Im Jahr 2022 fordern uns nicht nur ökonomische und soziale Krisen, sondern auch die Klimakrise in bislang unbekanntem Maße heraus. Diese multiplen Krisen stellen die derzeitige Organisation der Wirtschaft sowie die Abhängigkeit des österreichischen Wohlfahrtsstaats von einer steigenden Produktion und von Wirtschaftswachstum infrage. Eine Transformation dieser Strukturen ist daher keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“. Doch was bedeutet das für eine zukunftsfähige Arbeitsmarktpolitik? Eine aktuelle Studie stellt sich dieser Frage und analysiert Zusammenhänge zwischen Klima- und Arbeitsmarktpolitik.
Ein Hebel für die Krise
Der Wandel muss rasch passieren. Ein Ernstnehmen der Pariser Klimaziele – den globalen Klimawandel deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten – erfordert mehr als nur „Netto-Null-Zusagen“ bis 2040. Es erfordert effektives und unmittelbares Handeln, das nicht nur Symptombehandlung betreibt, sondern an den Ursachen ansetzt. Mehr Zögern heute erzwingt eine stärkere Anpassung morgen, mit gleichzeitig steigender Ungewissheit über die Folgen des Klimawandels durch Rückkoppelungs- und Kaskadeneffekte (Filmtipp: „Into the Ice“). Aktuell endet die Suche nach einem Allheilmittel meist in technischen Lösungsvorschlägen, welche vorrangig das Ziel verfolgen, den Status quo durch „grüne“ Effizienzgewinne und technische Substitutionsmöglichkeiten zu erhalten. Gleichzeitig wird zunehmend klarer, dass es für eine sozial-ökologische Transformation auch tiefgreifendere Hebel braucht.
Kaum ein anderer Faktor ist für die Organisation unserer Gesellschaft so zentral wie Arbeit. Obwohl hierbei insbesondere die Lohnarbeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, sind wir auch von unbezahlter Arbeit abhängig. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Arbeit, gesellschaftlicher Organisation und Klimaauswirkungen ist es wenig überraschend, dass Arbeitsmarktpolitik ein wichtiger Hebel ist, um die Auswirkungen der Klimakrise nicht nur abzufedern, sondern Klimapolitik aktiv mitzugestalten. Die genauen Zusammenhänge werden in der Praxis jedoch bisher selten beleuchtet.
Arbeit und Klimakrise
Jede produktive Arbeit kann als „Vermittlungsprozess“ zwischen Umwelt und Gesellschaft gesehen werden. Produktion beruht auf dem Verbrauch von Material und Energie und ist daher zwangsläufig mit Eingriffen in die Natur verbunden. Die Herstellung von Schuhen benötigt Kautschuk, Elektrogräte brauchen Kupfer, der Häuserbau nimmt Unmengen an Sand und anderen Materialien in Anspruch und die meisten Produktionsprozesse beruhen auf der Nutzung fossiler Energien als Inputfaktor. Gleichzeitig führen produktive Tätigkeiten fast immer zu schädlichen Nebenprodukten und Verschmutzung, sei es durch Abfall oder Emissionen.
Lohnarbeit muss aber nicht zwangsläufig klima- und umweltschädlich sein. Die Problematik liegt vielmehr in einer wachstumsbasierten Logik unseres Wirtschaftssystems, welche durch das Versprechen eines immer größer werdenden Kuchens Wohlstand für alle verspricht. Spätestens seit den 1970er Jahren ist klar, dass unendliches Wirtschaftswachstum auf einem Planeten mit endlichen natürlichen Ressourcen und endlichen Regenerationskapazitäten nicht möglich ist. Durch die signifikante Einbindung von Arbeitskraft in Produktionsprozessen (das Backen des Kuchens) ist sie somit automatisch in einer wachstumsgeleiteten, klima- und umweltschädlichen Spirale gefangen. Gleichzeitig hält der den Arbeitnehmer:innen aufgezwungene „Work and spend“-Zyklus, welcher impliziert, dass sich Arbeit und Konsum gegenseitig verstärken, diesen Prozess am Laufen.
Obwohl es in puncto Klima- und Umweltauswirkungen qualitative Unterschiede verschiedener Arbeitsformen gibt, liegen jedoch auch vermeintlich ressourcenarmen Formen der Arbeit – wie beispielsweise dem Dienstleistungssektor (z. B. Tourismus) – oft material- und energieintensive Prozesse zugrunde.
Abseits der Produktion wirkt sich der zentrale Stellenwert von Lohnarbeit in unserem Alltag auch indirekt auf das Klima aus. Da sie so viel Zeit in Anspruch nimmt, sind wir oft gezwungen, ressourcen- und energiesparendere Tätigkeiten durch energieintensivere Konsumprodukte zu ersetzen. Arbeitsbedingte Zeitknappheit fördert daher den Konsum von zeitsparenden Produkten und Dienstleistungen, wie beispielsweise Tiefkühl- und Fertigessen, wenn nach und während der Arbeit keine Zeit und Energie mehr zum Kochen vorhanden ist. Auch für Pendlerstrecken muss häufig auf den privaten Pkw zurückgegriffen werden, da öffentlicher Verkehr nach einer langen Schicht meist unflexibel und anstrengend sein kann oder nicht im notwendigen Ausmaß vorhanden ist.
Umgekehrt wirken sich Klimawandel und Klimapolitik auch auf die Gestaltung der Arbeit aus. Vermehrte Extremwetterereignisse beeinflussen die lokale Landwirtschaft, klimabedingte Migration stellt Arbeitsmarktverwaltungen vor neue Herausforderungen, und gesetzliche Vorgaben – wenn auch meist nur zögerlich – schaffen neue Standards und Vorschriften.
Arbeit und Wohlstand
Lohnarbeit verteilt Einkommen und sichert den Lebensunterhalt. Die Befriedigung der unmittelbaren materiellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen ist direkt von den jeweiligen Arbeitgebern abhängig und dadurch häufig eng mit dem nicht nachhaltigen, wachstumsbasierten Wirtschaftsystem verbunden. Abseits der materiellen Grundlage für ein gutes Leben bietet Lohnarbeit aber auch Sinn, Identität, sozialen Status und Zugang zu Leistungen des Wohlfahrtsstaates. Unsere derzeitige Organisation von Arbeit und die Struktur unseres Wirtschaftssystems sind jedoch nicht mit den Klimazielen verträglich. Da aber Lohnarbeit eine so zentrale Rolle einnimmt, fällt es uns umso schwerer, ihren Status infrage zu stellen oder gar Arbeit umzugestalten.
Grüner Planet vs. gutes Leben?
Ein Großteil der bezahlten Arbeit ist nicht nur eng mit klimaschädlichen Produktions- und Konsumweisen verwoben, sondern auch nicht auf das menschliche Wohlergehen ausgerichtet – weder im Hinblick auf das Endprodukt noch auf die geleistete Arbeit. Vielmehr sind es die vielen un- oder unterbezahlten Tätigkeiten der Pflege-, Versorgungs- und Reproduktionsarbeit, die die Grundlage der gesellschaftlichen Wohlfahrt bilden. Diese Arbeit wird darüber hinaus zumeist von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen verrichtet.
Die notwendige sozial-ökologische Transformation der Arbeit erfordert also, dass wir Tätigkeiten, welche die Grundlage für den Wohlstand unserer Gesellschaft schaffen, in den Vordergrund stellen. Hierzu können Berufe und Tätigkeiten in den Sektoren Bildung, Gesundheit, Pflege und Soziales zählen. Gleichzeitig wird es erforderlich sein, Aktivitäten in besonders klimabelastenden Sektoren, wie der Luftfahrt, der industriellen Viehzucht und dem Bergbau, einzuschränken und einen sozial gerechten Übergang für die Beschäftigten zu schaffen.
Ein bedürfnisorientiertes Verständnis von Arbeit wird folgende Fragen aufwerfen:
- Welche Produkte und Dienstleistungen – und damit welche Arbeitsplätze – sind für das gesellschaftliche Wohlergehen notwendig?
- Wie wird Arbeit auf die Mitglieder der Gesellschaft aufgeteilt?
- Wie kann gesellschaftlicher Wohlstand abseits eines lohnarbeitszentrierten Bildes ermöglicht werden?
Eine solche Transformation stellt uns vor die Mammutaufgabe, einen breiten Konsens darüber zu finden, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Gleichzeitig eröffnet sie aber auch neue (Aus-)Wege hin zu einem nachhaltigen und sozial gerechteren Leben für alle.
Chance Arbeitsmarktpolitik
Arbeitsmarktpolitik kann eine Schlüsselrolle dabei einnehmen, die gesellschaftliche Hierarchisierung verschiedener Formen von Arbeit und unser Verständnis von Wohlstand zu überdenken. Gleichzeitig kann sie eine lenkende Funktion einnehmen, indem klimaschonende Berufe gefördert und Übergänge geschaffen werden. So kann sie einerseits aktiv und gestaltend zu mehr Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit und Zeitwohlstand beitragen und andererseits die sozialen und ökologischen Folgen der Wirtschafts- und Klimakrise abfedern. Entscheidend ist hier insbesondere die Organisation anhand sozialer und ökologischer Leitlinien.