„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist. Während ein Mensch noch so gut sein kann und nicht anerkannt wird.“
Bertolt Brecht Flüchtlingsgespräche 1940/41
Schon vor 75 Jahren wies Bertold Brecht auf den Wert und damit verbundenen Möglichkeiten von Staatsbürgerschaft hin. Der Migrant Integration Policy Index (MIPEX 2015) zeigt im Ländervergleich, dass es in Österreich besonders schwierig ist, diese zu erlangen. Damit werden Migrantinnen von demokratischen und politischen Rechten ausgeschlossen.
Mit der Staatsbürgerschaft sind verschiedene Rechte für BürgerInnen verbunden. Sie verschafft einen sicheren Aufenthalt in einem bestimmten Land und ermöglicht mehr oder weniger Mobilität. Sie gestattet Teilhabe in Form von politischer und gesellschaftlicher Beteiligung und ist damit ein integrationsstiftendes Element. In Österreich wird der Erwerb der Staatsbürgerschaft als „Gipfel“ oft als der möglichen Integration gesehen.
Migrant Integration Policy Index (MIPEX) – Ein Ländervergleich von Integrationspolitiken Ende Juni 2015 wurden in Brüssel die Gesamtergebnisse des „Migrant Integration Policy Index (MIPEX 2015) “ vorgestellt.
Der MIPEX analysiert und bewertet die Integrationspolitik in acht Themenfeldern (Arbeitsmarktmobilität, Familienzusammenführung, Bildung, Gesundheit, politische Partizipation, dauerhafter Aufenthalt, Einbürgerungsmöglichkeit und Antidiskriminierung) auf Grundlage von144 Indikatoren in 38 Ländern (alle EU Staaten, Australien, Island, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz, Südkorea, Türkei und die USA). Das Ziel des Ranking ist die Schwachpunkte in diesen Bereichen zu analysieren, um bessere Rahmenbedingungen für MigrantInnen zu schaffen.
Grafik Österreich 2014 – Punkte
© A&W Blog
(http://www.mipex.eu/austria)
Seit 2007 hat sich der MIPEX-Wert allgemein für Österreich um acht auf nunmehr 50 Punkte (von 100) verbessert. Österreich liegt somit auf Platz von 20 von den 38 untersuchten Ländern. Am besten wurde die Integrationspolitik in Schweden (mit 78 Punkten) und Portugal (mit 75 Punkten) bewertet.
Positive Entwicklungen hat es in Österreich in erster Linie durch Initiativen im Bereich der Arbeitsmarktmobilität gegeben. Zielgerichtete arbeitsmarktpolitische Unterstützungen und Angebote für MigrantInnen unterstützen diesen positiven Prozess. Österreich belegt hier Platz 16.
Kaum politische Partizipation für MigrantInnen Drittstaatsangehörige sind hingegen im hohen Maß von der politischen Partizipation ausgeschlossen. Ein Grund hierfür sind die restriktiven Bestimmungen zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. Im Bereich der politischen Partizipation ist Österreich auf Platz 21 und bei den Einbürgerungsmöglichkeiten gar nur auf Platz 34 zu finden. Portugal, Schweden und Deutschland führen bei der Staatsbürgerschaft das Ranking an.
Eine Erklärung sind die erforderlichen langen Aufenthaltsdauern. Eine Einbürgerung kann in Österreich in der Regel erst nach 10 Jahren möglich. Nur in Ausnahmefällen kann der Antrag auf Erwerb der Staatsangehörigkeit nach sechs Jahren erfolgen. In 13 MIPEX Staaten sind fünf Jahre üblich, sieben Jahre ist der Durchschnitt.
Zudem gibt es hohe Anforderungen im Bereich der Sprachkenntnisse (B 1) und des notwendigen Einkommens. So muss dauerhaft ein Einkommen über den Ausgleichzulagenrichtsatz (2015/872 Euro für einen Erwachsenen pro Monat), wobei Belastungen wie Kredite oder Unterhaltszahlungen noch hinzu gerechnet werden. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung darf keinesfalls bezogen werden. Das niedrige Haushaltseinkommen von MigrantInnen hindert daher einen beträchtlichen Teil der Drittstaatsangehörigen am Erwerb der Staatsbürgerschaft.
Neben der Schweiz hat Österreich die höchsten Gebühren für den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Die fehlende Möglichkeit auf die Doppeltstaatsbürgerschaft (in 25 Ländern ist diese die Regel) und kein Recht auf Einbürgerung für in Österreich geborene Kinder (in der Mehrheit der MIPEX-Staaten besteht diese Möglichkeit, z. B. auch in Deutschland und zuletzt in Tschechien und Dänemark) sind weitere Schwachpunkte.
Österreich extrem restriktiv bei Staatsbürgerschaft Österreich hat die restriktivsten Bestimmungen für die Staatsbürgerschaft in Westeuropa und liegt im Ranking nur mehr vor der Slowakei, Bulgarien, Estland und Lettland. Dies führte dazu, dass Österreich 2012 die niedrigste Einbürgerungsrate in ganz Westeuropa hatte. Von 100 Drittstaatsangehörigen wurden nur 1,1 eingebürgert, im Vergleich zu Deutschland mit 2,0 und 3,4 im EU-Durchschnitt.
Grafik: Total naturalisation rate, all countries, 2012
© A&W Blog
(http://www.mipex.eu/access-nationality )
2003 wurden hingegen noch rund 44.700 Menschen in Österreich eingebürgert. Seitdem sank die Zahl der Einbürgerungen und erreichte 2010 den niedrigsten Wert seit 1974. In absoluten Zahlen sind zwar die Einbürgerungen im Jahr 2014 um 3,7 % auf 7.693 und im ersten Halbjahr 2015 sogar um 4,4 % auf 3.980 Personen gestiegen. Aber auch das ausländische Potential für die Staatsbürgerschaft ist größer geworden. Auf Basis des MIPEX geschätzt würden zwei von drei Drittstaatsangehörigen grundsätzlich die Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllen. Mehr als ein Drittel aller neuen ÖsterreicherInnen sind bereits in Österreich geboren.
Gesetzliche Änderungen im Staatsbürgerschaftsgesetz mit restriktiveren Bestimmungen in den Jahren 2009 und 2011 verstärkten diesen Rückgang. Im Sommer 2013 hingegen wurde die Verleihung der Staatsbürgerschaft an besonders gut integrierte Fremde erleichtert, zudem erfolgte eine Gleichstellung von unehelichen mit ehelichen Kindern, nachdem der Verfassungsgerichtshof die diesbezügliche Bestimmung zuvor als verfassungswidrig aufgehoben hat.
Vor allem Migrantinnen von Demokratie ausgeschlossen MigrantInnen werden in Österreich in einem hohen Maße von demokratischen Prozessen ausgeschlossen. Geschätzt wird, dass im Jahr 2014 450.000 Drittstaatsangehörige über 15 Jahre, das sind 6,4 % der erwachsenen Bevölkerung, die kein Wahlrecht haben.
MigrantInnen generell und ganz besonders Frauen befinden sich am untersten Segment der Einkommenspyramide. Die regelmäßigen Einkommen der Frauen sind trotz Vollzeitbeschäftigung dermaßen niedrig, dass sie de facto von der Möglichkeit der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind. Diese Tatsache und Lücken in den Erwerbsbiographien dieser Frauen (Schwangerschaft und Kinderbetreuung) werden für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht als unverschuldete Notlagen berücksichtigt. Dadurch sind Frauen mit Migrationshintergrund einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt. Niedriges Einkommen führt zum Ausschluss von demokratischen Rechten.
Was massiv unterschätzt wird – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – ist das Gefühl des „Nichtdazugehörens und Diskriminiert-Werdens“. Mit der jetzigen Gesetzeslage haben Kinder, die in Österreich geboren werden, keinen Rechtsanspruch auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft (Ius Soli – Geburtsrecht). Damit werden ihnen die Rechte an politischer Mitbeteiligung und Mitbestimmung genommen und von klein auf vermittelt, dass sie nicht Teil der österreichischen Gesellschaft sind.
Lediglich ein Drittel der in Wien lebenden MigrantInnen darf zumindest als EU-BürgerIn auf Bezirksebene wählen. 2003 wurde in Wien das Wahlrecht für die Bezirksvertretungswahlen für Drittstaatsangehörige mit fünf Jahren Aufenthalt beschlossen. Im Jahr darauf wurde dieses Recht jedoch vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben.
Innerhalb der Europäischen Union besteht das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen derzeit bereits in einer Reihe von Mitgliedsstaaten. In 15 EU-Staaten besteht ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene und in elf auch die Möglichkeit, als Drittstaatsangehöriger zu kandidieren. Die nordischen Staaten gewähren in Europa die umfassendsten Wahlrechte. Außerhalb der Europäischen Union besteht das Wahlrecht in sechs MIPEX-Staaten. In Neuseeland besteht dieses Recht sogar auf nationaler Ebene.
Dringend Anpassungen erforderlich Erst mit der österreichischen Staatsbürgerschaft werden MigrantInnen richtig in das demokratische System miteinbezogen und können sich politisch partizipieren. Deshalb gilt es die Erfordernisse für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft den gegebenen Umständen auch anzupassen.
Eine Senkung von Einkommensgrenzen und Einführung von Härteklauseln für jene, die Einkommenserfordernis nicht erfüllen, sind notwendige Schritte dafür. Weiters braucht es eine generelle Verkürzung der Aufenthaltsdauer (insbesondere für anerkannte Flüchtlinge) und die Akzeptanz von Doppelstaatsbürgerschaften. Kinder sollten nach der Geburt auch automatisch die österreichische Staatsangehörigkeit erhalten. Die jetzige Staatsbürgerschaftsprüfung in Multiple-Choice-Form unterstützt weder die Vermittlung von demokratischen Grundprinzipien noch andere berufs-, bildungs- und integrationsrelevante Grundsteine. MigrantInnen sind dabei auf sich selbst gestellt. Besonders wichtig ist es daher verpflichtende, kostenlose und zielgruppenadäquate Lehrgänge und Deutschkurse für den Erwerb der Staatsbürgerschaft anzubieten. Denn Integration braucht grundlegendes Wissen über die österreichische Gesellschaft und nicht nur einfach Deutschkenntnisse.
Links:
http://www.mipex.eu
http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/einbuergerungen/080905.html
http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/einbuergerungen/103679.html
https://www.wien.gv.at/menschen/integration/pdf/monitor-2014.pdf
http://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/Studie_Staatsbuergerschaft.pdf
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