Nachfrageseitige Ursachen der Expansion des Schattenbankensystems

05. März 2015

Die verstärkte Nachfrage nach sicheren Instrumenten des U.S.-Finanzsystems ab Ende der 1990er Jahre hatte ein strukturelles Defizit an sicheren U.S.-Schuldtiteln und kurzfristigen U.S.-Staatsanleihen (T-Bills) zur Folge. Dieser Nachfrageüberhang sollte als Konsequenz die rasante Expansion des Schattenbankensystems befördern. Zugleich spielt für dessen rasanten Aufstieg auch die verschärfte Polarisierung bei Einkommen und Vermögen in den Industriestaaten eine gewichtige Rolle.

 

Im Rahmen dieses Blogs wurden bisher Beiträge zur Funktionsweise und den Risiken des Schattenbankensystems sowie zu den Verbindungslinien von Schattenbankensystem und Steuer- und Regulierungsoasen veröffentlicht. In diesem weiterführenden Beitrag geht es nun speziell um die Bedeutung globaler finanzieller Ungleichgewichte, von Veranlagungsbedürfnissen und der gestiegenen Vermögenskonzentration für die rasante Entwicklung und Expansion des globalen Schattenbankensystems speziell in den 2000ern. Bei der Behandlung der Entwicklung des Schattenbankensystems und dessen zentralen Stellenwert in der großen Finanzkrise 2007 bis 2009 wurden vielfach vor allem angebotsseitige Entwicklungen betont: (i) diverse Finanzinnovationen, seien es neuartige Finanzinstrumente wie forderungsbesicherte, strukturierte Wertpapiere (ABS, CDO), Kreditausfallsversicherungen (credit default swaps (CDS)) oder Repo-Geschäfte, oder Finanzinstitutionen wie Geldmarktfonds oder außerbilanzielle Zweckgesellschaften u.a. für Verbriefungs- und Investitionszwecke; (ii) die Rolle von Regulierungsarbitrage durch Finanzmarktakteure: die Umgehung bestehender Regulierungen (z.B. der Basler Beschlüsse) mithilfe von Finanzinnovationen oder der Ausnutzung unterschiedlicher nationaler regulatorischer Rahmenwerke.

Diese angebotsseitigen Faktoren haben zweifellos eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung eines globalen Schattenbankensystems eingenommen. Was diese angebotsseitige Sichtweise jedoch nicht zu erklären vermag, ist die rasante quantitative Ausdehnung des Schattenbankensystems mit seinen Teilmärkten, Instrumenten und Institutionen in der ersten Hälfte der 2000er Jahre bis zum Ausbruch der großen Finanzkrise 2007. Denn wie der 2009 von den G20 (der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) ins Leben gerufene Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board) in einem Bericht zum globalen Schattenbankensystem betont, ist das globale Volumen des Schattenbankensystems zwischen 2002 und 2007 von 26 Bio. USD auf 62 Bio. USD angewachsen. Um diese rasante Expansion des globalen Schattenbankensystems zu verstehen, ist es zusätzlich nötig, nachfrageseitige Entwicklungen in die Analyse mit einzubeziehen. Im Zentrum der Expansion steht hierbei eine globale Überschussnachfrage nach sicheren U.S.-Schuldtiteln.

Globale Überschussnachfrage nach sicheren U.S.-Wertpapieren

Es sind unterschiedliche Quellen der Nachfrage nach U.S.-Wertpapieren ab Anfang der 2000er Jahre zu unterscheiden.

i. Globale finanzielle Ungleichgewichte zwischen den USA einerseits und vor allem asiatischen und rohstoffexportierenden Staaten andererseits bedingten eine verstärkte Nachfrage nach sicheren U.S.-Wertpapieren. Diese Ungleichgewichte haben ihre Wurzel zu einem Großteil in der Asienkrise Ende der 1990er Jahre. Als Reaktion auf die desaströsen Wirkungen der massiven Abflüsse ausländischen Kapitals beschlossen zahlreiche asiatische Regierungen sich durch den Aufbau von Währungsreserven und die Generierung von Leistungsbilanzüberschüssen gegen zukünftige Währungskrisen zu rüsten. Diese Überschüsse der asiatischen Schwellenländer bildeten in Kombination mit den Finanzmitteln der rohstoffexportierenden Staaten eine globale Ersparnisschwemme (dieser Begriff der global saving glut geht auf eine Rede des ehemaligen Fed-Gouverneur Ben Bernanke zurück). Aus Mangel an heimischen Finanzprodukten aufgrund eines unterentwickelten Finanzmarktes flossen diese Finanzmittel zur Veranlagung in andere Regionen. Präferierte Destination war vor allem die USA aufgrund ihres sehr etablierten und liquiden Finanzplatzes und ihrer dominanten Stellung in der Welt. Die USA wiederum konnten auf Basis dieser Kapitalzuflüsse ihr Leistungsbilanzdefizit finanzieren.

 ii. Auch wenn die größten finanziellen Ungleichgewichte zwischen asiatischen Schwellenländern und rohstoffexportierenden Staaten einerseits und den USA andererseits bestand, so gab es die größten finanziellen Verflechtungen zwischen den USA und Europa, wie die Betrachtung der Brutto-Finanzflüsse zeigt. Speziell ab etwa 2000 intensivierten sich diese auf Basis verstärkter grenzüberschreitender Finanzintermediation: globale europäische Banken bedienten sich zuerst der hohen Liquidität am U.S.-Finanzmarkt, indem sie sich Finanzmittel bei U.S.-Geldmarktfonds besorgten. Diese Finanzmittel reinvestierten sie infolge wiederum in Produkte des U.S.-Finanzsystems, speziell in strukturierte Finanzprodukte des Schattenbankensystems.

 iii. Mit dem Kollaps des New-Economy-Booms im Jahr 2000 und dem damit einhergehenden Crash am Aktienmarkt revidierten zahlreiche Vermögensverwalter ihre Anlagestrategien. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit Wertpapieren von Technologiefirmen bzw. generell mit Aktien gingen die diversen Vermögensverwalter (u.a. Investmentfonds, Hedgefonds, Pensionsfonds oder Versicherungen) mit ihren riesigen Vermögen auf die Suche nach alternativen sicheren Veranlagungsmöglichkeiten.

Zusammengefasst ergibt sich Anfang der 2000er Jahre folgendes Bild am U.S.-Finanzplatz: eine enorme Nachfrage nach U.S.-Wertpapieren, welche infolge das gegebene Angebot am U.S.-Finanzmarkt übersteigen sollte. Caballero diagnostiziert ein strukturelles Defizit an sicheren U.S.-Schuldtiteln, Pozsar sieht ein solches für kurzfristige U.S.-Staatsanleihen. Diese Überschussnachfrage nach U.S.-Wertpapieren sollte mehrere Effekte zeitigen: Erstens sind die Renditen auf U.S.-Staatsanleihen in den 2000ern stetig gesunken. Investitionen in diese Vermögensklasse waren hierbei in erster Linie von einem Sicherheitsmotiv getragen (search-for-safety). Ziel dieser Investorengruppe war es, ihre überschüssigen Gelder und Währungsreserven möglichst sicher zu verwahren, die Erträge spielten eine sekundäre Rolle.

Zweitens ist die Investorennachfrage nach alternativen sicheren Finanztiteln angewachsen, speziell nach forderungsbesicherten Wertpapieren mit ausgezeichneter Bewertung. Diese dem Schattenbankensystem zurechenbaren Finanzprodukte galten aus Sicht zahlreicher Investoren deswegen als attraktiv, da sie einerseits auf Basis ihrer ausgezeichneten Ratings als sehr sicher galten, zugleich aber eine etwas höhere Rendite als U.S.-Staatspapiere versprachen. Das Sicherheits- wie das Renditemotiv (search-for-yield) waren gleichermaßen von Bedeutung bei der Veranlagungsentscheidung. Die hohe Nachfrage kurbelte einerseits massiv die Produktion dieser als sicher geltenden Verbriefungstitel durch die Finanzindustrie an. Andererseits drückte diese gleichfalls die Ertragsraten dieser alternativen Finanztitel. Drittens mussten Cash-Investoren, deren Veranlagungsstrategie vorwiegend vom Sicherheits- und Liquiditätsmotiv geprägt ist, aufgrund der Angebotsknappheit bei kurzfristigen U.S.-Staatenanleihen auf alternative, privat garantierte Geldmarktinstrumente (Repo, ABCP) ausweichen. Auch diese privaten besicherten Finanzinstrumente, welche dem Schattenbankensystem zuzurechnen sind, expandierten infolge der hohen Nachfrage rasant.

Die CDO-Maschinerie

Für zahlreiche europäische und U.S.-amerikanische Finanzinvestoren (u.a. Hedgefonds) hingegen spielte das Ertragsmotiv die bedeutende Rolle bei der Anlageentscheidung. Aus Mangel an attraktiven konventionellen Anlagemöglichkeiten investierten viele dieser Finanzinvestoren zusehends in immer komplexere und intransparentere Instrumente des Schattenbankensystems. Diese versprachen im Vergleich zu den bereits erwähnten Assetklassen höhere Renditen, wurden zugleich aber immer noch in großem Stil von den Ratingagenturen als relativ ausfallssicher (investmentgrade) eingestuft. Hierbei handelte es sich vor allem um CDOs (collateralized debt obligations). CDOs sind strukturierte Finanzprodukte, für deren Herstellung bereits existierende ABS-Tranchen von minderer Qualität gesammelt und wiederverbrieft werden. Der Großteil der so erzeugten CDO-Tranchen wurde infolge wiederum von den Ratingagenturen mit guten bis ausgezeichneten Bewertungen versehen. Auf Basis dieses „Recyclingvorgangs“ ließen sich somit neue strukturierte Finanzprodukte von vermeintlich akzeptabler Qualität und gleichzeitig attraktiver Verzinsung für Investoren erzeugen.

Die enorme Nachfrage nach diesen Finanzprodukten heizte infolge deren arbeitsteilige Produktion durch Hypothekenbanken, U.S.-Investmentbanken und Ratingagenturen enorm an. Die Finanzindustrie war zudem bei der Entwicklung weiterer Finanzinstrumente zur Nachfragedeckung äußerst kreativ. So wurden zur Ausweiterung des Angebots nach und nach auch CDO² (CDOs auf Basis von CDO-Tranchen), CDO³ oder synthetische CDOs (CDOs basierend auf credit default swaps) produziert. Aufgrund der hohen Nachfrage nach diesen komplexen Finanzprodukten ist die Verbriefungsaktivität in diesem Marktsegment in der ersten Hälfte der 2000er Jahre geradezu explodiert. Der Bestand an CDOs hat sich zwischen 2002 und Anfang 2007 von 0,25 Bio. USD auf etwa 3 Bio. USD vervielfacht. Hierbei waren es vor allem Hedgefonds, welche als Hauptinvestoren in CDOs in Erscheinung traten. Im Jahr 2006 befand sich knapp die Hälfte des gesamten CDO-Bestandes in ihrem Besitz, womit Hedgefonds als treibende nachfrageseitige Kraft hinter der komplexen CDO-Maschinerie gesehen werden können. Zugleich ist festzuhalten, dass der ursprüngliche enorme Nachfrageüberhang nach sicheren U.S.-Schuldtiteln ab Anfang der 2000er letztlich einen verheerenden Effekt auf die Qualität und Belastbarkeit vieler dieser komplexen Verbriefungstitel des U.S. Schattenbankensystems sowie der ihnen zugrunde liegenden Kreditforderungen zeitigte. Mit Ausbruch der Finanzkrise 2007 in den USA waren es infolge zuerst die komplexen Verbriefungsprodukte, welche toxisch wurden.

Die Rolle der Ungleichheit

Wird die Bedeutung der Ungleichheit für die Finanzkrise 2007 ins Feld geführt, so wird vorwiegend auf den Umstand fallender Lohnquoten und stagnierender Reallöhne auf Seiten der Privathaushalte in den Industriestaaten ab den 1970er Jahren verwiesen. Die Konsequenz dieser Tendenzen war eine steigende Verschuldung der Privathaushalte zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Konsummuster mithilfe neuer Kredittechniken. Diese Kombination von steigender Einkommensungleichheit mit angebotsseitigen Entwicklungen am Kreditmarkt ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite der sich verschärfenden Ungleichheit ist eine verstärkte Konzentration auf der Vermögensseite samt einem massiven Anstieg der von institutionellen Investoren verwalteten Vermögen (diese Aspekte werden u.a von Lysandrou (2011) herausgearbeitet).

Einerseits stellten die institutionellen Investoren in den 2000er Jahren eine wesentliche Komponente der Überschussnachfrage am U.S.-Finanzmarkt dar. Andererseits und damit im Zusammenhang stehend haben sich zugleich die Privatvermögen auf Seiten der reichsten Individuen, der sogenannten HNWI (high net worth individuals), welche über ein Finanzvermögen von mehr als einer Million USD verfügen, weiter konzentriert. Die HNWI konnten ihre Privatvermögen im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte im Zuge steigender Einkommensungleichheit vervielfachen. Im Jahr 2006 umfassten diese bereits Vermögenswerte im Umfang von 37,2 Bio. USD, womit diese mittlerweile einen sehr bedeutenden Faktor in der Nachfrage nach Finanzprodukten darstellen. Hedgefonds wiederum beziehen ihre Finanzmittel zu einem erheblichen Teil aus den Privatvermögen der HNWI. Somit sind letztlich auch Konzentrationsprozesse auf der Vermögensseite für den Boom der Verbriefungsmärkte und die rasante Expansion des Schattenbankensystems mitverantwortlich.

Fazit

Die spezifische Konstellation am U.S.-Finanzmarkt ab Anfang der 2000er Jahre (Überschussnachfrage) erklärt zu einem erheblichen Teil die rasante Expansion des Schattenbankensystems in den 2000ern. Das Ertragsmotiv bei längerfristigen Veranlagungen einerseits bzw. das Sicherheitsmotiv bei kurzfristigen, liquiden Investments andererseits agierten hierbei als treibende Momente der Entwicklung. Die sich verschärfende globale Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen trug hierzu ihren Teil bei. Zwar hat die große Finanzkrise 2007 bis 2009 zu einem Einbruch des globalen Schattenbankensystems geführt, war dieses doch im Epizentrum der Krise zu verorten. Doch seit der Überwindung der Finanzkrise ist das globale Schattenbankensystem wieder rasant am Wachsen. Laut dem Finanzstabilitätsrat sind deren gesamten Vermögenswerte bis 2013 bereits auf 75 Bio. USD angewachsen. Zahlreiche Stimmen betonen, dass ein weiteres Wachstums aufgrund neuer strikter Regulierungen im traditionellen Bankensystem zu erwarten ist. Aber nicht nur das Motiv der Regulierungsarbitrage, sondern auch die weiterhin bestehenden globalen finanziellen Ungleichgewichte und sich tendenziell verschärfenden globalen Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen dürften nachfrageseitig zur weiteren Expansion des globalen Schattenbankensystems beitragen.

Literatur:

Lysandrou, Photis (2011): Global inequality as one of the root causes of the financial crisis: a suggested explanation. In: Economy and Society, 40(3), 323-344.