Die Arbeitswelt befindet sich in einer großen Transformation. Konjunkturabschwung, Personalknappheiten, Digitalisierung, demografischer Wandel und Klimakrise erfordern eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Statt alter Rezepte wie mehr Sanktionen, mehr Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften, Streichung geringfügiger Zuverdienstmöglichkeiten und mehr überregionaler Vermittlung braucht Österreich genau das Gegenteil: eine soziale und ökologische Arbeitsmarktpolitik mit zukunftsweisendem Budget, die Veränderungsprozesse aktiv gestaltet, Mut macht und für die Menschen Sicherungnetz und Sprungbrett zugleich ist.
Arbeitsmarktteilhabe für alle
Gute Arbeit befriedigt zentrale menschliche Bedürfnisse, ist eine soziale Angelegenheit, wo man mit anderen Menschen in Beziehung tritt und etwas gemeinsam schafft. Dies ist entscheidend für das psychische Wohlbefinden, wie frühe Arbeiten von Marie Jahoda, aber auch jüngere Erhebungen während der Corona-Pandemie gezeigt haben. Arbeitsmarktpolitik muss daher nach Vollbeschäftigung und nach Arbeitsmarktteilhabe für möglichst alle – auch in Zeiten großer Umbrüche – trachten.
Historisch gesehen gelang es der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik immer schlechter, Vollbeschäftigung zu schaffen. Während zwischen 1960 und 1980 eine Arbeitslosenquote um die zwei Prozent üblich war, stieg diese seit den 1980er Jahren kontinuierlich an und gipfelte in der Pandemie mit einer Quote von 9,9 Prozent. 2022 führte die gute Konjunktur und die demografische Entlastung zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Mit einer Arbeitslosenquote von noch über 6 Prozent ist Österreich weit entfernt von Vollbeschäftigung, während sich Unternehmen zunehmend über Arbeitskräftemangel beklagen, den manche mit der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften beheben wollen.
Staatliche Jobgarantie für Langzeitbeschäftigungslose
2023 drehen sich die konjunkturellen Vorzeichen ins Negative, womit mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen ist, was angesichts einer nach wie vor hohen Langzeitarbeitslosigkeit herausfordernd ist. Im Jahr 2022 war rund jede:r Dritte Arbeitsuchende langzeitbeschäftigungslos. Langzeitarbeitslosigkeit ist ein gesellschaftlich zersetzendes Phänomen, teilweise mit irreversiblen Folgen.
Quelle: AMS, eigene Berechnungen; länger als 365 Tage (mit Unterbrechungen von <= 62 Tagen) arbeitslos, lehrstellensuchend, in Schulung inkl. Reha, Bezug Fachkräftestipendium, Gesundheitsstraße
In der Arbeitsmarktpolitik muss Vollbeschäftigung wieder stärker als staatliche Verantwortung angesehen werden. In der neoliberalen Politik seit den 1980er Jahren wurden die Ursachen der Arbeitslosigkeit zunehmend auf der individuellen Ebene verortet und als Lösung Veränderungen bei den Arbeitslosen selbst identifiziert. Ausgehend von einem negativen Menschenbild wurde verkündet, dass Arbeitslose aktiviert, motivierter, mobiler, höher qualifiziert etc. werden müssen. Dass es in Summe zu wenig Jobs mit entsprechender Qualität gab, wurde arbeitsmarktpolitisch kaum thematisiert.
Hier leitet die Idee einer staatlichen Jobgarantie, die in Marienthal/Gramatneusiedl erfolgreich pilotiert wurde, einen Paradigmenwechsel ein. Eine staatliche Jobgarantie verwirklicht die Forderung nach dem „Recht auf gute Arbeit“. Die Jobgarantie ist freiwillig und richtet sich an jene Personen, die sie am dringendsten benötigen und die sonst keine Chancen mehr am Arbeitsmarkt bekommen. Man sollte aus erfolgreichen Piloten wie der Jobgarantie in Marienthal/Gramatneusiedl lernen, sie als Standardinstrument der Arbeitsmarktpolitik etablieren. Wird die Jobgarantie gemeinwohlorientiert, sozial-ökologisch gestaltet, hat diese viele gesamtgesellschaftlich positive Effekte.
Eine Jobgarantie ist leistbar. In Österreich würden 40.000 staatlich finanzierte Beschäftigungsplätze rund 1,461 Milliarden pro Jahr kosten. Unter Berücksichtigung der Rückflüsse an den Staat und der ohnehin anfallenden Nettokosten pro arbeitsloser Person belaufen sich die zusätzlich notwendigen Ausgaben auf rund 329 Millionen Euro im ersten Jahr. Im Vergleich dazu kostet die Körperschaftsteuer-Senkung der Bundesregierung mit 800 Millionen Euro wesentlich mehr.
Teuerung entgegnen, Lebensstandard sichern, Armut vermeiden
Die Teuerungskrise belastet die Menschen sehr und lässt Ungleichheit und Armut steigen. Bereits vor der Teuerungskrise war Arbeitslosigkeit ein Hauptgrund für Armut. Die Armutsgefährdungsquote lag im Jahr 2021 bei Langzeitarbeitslosen (ganzjährig arbeitslos) bei 57 Prozent. Armut selbst trägt dabei zur Verfestigung der Arbeitslosigkeit bei und ist ein Hindernis, wieder in Beschäftigung zu gelangen.
Deshalb muss hierbei ein Politikversagen attestiert werden, da es trotz Kenntnis über die Problemlage in der Arbeitslosenversicherung zu keinen strukturellen Verbesserungen kam. Um die schlimmsten Auswirkungen der Krise zu mildern, hat die Bundesregierung zwar versucht, mit Einmalzahlungen gegenzusteuern und Sozialleistungen zu indexieren. Der verstaubten Analyse von Arbeitslosigkeit folgend, wonach Arbeitslosigkeit ein Anreizproblem wäre, kam es beim Arbeitslosengeld und bei der Notstandhilfe jedoch zu keiner Indexierung. So wurde auch der Familienzuschlag – ein Teil des Arbeitslosengeldes – das letzte Mal im Jahr 2001 angepasst, während die damalige ÖVP/FPÖ-Regierung die Indexierung des Arbeitslosengeldes abschaffte.
2023 ist dringend notwendig, dass das Arbeitslosengeld lebensstandardsichernd und armutsfest gestaltet wird. Von einer Anhebung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf 70 Prozent würden rund 690.000 Menschen finanziell profitieren, und man könnte rund 37.000 Menschen von der Armut befreien. Das wäre ein sozialstaatlicher Fortschritt und ein Sicherheitsnetz, das die Menschen dringend brauchen. Gleichzeitig müssen Leistungen der Arbeitslosenversicherung auch wieder an die Inflation angepasst werden.
Es braucht eine klimasoziale Arbeitsmarktpolitik
Der IPCC-Report (Intergovernmental Panel on Climate Change) und die spürbaren Folgen der Klimakrise führen schmerzlich vor Augen, dass Klimaschutz in allen Politikbereichen verankert werden muss. Die Klimakrise verstärkt bestehende soziale Risiken und trifft ohnehin benachteiligte Personen überproportional. Dadurch wird Klimaschutz zur präventiven Sozialpolitik. In der österreichischen Arbeitsmarktpolitik ist dieser Gedanke nur punktuell angekommen.
Es braucht eine bundesweite AMS-Strategie für eine soziale und ökologische Arbeitsmarktpolitik, aus der sich Zielvorgaben ableiten. Aus- und Weiterbildungen sollten sich verstärkt auf zukunftsfähige, sozial-ökologische Beschäftigungen und Berufe fokussieren. Damit bekommt die Arbeitsmarktpolitik eine Schlüsselrolle in der sozial-ökologischen Transformation, indem sie mit ihren Förderungen signalisiert, welche Berufe und Tätigkeiten zukünftig Grundlage für unseren Wohlstand sind und welche Sektoren klimabelastend sind. Beispielhaft hierfür ist der gesamte Care-Bereich. Hier gibt es hohe Personalbedarfe, einen großen gesellschaftlichen Nutzen und geringe CO2-Belastungen. Einkommensverluste bei Weiterbildungen müssen durch ein Qualifizierungsgeld so minimiert werden, dass Weiterbildungen für alle Beschäftigten und Arbeitssuchenden leistbar bzw. attraktiv erscheinen. Mitarbeiter:innen in Unternehmen, die vor einer Schließung oder Umstrukturierung stehen, sollen die Möglichkeit einer Beschäftigung in Wachstums- und Zukunftsbereichen erhalten.
Dadurch wird die Arbeitsmarktpolitik zum Sprungbrett für Beschäftigte bzw. Arbeitssuchende und der soziale und ökologische Umbau bewältigbar. Entscheidend hierfür ist ein ausreichendes AMS-Budget für aktive Arbeitsmarktpolitik. Darüber hinaus sollten betriebliche Fördermaßnahmen vom AMS auf ökologische Kriterien geprüft werden und diese in den Förderrichtlinien implementiert werden.
Gute Arbeits- und Lohnbedingungen vorantreiben
2021 befanden sich rund 43 Prozent der unselbstständig Beschäftigten, das sind 1,8 Millionen Menschen, in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (d. h. Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Befristung oder Leiharbeit), wobei Frauen besonders häufig atypisch beschäftigt sind. Mit einem Brutto-Jahreseinkommen von 16.645 Euro verdienten atypisch Beschäftigte im Median 39 Prozent des Einkommens der Personen in einem Normalarbeitsverhältnis (42.464 Euro). Die niedrigsten Jahreseinkommen, aber auch besonders menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse weisen die Sektoren Erbringung sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen (stark von Leiharbeit und Reinigung geprägt) mit 20.137 Euro und an letzter Stelle der Tourismus mit 12.381 Euro auf. Angesichts dieser strukturellen Probleme überrascht es nicht, dass zwei Fünftel aller offenen Stellen im Jahr 2022 auf diese beiden Branchen entfallen. Die Branche mit dem geringsten Einkommen, Beherbergung & Gastronomie, weist die drittmeisten offenen Stellen auf.
Quelle: AMS, Allgemeiner Einkommensbericht 2022 (Jahres-Bruttoeinkommen Median 2021), eigene Berechnungen
Eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik unterstützt positive Tendenzen wirtschaftlicher Transformationsprozesse: Voranschreitende Digitalisierung, Bemühungen, die Klimaziele zu erreichen, sowie der demografische Wandel, um nur einige zu nennen. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitsmarktpolitik zunehmend von der Idee der Aktivierung von Arbeitssuchenden geprägt. Über negative Anreize und Sanktionen sollen Arbeitssuchende möglichst schnell in Lohnarbeitsverhältnisse gebracht werden, unabhängig von der Qualität der Arbeit oder Ausbildung. Eine solche Politik trägt dazu bei, den Niedriglohnsektor zu unterstützen. Doch gerade im Kontext der globalisierten Wirtschaftsordnung sowie des relativ hohen Bildungsgrads in Österreich ist das keine sinnvolle Strategie.
Stattdessen sollte die Arbeitsmarktpolitik auf die Entwicklung der Sektoren mit hoher Produkt- und Servicequalität ausgerichtet sein. Das kann durch die Schulung von Arbeitskräften aus Niedriglohn- und nicht mehr zukunftsfähigen Sektoren hin zu Arbeitsplätzen mit hoher Qualität geschehen. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftebedarfs kann so die Wettbewerbsfähigkeit zukunftsträchtiger Wirtschaftsbereiche unterstützt werden, anstelle der Versorgung eines unproduktiven Niedriglohnsektors mit Arbeitskräften. Dazu gehört auch, dass weder Förderungen noch Vermittlungen an Unternehmen, die systematisch Arbeitsrechtsverletzungen aufweisen, getätigt werden.
Neuausrichtung im AMS
Das Arbeitsmarktservice muss eine nachhaltige Vermittlung unterstützen, dabei Kompetenzen der Betroffenen nutzen und Einkommensverluste sowie eine Vermittlung in Niedriglohnsektoren verhindern. Arbeitslosengeldbezug ist eine Versicherungsleistung, entsprechend muss der Umgang mit den Arbeitssuchenden würdevoller und menschlicher gestaltet werden. Die Interessen von Arbeitssuchenden müssen vom AMS genauso berücksichtigt werden wie jene der Betriebe. Statt Druck aufzubauen und Angst zu erzeugen, müssen die Menschen in die Lage versetzt werden, Veränderungsprozesse aktiv zu bewältigen.
Es braucht eine Arbeitsmarktpolitik weg von der Angst und den Sanktionen, hin zu einer Arbeitsmarktpolitik des Mutes und der Förderung. Sanktionen sind ein schlechtes arbeitsmarktpolitisches Instrument, schlecht für die Gesundheit der Betroffenen, schlecht für das Lohnniveau und schlecht für den Staatshaushalt. Es braucht daher eine Abkehr von den AMS-Sanktionen. Dies könnte Arbeitssuchende positiver in die Zukunft blicken lassen und den negativen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Um eine gute Betreuung durch das AMS zu gewährleisten, braucht es mehr und ausreichend gut qualifiziertes Personal. Um den Betreuungsschlüssel im AMS auf 1:100 zu senken und die Beratungszeit auf eine Stunde im Monat auszudehnen, bräuchte es 2.550 zusätzliche Planstellen. Das würde jährlich rund 250 Millionen Euro kosten.
Fazit
Aller Voraussicht nach wird auch das Jahr 2023 von Krisen geprägt sein, deren Meisterung eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik braucht. Weg von dem Aktivierungsansatz und den Sanktionen – hin zu einer Arbeitsmarktpolitik für die Menschen, die Vollbeschäftigung als politische Verantwortung versteht und nicht dem betroffenen Individuum umhängt. Hin zu einer Arbeitslosenversicherung, die vor Armut schützt, zu einer Gesamtstrategie, die zur Erreichung der Klimaziele beiträgt und die Entwicklung qualitativ hochwertiger Arbeitsbedingungen fördert. Und nicht zuletzt hin zu einer Arbeitslosenversicherungsverwaltung, welche sich durch respektvollen Umgang mit den Versicherungsleistungsbezieher:innen auszeichnet und die nachhaltige Vermittlung in passende und gute Arbeitsverhältnisse unterstützt.