Das europäische Schattenbankensystem: Bestandsaufnahme und gegenwärtige Entwicklungen

09. November 2016

Europäische Schattenbankenstrukturen, von welchen erhebliche Risiken für die Finanzstabilität ausgehen können, konzentrieren sich mehrheitlich auf nur wenige Staaten. Obgleich ihre Regulierung in Gefolge der Finanzkrise in ihrer Reichweite begrenzt blieb bzw. noch nicht abgeschlossen ist, werden im Rahmen der geplanten Kapitalmarktunion Schattenbankenaktivitäten zur Lösung gegenwärtiger Problemlagen schon wieder gefördert. Es sind vor allem die Länder mit den am stärksten ausgeprägten Finanz- und Schattenbankensektoren, die eher für eine weitere Liberalisierung denn für finanzmarktstabilitätsorientierte Reformen eintreten.

Der Begriff Schattenbankensystem wurde im Verlauf der Finanzkrise von 2007ff. geprägt, um ein Geflecht von zuvor weitgehend als unproblematisch erachteten Finanz(markt)praktiken zu erfassen, welche in Zusammenhang mit Kreditintermediationsprozessen jenseits des konventionellen Bankensystems stehen. Diese Strukturen, welche im Zentrum der Krise standen, haben vor allem ab Ende der 1990er Jahre eine gewaltige Expansion erfahren. Aber auch heute gehen von diesem Sektor noch erhebliche Risiken für die Finanzstabilität aus, wie etwa die Europäische Zentralbank in ihrem Jahresbericht für 2015 mit Blick auf den Euroraum hervorstreicht. Allein deswegen bedarf dieser Sektor der intensiven akademischen Beschäftigung und aufsichtsbehördlichen Überwachung. Bisher war und ist die wissenschaftliche Beschäftigung vor allem auf die USA konzentriert, obgleich gemäß den Erhebungen des Financial Stability Boards Ende 2014 mit 50% die Mehrheit der Aktiva des globalen Schattenbankensystems auf Europa entfielen.

VERMESSUNG DER EUROPÄISCHEN SCHATTENBANKEN

Eine entitätenbasierte Schätzung ergibt für Ende 2014 ein Aktiva-Volumen von 24,5 Billionen Euro für die Eurozone und von 34,5 Billionen Euro für die EU. Die Aufschlüsselung nach Schattenbankenentitäten zeigt, dass knapp 30% der Aktiva des europäischen Schattenbankensystems auf Investmentfonds entfallen, 5,4% auf Verbriefungszweckgesellschaften, 2,8% auf Geldmarktfonds und etwa 1% auf Hedgefonds. Der Großteil der Aktiva – für welche gegenwärtig keine feingliedrigeren Statistiken vorliegen und welche nicht allesamt dem Schattenbankensystem zugerechnet werden können – ist mit etwa 61% bei sonstigen Finanzintermediären angesiedelt. Hierzu zählen beispielsweise Risikokapitalfonds, Privatstiftungen, länderübergreifende Holdinggesellschaften und sonstige Zweckgesellschaften.

Ein Blick auf die Geographie europäischer Schattenbankenstrukturen verrät wiederum, dass die europäischen Staaten diesbezüglich durch eine ausgeprägte Heterogenität gekennzeichnet sind. Die Mehrheit der Aktiva verteilt sich auf nur wenige europäische Staaten.

Schattenbanken Vermögen EU  © A&W Blog
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Quelle: EZB, EFAMA, Eigene Berechnungen.

In absoluten Zahlen sind die Schattenbankensektoren mit einem Umfang von jeweils knapp acht Bio. Euro in Luxemburg und Großbritannien am größten. Es folgen die Niederlande mit 5,5 Bio. Euro, Irland mit drei Bio. Euro sowie Deutschland und Frankreich mit etwas über zwei Bio. Euro. Von Interesse sind aber nicht nur die Ausprägungen in absoluten Zahlen, sondern auch der relative Stellenwert der Schattenbankenstrukturen für die einzelnen europäischen Länder.

Ländertypen

Auf Basis der relativen Kennzahl der Schattenbankensystem-Intensität (Umfang der Aktiva des Schattenbankensystems in Relation zur Wirtschaftsleistung) lassen sich die europäischen Länder wiederum in drei relativ homogene Gruppen bzw. Ländertypen einteilen.

Schattenbanken, BIP-Vermögen-Relation © A&W Blog
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Quelle: Eigene Darstellung.

Der Typ 1 umfasst jene Gruppe von Ländern, deren Schattenbankensektoren erheblich überdimensioniert erscheinen, wenn sie in Bezug zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes bzw. den Finanzierungsbedürfnissen seiner EinwohnerInnen und Industrien gesetzt werden. Gemeinsam ist diesen Ländern, dass ihre liberalisierten Finanzsysteme eine starke internationale Ausrichtung aufweisen. Aufgrund ihrer spezifischen Charakteristika sind sie den Steuer- und Regulierungsoasen zuzurechnen.

Dem Typ 2 gehören jene Länder an, deren Schattenbankensektor in Relation zur Wirtschaftsleistung relativ moderat ausgeprägt ist, wohingegen die Länder des dritten Typs nur rudimentär ausgeprägte Schattenbankensektoren aufweisen. Dem zweiten Typ sind in erster Linie länger gediente EU-Staaten zuzurechnen, welche im Unterschied zu den Typ-1-Ländern keine offshore-typischen Eigenschaften aufweisen. Bei den Typ-3-Ländern handelt es sich vor allem um die mittel- und osteuropäischen Transformationsländer, deren Finanzsektoren noch relativ gering ausgeprägt sind.

WAS MACHT DIE ATTRAKTIVITÄT EINZELNER STAATEN AUS?

Speziell Luxemburg, Großbritannien, die Niederlande und Irland sind aufgrund der absoluten wie relativen Bedeutung ihrer jeweiligen Schattenbankensektoren als Knotenpunkte des europäischen Schattenbankensystems zu betrachten. Was macht deren Attraktivität aus? Neben begünstigenden regulatorischen und steuerrechtlichen Bestimmungen (laxe Regulierungen und Aufsicht, begünstigendes Steuersystem) sind auch die vor Ort angebotenen administrativen Dienstleistungen von enormer Wichtigkeit für ausländische Finanzmarktakteure. So hat beispielsweise die irische Politik den irischen Finanzplatz ab Mitte der 1980er Jahre aktiv und bewusst zu einem internationalen Zentrum für Finanzdienstleistungen aufgebaut.

Die Folge ist, dass Finanzmarktakteure anderer europäischer Staaten, welche vergleichsweise strikteren nationalen Regulierungen unterliegen oder deren nationale Finanzplätze für spezifische Operationen weniger attraktiv sind, ihre Schattenbankaktivitäten in andere Jurisdiktionen verlagern. Dies führt gegenwärtig zu einer Konzentration dieser Aktivitäten in den angesprochenen Staaten als Knotenpunkte. Das ist aber auch ein Grund, warum nur ein begrenzter direkter Bezug der Schattenbankenstrukturen zur nationalen Wirtschaft in diesen Ländern besteht.

Zugleich handelt es sich beim gegenwärtigen Zustand des europäischen Schattenbankensystems vermutlich nur um eine Momentaufnahme. Das liegt daran, dass die gegenwärtigen Reformbestrebungen erhebliche Veränderungen und Verschiebungen mit sich bringen könnten.

Reforminitiativen und Entwicklungsperspektive

Die Regulierung des europäischen Schattenbankensystems ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen. Die jüngsten Regulierungsinitiativen zu Geldmarktfonds und Wertpapierfinanzierungsgeschäften, welche sich gerade in der Beschlussphase bzw. am Anfang ihrer Umsetzung befinden, sind zwar ein guter Schritt in Richtung mehr Transparenz, bleiben aber, was ihre stabilisierende Reichweite betrifft, eher beschränkt.

Im Gegensatz zu diesen Regulierungen ist mit der Kapitalmarktunion gegenwärtig eine weitreichende Reforminitiative in Diskussion, welche geradezu die aktive Förderung von Schattenbankenstrukturen vorsieht. Hervorzuheben ist das darin enthaltene Kernstück eines gemeinsamen europäischen Rahmenwerkes für STS-Verbriefungen (STS steht für simpel, transparent und standardisiert). Dieses Rahmenwerk hat die Wiederbelebung des europäischen Verbriefungsmarktes zum erklärten Ziel. Mit dessen Hilfe sollen vor allem die Finanzierungprobleme von kleineren und mittleren Unternehmen (KMUs) gelindert werden. Es ist daher zu erwarten, dass im Zuge der Umsetzung der geplanten Kapitalmarktunion das europäische Schattenbankensystem an Bedeutung gewinnen wird. Zugleich birgt sie auch das Potential, die heterogene Schattenbankenlandschaft erheblich umzugestalten.

FAZIT

Im gegenwärtigen Regulierungs- und Reformprozess sind es vor allem die Länder mit den am besten entwickelten Finanz- und Schattenbankensektoren, welche die Liberalisierung des europäischen Finanzsystems aktiv vorantreiben und bei stabilitätsorientierten Reformen eher ihre Zustimmung verweigern. Dies hat zur Konsequenz, dass viele Bestimmungen, die zu mehr Stabilität auf den Finanzmärkten beitragen sollen, nur in abgeschwächter Form umgesetzt werden.

Mit der geplanten europäischen Kapitalmarktunion soll nun der europäische Kapitalmarkt weiter vereinheitlicht und vertieft werden, wovon auch Schattenbankenaktivitäten betroffen sind. Dessen Kernstück eines europäischen Verbriefungsrahmenwerkes wirkt gegenwärtig noch eher unausgegoren. So bleibt es zweifelhaft, ob dadurch Verbriefungen auch wirklich einfacher, transparenter und sicherer werden. Die komplexitäts- und intransparenzfördernde Tranchierungstechnik (das Restrukturieren und Zerteilen von Forderungspools) wird beispielsweise nicht in Frage gestellt. Auch ist empirisch fraglich, ob die Wiederbelebung des Verbriefungsmarktes wirklich den KMUs weiterhilft, oder es sich hierbei nur um ein vorgeschobenes Argument handelt, waren doch KMU-Verbriefungen bereits vor der Krise nur von geringer Relevanz und Attraktivität.

Die Eigenwirkungen einer Kapitalmarktunion sind schwer abzuschätzen. Jedoch ist davon auszugehen, dass eher prozyklische Effekte und Dynamiken zu erwarten sind als eine Belebung der Investitionsdynamik in der angespannten wirtschaftlichen Lage, in der sich Europa befindet.

Dieser Blog-Beitrag basiert auf einer aktuellen Studie der beiden Autoren in der Working Paper-Reihe der AK Wien “Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft”. Von der AK Wien wurde darüber hinaus eine weniger technisch Kurzfassung mit den wichtigsten Erkenntnissen veröffentlicht.