Die Drogeriemarktkette „daily“ (vormals „Schlecker“) ist aufgrund ihrer Insolvenz bereits Geschichte. In Erinnerung bleiben jedoch Aussagen des Managements, dass man unter Inanspruchnahme eines gewerblichen „Nebenrechts“ an Sonn- und Feiertagen die Filialen offen halten wolle. Einige Barhocker oder Kaffeehaustische hätten laut Businessplan genügt, um als Gastronomiebetrieb auftreten zu können und das von nicht einmal 20% der Bevölkerung gewünschte Einkaufen außerhalb der Öffnungszeiten zu ermöglichen.
So ergab beispielsweise eine Repräsentativerhebung des Market-Instituts, Linz: 83% der ÖstereicherInnen befürworten die geltenden Ladenschlusszeiten und sehen keinen Bedarf an Sonn- oder Feiertagen sowie während der Nachtzeiten einzukaufen.
Ende Mai 2013 trat eine Novelle der Gewerbeordnung (GewO) in Kraft, die Warenverkauf durch Gastgewerbetreibende nur noch erlaubt, wenn der Charakter des Betriebs als Gastgewerbe gewahrt bleibt („Charakterklausel“ gemäß § 111 Abs 4 GewO). Die Interessenvertetungen der ArbeitnehmerInnen zeigen sich erfreut über diese Novelle, aber nicht deshalb, weil sie KonsumentInnen die Freuden des Weekend-Shoppings verleiden wollen. Es geht ihnen um das Recht auf gemeinsame Erholung und soziales Leben mit Angehörigen („synchrone Freizeit“) für möglichst viele Beschäftigte. Es geht um die Möglichkeit eines gemeinsamen Wochenendes, letztlich also um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und es geht um die Lebens- und Arbeitsqualität in diesem Land, nicht nur für (überwiegend weibliche) Handelsbeschäftigte!
Natürlich braucht es Menschen, die im Gesundheitsbereich, in Tourismus und Gastronomie, im Verkehrs- und Sicherheitsbereich sowie anderen Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen auch an Sonn- und Feiertagen und während der Nacht arbeiten. Aber die Zahl bzw Quote jener, die „für die Allgemeinheit“ immer wieder ein Familienwochenende und einen gesunden Tag-Nacht-Rhythmus opfern müssen, sollte nicht allzu sehr zunehmen. Ohne „Lex Daily“ (saloppe Bezeichnung der oben zitierten Novelle, vgl. z.B. Der Standard vom 12.6.2013: Eric Frey, Die Sonntagslöcher wurden gestopft.) und weitere Regelungen im Öffnungszeitengesetz (ÖZG), Arbeitsruhegesetz (ARG) und in der GewO bestünde die Gefahr einer massiven Ausuferung von Sonn-, Feiertags- und Nachtbeschäftigung. Nahezu alle Branchen könnten betroffen sein, wenn Gesetzesumgehungsversuche wie der eingangs geschilderte, um sich greifen.
Relevante Veränderungen im Handel, im Tankstellenbereich und in der Gastronomie
In den letzten Jahren ist verstärkt zu beobachten, dass Handelsunternehmen die Verabreichung von (teilweise warm zubereiteten bzw aufgewärmten) Speisen und Getränken als neue Geschäftsfelder betreiben. Dies betrifft beispielsweise Drogeriemärkte – die zB eine „gesunde/biologische Theke“ in ihren Filialen bewirtschaften – sowie Supermärkte, die vor allem in touristisch frequentierten Lagen oder in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten zusätzlich zum Warenverkauf die Verabreichung halbfertiger oder fertiger Speisen sowie von Getränken ausüben. Die umgekehrte Entwicklung, dass nämlich ehemals reine Gastgewerbebetriebe vermehrt zu Handelsbetrieben mutieren bzw das Geschäftsfeld „Handel“ in einem wesentlichen Umfang in ihr Portefeuille mit aufnehmen, ist derzeit weniger stark zu verzeichnen. Jedoch wäre aufgrund der sogenannten „Nebenrechte“ gemäß der Gewerbeordnung 1994 (GewO), die erst jüngst durch die Novelle BGBl I 85/2013 per 29.5.2013 geändert wurde, auch hier eine Veränderung des Geschäftsbereiches und teilweise auch der Kundenkreise möglich.
Auch an Tankstellen sind starke Veränderungen zu beobachten, es wird in immer größeren Umfang Handel betrieben. Zahlreiche Tankstellenbetreiber (v.a. Pächter oder Franchisenehmer) verkaufen auf relativ großen Flächen ein breites Warensortiment an Lebensmitteln und Nonfood-Waren, wobei die GewO derzeit eine Flächenbeschränkung auf maximal 80% vorsieht und auch die zulässigen Warenkategorien grob definiert. Allerdings: Viele dieser Betreiber verfügen neben der Gewerbeberechtigung für Tankstellen auch über solche für den Handel und für das Gastgewerbe. Wenn nun ein Tankstellen-Geschäftslokal neben der Kassa für tankende Kunden auch einen Steh- oder Sitzbereich für Gastronomie-Gäste hat und diese Bereiche nicht räumlich getrennt sind, ist es schwierig die Flächenbegrenzung zu kontrollieren, denn der Gastronom/Tankstellenbetreiber kann uU Teile der Verkaufsfläche als Gastronomieflächenteile deklarieren. Auch die Unterscheidung der unter der Gewerbeberechtigung „Handel“ betriebenen Verkaufsflächen, Räumlichkeiten und Gebäude von jenen, die dem Tankstellenzweck dienen, wird zunehmend schwieriger.
Große Lebensmittelhandelskonzerne versuchen derzeit Tankstellenbetreibern ihr Konzept eines 24/7-Zusatzhandelsgeschäfts schmackhaft zu machen. Gegen das Einkaufen kleiner Lebensmittelmengen ist aus meiner Sicht wenig einzuwenden. Aber wollen wir wirklich, dass unzählige Menschen (VerkäuferInnen) zusätzlich zu Sonntags-, Feiertags- und Nachtstunden arbeiten müssen, weil – nach den Geschäftsplänen der erwähnten Konzerne – Tankstellen allmählich zu 24/7-Drive-In-Supermarkets mutieren sollen?
Verdacht der Gesetzesumgehung im Ladenöffnungsrecht
In Anbetracht der geschilderten Entwicklungen, werden die Gewerkschaften und Arbeiterkammern gemeinsam mit den zuständigen Magistraten und Bezirksverwaltungsbehörden vor allem folgende Fragen zu klären haben:
- Wann und in welchem Umfang dürfen ArbeitnehmerInnen in einem Handelsbetrieb, der auch über einen Gastgewerbe-Befähigungsnachweis verfügt, mit dem Verkauf von Waren beschäftigt werden?
- In welchem Umfang dürfen ArbeitnehmerInnen eines Gastgewerbeunternehmens (ebenso relevant: Bäcker, Fleischer, Konditoren uä), das Verkauf-Nebenrechte gemäß der Gewerbeordnung ausübt, im Rahmen des Verkaufs von Waren eingesetzt werden? Welche Waren sind von den Nebenrechten, die zusätzliche, „fremde“ Gewerbeausübungen erlauben, erfasst?
- Wie ist das Tatbestandselement „Wahrung des Betriebscharakters als Tankstelle“ (§ 157 Abs 2 GewO) rechtlich zu verstehen und wo liegen die Grenzen des Charakters bzw die Abgrenzungen zu anderen Gewerbeausübungen?
- Welche Gesundheits- oder Hygienevorschriften können an der Schnittstelle Lebensmittelhandel/Tankstelle problematisch sein?
- Dürfen AN vorrangig oder gar ausschließlich zum Zweck des Verkaufs – und nur subsidiär oder gar nicht für Gastronomie- und Tankstellen-Verrichtungen – eingesetzt werden? Wenn ja, in welchem Umfang? Welche Tätigkeiten durch AN sind gemäß ÖZG, ARG und AZG sowie gemäß den einschlägigen Kollektivverträgen überhaupt erlaubt?
- Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, um ein „Schein-Gastronomieunternehmen“ oder eine „Scheintankstelle“, die vorrangig Handel betreibt, zu sanktionieren bzw an dieser Missachtung der Betriebscharakterwahrung zu hindern? Welche Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Behörden bestehen, um „Missbrauch“ (ausufernder Handel und/oder Gastronomie; vermehrte Beschäftigung von AN während der lokalen Sperrzeiten bzw an Sonn- und Feiertagen sowie in der Nacht) hintanzuhalten?
Klare gesellschaftspolitische Antworten!
Gemeinsam mit der seit mehr als einem Jahrzehnt aktiven „Allianz für den freien Sonntag“ suchen Gewerkschaften und Arbeiterkammern nach Lösungen für diese Problemlagen. Unternehmern, die bestehende Gesetze durch „Betriebscharakter-Vermengung“ zu umgehen versuchen, wird eine klare Absage erteilt. Aber auch an die Solidarität der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen ist zu appellieren. Es geht, wie bereits gesagt, nicht um das Verhindern von Einkaufsmöglichkeiten, sondern um die Arbeits- und Freizeitqualität der meisten von uns.
Die eingangs erwähnten Umfragen zeigen: Der Wunsch nach „Shopping 24/7“ ist ein Minderheitsbegehr, ganz nach dem (zynisch so genannten) „Florianiprinzip“: Zünde meinen freien Sonn- und Feiertag nicht an, die Qualität der Freizeit meiner KollegInnen ist mir hingegen egal…