranchen (Versicherungen, Apotheken, sonstige Dienstleistungen) genutzt.
2016 wurde im Auftrag der AK eine FORBA-Studie erstellt, deren Ergebnisse sich mit vielen anderen Befunden über Arbeitszeiten in Österreich decken. Österreichische ArbeitnehmerInnen liegen mit 41,5 Stunden pro Woche im europäischen Vergleich nur hinter Großbritannien und Zypern und es wird eine große Anzahl an Mehr- und Überstunden geleistet (2015: 253 Millionen). Ausgehend davon, dass die überwiegende Zahl der Überstunden innerhalb des gesetzlichen Rahmens geleistet wird, bedeutet die Forderung der Wirtschaft (10 Stunden tägliche Normalarbeitszeit, 12 Stunden tägliche Höchstarbeitszeit, 60 Stunden Wochenarbeitszeit, 2 Jahre Durchrechnung), dass Überstundenzuschläge entfallen könnten und 1,5 Milliarden Euro für österreichische ArbeitnehmerInnen auf dem Spiel stehen.
Wem nutzt die Flexibilisierung tatsächlich?
Zwar wird suggeriert, dass Flexibilität ein Anliegen aller ist, aber der Begriff „Arbeitszeitflexibilisierung“ ist in der gegenwärtigen Diskussion fast ausschließlich von Flexibilitätsansprüchen der Unternehmen geprägt. Ein echtes Konzept, wie auch MitarbeiterInnen ihre Bedürfnisse leben können, kommt abseits von überzeichneten Beispielen nicht vor. Es ist daher wichtig sich klarzumachen, dass im eigenen Kopf ein ganz anderes Bild von Flexibilität (Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zumindest zT autonome Entscheidungen wann man flexibel sein will) entsteht, als in der Diskussion angesprochen ist. So ist etwa auch bei der Gleitzeit – das beliebteste Arbeitszeitmodell laut FORBA-Studie – die zu bewältigende Arbeitsmenge der wichtigste Faktor für die Gestaltung der Arbeitszeit (79%), gefolgt von Anwesenheitspflichten (71%). Erst dann kommen eigene Arbeitszeitbedürfnisse.
Auswirkungen auf Gesundheit und Gesellschaft
Der gesundheitlichen Dimension von Flexibilität stehen häufig Argumente gegenüber, die auf die Eigenverantwortung der arbeitenden Menschen und eine “lächerliche Überregulierung der Arbeitszeiten” verweisen. Dennoch ist gerade der gesundheitliche Aspekt sehr wichtig für die Zukunft der Arbeitswelt. Werden wir unsere Arbeit ein Leben lang gesund ausüben können oder wird ein Großteil der Menschen am Ende des Lebens auf Sozialleistungen angewiesen sein? Eine Entscheidung für „gute Arbeit“ betrifft nicht nur ArbeitnehmerInnen oder Betriebe, sondern auch den Sozialstaat.
In Zusammenhang mit Gesundheit und Berücksichtigung von ArbeitnehmerInneninteressen fiel zuletzt häufig das Wort „Blockzeiten“, bei denen man mit langen Tagesarbeitszeiten die Wochenarbeitszeit an wenigen Tagen erledigt und dann längere Zeit durchgehend frei hat. Aus vielen Perspektiven – v.a. kinderlose junge Menschen oder Personen, deren PartnerIn die Kinderbetreuung übernimmt – erscheint das eine geeignete Lösung zu sein, um mehr Flexibilität zu ermöglichen. Allerdings wird es stark darauf ankommen, wie solche Modelle ausgestaltet sind: Gibt es zusätzliche Pausen, die Erholung ermöglichen? Ist aus arbeitspsychologischer Sicht gewährleistet, dass Anforderungen, Ressourcen und Stressoren ausgeglichen sind? Eine seriöse Beurteilung von solchen Arbeitszeitmodellen kann nur anhand ihrer konkreten Ausgestaltung vorgenommen werden.
Für einige Gruppen gibt es jedoch auch abseits konkreter Ausgestaltungen Bedenken. Auf der einen Seite sind dies ältere ArbeitnehmerInnen, die sehr lange Arbeitszeiten aus gesundheitlichen Gründen nicht schaffen und dann unter Druck stehen, weil sie allgemeinen Anforderungen nicht gerecht werden. Auf der anderen Seite stehen Familien und insbesondere Frauen, aus deren Perspektive eine Komprimierung von Arbeitszeit kaum wünschenswert sein wird. Es muss thematisiert werden, dass hier im Hintergrund eine Aufteilung von Arbeitszeit angenommen wird, die ein Rückschritt auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau ist. Ohne adäquate Kinderbetreuung bis in den späten Abend kann nur ein Elternteil seine Arbeitszeiten ausdehnen – das in Österreich ohnehin vorherrschende Eineinhalb-Verdiener-Modell würde dadurch verfestigt. Und dabei geht es nicht nur um die Gleichheit als Gut an sich, sondern um einen Zugang von Frauen zu einer ausreichenden Versorgung im Alter und einer gleich engen Bindung von Kindern zu beiden Elternteilen.
Und selbst wenn die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen an sehr lange Arbeitszeiten angepasst würden, wäre das wohl nicht nur für Kinder eine Zumutung. Fast alle Eltern haben ein Interesse daran, täglich am Leben der Kinder teilzuhaben, anstatt sie nur in Freizeitblöcken zu sehen.
Eine alternativlose Entwicklung?
Von einigen Protagonisten der Debatte wird davon gesprochen, dass Arbeitszeitflexibilisierung eine Grundvoraussetzung für neue Arbeitswelten und Digitalisierung sei. Diese Position ist zumindest zu hinterfragen – es scheint, als wolle man bewusst den Eindruck erwecken, dass Technologie, Modernität und Internationalität untrennbar mit Flexibilisierung zusammenhängen.
Das Hinterfragen der Rahmenbedingungen von Arbeitszeit ist nicht gleichzusetzen mit einer rückwärtsgewandten Weltsicht. Eher ist es umgekehrt. Seit 1880 wurde die Arbeitszeit schrittweise verkürzt, auch um Menschen ein Familienleben und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen. Zukunftsweisend wäre es, nachzudenken und einen echten Dialog über die Vor- und Nachteile von Arbeitszeitflexibilität zuzulassen. Das System der Sozialpartnerschaft hat sich hierbei bewährt – nur im Dialog können die Interessen aller Berücksichtigung finden.