Im Zuge einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung haben wir uns angesehen, wie sechs Crowdsourcing-Plattformen mit Unternehmenssitz in Deutschland CrowdworkerInnen bei arbeits- und unternehmensbezogenen Themenbereichen Partizipation ermöglichen. Fazit: Partizipation findet auf Plattformen statt – ist aber ausbaufähig.
Die wahrscheinlich größte und bekannteste Crowdwork-Plattform, Amazon Mechanical Turk (AMT), sieht sich nicht als Arbeitgeberin, sondern als Marktplatz bzw. Arbeitsvermittlerin. Mangels Rechte und geeigneter Tools haben CrowdworkerInnen auf AMT so gut wie keine Möglichkeiten, auftauchende Komplikationen an die Plattform zu kommunizieren, Vorschläge einzubringen oder mit der Plattform in eine Diskussion zu treten. Direkter Kontakt zum „sporadischen Arbeitgeber“ Amazon besteht dementsprechend keiner. Abhilfe dafür schaffen lediglich externe Foren und Blogs, die von CrowdworkerInnen moderiert werden.
Ausgehend von dem amerikanischen Beispiel AMT haben wir uns gefragt, ob die Situation bei europäischen Plattformen ähnlich ist. Denn eigentlich wäre es aufgrund der hohen Gestaltungsmacht der Plattformen im Hinblick auf Arbeitsbeziehungen und -bedingungen wichtig, CrowdworkerInnen eine Stimme in Arbeitsangelegenheiten zu geben. Für gewöhnlich setzen ArbeitgeberInnen dafür Partizipationsinstrumente ein, um ihren MitarbeiterInnen Einfluss auf verschiedenen Ebenen zu ermöglichen. ArbeitnehmerInnen haben so etwa die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge für Arbeits- und Unternehmensabläufe einzubringen oder Diskussionen anzuregen. Daraus speist sich auch ein gewisser Einfluss auf ihren Arbeitsalltag.
CrowdworkerInnen-Partizipation: wo und wie?
Für eine „Bestandsaufnahme“ von Partizipationsmöglichkeiten auf Crowdsourcing-Plattformen haben wir sechs Plattformen mit Firmensitz in Deutschland genauer unter die Lupe genommen. Beispiele, wo gesetzlich verankerte Mitbestimmung (z. B. Betriebsrat) existiert, sind derzeit (noch) keine bekannt. Daher haben wir uns angesehen, zu welchen Themen Plattformen freiwillig ihren CrowdworkerInnen Partizipation ermöglichen (Partizipationsinhalte). Genauer haben wir uns gefragt, ob die Plattformen CrowdworkerInnen in den Bereichen
- task-bezogene Prozesse (Inhalte mit unmittelbarem Bezug zur Arbeitsaufgabe),
- plattformweite Arbeitsorganisation (Inhalte, welche die allgemeinen Arbeitsabläufe und Regeln auf der Plattform betreffen) und
- Unternehmensstrategie und -entwicklung (Inhalte, welche die künftige Ausrichtung des plattformbetreibenden Unternehmens betreffen)
partizipieren lassen. Neben dem „Wo“ ist aber auch das „Wie“ der Partizipation (Partizipationsmodus) entscheidend, weil damit der Einflussgrad von Partizipation festgelegt wird. Bei den Partizipationsmodi haben wir daher in
- Information (z. B. transparente Information zu einem Thema),
- melden (z. B. Möglichkeiten, Plattform via Kontaktformular zu kontaktieren oder Bewertungen vorzunehmen),
- diskutieren (z. B. Diskussionsforum) und
- abstimmen (z. B. Voting zu einem Thema)
unterschieden. Um unsere Analyse durchführen zu können, haben wir auf den einzelnen Plattformen Accounts angelegt und dort aktiv Arbeitsaufgaben bearbeitet. So waren wir in der Lage, die den CrowdworkerInnen zur Verfügung stehenden Kommunikationstools aktiv zu nutzen.
Partizipation ja, aber nicht bei substanziellen Themen
Unsere Analyse zeigt, dass Partizipation auf allen Plattformen eine Rolle spielt. Partizipation findet allerdings vorwiegend im Bereich der task-bezogenen Inhalte statt. In den Bereichen plattformweite Arbeitsorganisation und Unternehmensstrategie und -entwicklung nehmen die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, deutlich ab. In Bezug auf die Partizipationsmodi zeigt sich, dass CrowdworkerInnen von den Plattformen zumeist ausführlich informiert werden (vor allem in Bezug zur Arbeitsaufgabe). Außerdem bieten alle Plattformen Kontaktformulare, mit denen CrowdworkerInnen Fragen oder Vorschläge an die Plattformen melden können. Auch wir haben diese Formulare genutzt. Auf die von uns eingebrachten Fragen und Vorschläge reagierten die Plattformen bemüht. Bei Fragen zu „substanzielleren“ Themen wie Unternehmensentwicklung oder auch bei Vorschlägen zur Etablierung oder Veränderung von existierenden Tools fielen die Antworten aber wesentlich zurückhaltender aus. Diskutieren findet innerhalb von plattformimmanenten Foren statt. Hier wurden wiederum eher task-bezogene Themen anstelle von Themen der Arbeitsorganisation oder Unternehmensstrategie diskutiert. Zwei der Plattformen stellen kein Diskussionsforum zur Verfügung. Abstimmungen spielen auf allen Plattformen de facto keine Rolle.
In Summe zeigt unsere Studie, dass Partizipation auf Crowdwork-Plattformen, im Gegensatz zu manchen anderen Plattformen wie AMT, durchaus stattfindet. Allerdings zielt diese eher darauf ab, reibungslosere Arbeitsabläufe zu forcieren (funktionale Ziele), als CrowdworkerInnen umfassende Teilhabe und Einfluss zu ermöglichen (demokratisierende Ziele).
Wie könnte CrowdworkerInnen-Partizipation in Zukunft aussehen?
Auf den Plattformen fanden wir eine Reihe an Best-Practice-Beispielen, die als Mindeststandards für Partizipation herangezogen werden können. Dazu zählen etwa ein Verdienstrechner, mit dem CrowdworkerInnen das monetäre Ergebnis ihres Arbeitsaufwandes abschätzen können, ein Bewertungssystem, mit dem sich CrowdworkerInnen und AuftraggeberInnen gegenseitig bewerten können, oder Diskussionen in Foren, in denen sich die PlattformbetreiberInnen aktiv eingebracht haben. Zusammengefasst lassen sich daraus folgende Empfehlungen ableiten:
- Informieren: Partizipation braucht Information. Plattformen legen daher eine transparente Kommunikationspolitik zu relevanten Themen wie Verdienst und zentralen Unternehmensaspekten an den Tag.
- Melden: Plattformen betreiben moderierte Kommunikationskanäle für CrowdworkerInnen, wo diese auftretende Probleme melden können. Sie betreiben Bewertungssysteme, mit denen CrowdworkerInnen auch AuftraggeberInnen bewerten können.
- Diskutieren: Plattformen schaffen Optionen für offene Diskussionen, um kollektive Meinungsbildungsprozesse zu fördern.
- Abstimmen: Plattformen beziehen die Crowd in organisationale Entscheidungsfindungen mit ein. Ein Best-Practice-Beispiel hierfür wäre das Berliner Unternehmen Mite.
Bei diesen Empfehlungen gilt es jedoch, stets die Grenzen von Partizipation auf Crowdwork-Plattformen im Blick zu haben. Aufseiten der Plattformen zählen dazu Ressourcen, die grundsätzliche Ausrichtung der Plattform (Innovationsplattformen basieren auf einer regen Community, dementsprechend gibt es auch mehr Möglichkeiten für die Crowd, sich Gehör zu verschaffen), Kompetenzen sowie das grundsätzliche Interesse seitens der Plattformen an Partizipation.
Aufseiten der CrowdworkerInnen deutet einiges darauf hin, dass es aufgrund der „virtuellen“, isolierten Arbeitsumgebung, der hohen Interessensheterogenität und der oft starken Konkurrenz tendenziell schwer fällt, sich zum Wohle anderer in die genannten Themenbereiche einzubringen. Allgemein setzen auch Onlinetools, etwa bei der Diskussion von komplexen Themen in Foren, der Kommunikation Grenzen, die nur schwer überbrückbar sind.
Trotz oder gerade wegen dieser (potenziellen) Grenzen lohnt es sich, Partizipation weiterzudenken. Der nächste Schritt wäre wohl die Wahl eines Vertreters oder einer Vertreterin der CrowdworkerInnen. In jüngster Zeit gibt es auch eine Bewegung von Plattform-Kooperativen. Diese Bewegung baut auf der Grundidee auf, dass auch Genossenschaften von den geringen Kosten für das Organisieren durch Technologie und Plattformmodellen profitieren können. In diesem Kontext ist vermutlich mehr Partizipation möglich, da Genossenschaften nicht einer Venture-Kapital oder Shareholder-Logik unterliegen. Ob sich diese Bewegung durchsetzt, wird sich aber, insbesondere da das Kapital zu Skalierung von genossenschaftlichen Plattformen fehlt, erst zeigen.