Wohnen am (freien) Markt – wer kann sich das leisten?
Für die einen sind die Mieten zu teuer, für die anderen Wohnungen ein lukratives Anlageobjekt, und für Dritte ist eine Eigentumswohnung, ein Haus im Grünen das erklärte Ziel. So unterschiedlich sind die Perspektiven auf eines der wesentlichen menschlichen Grundbedürfnisse: Wohnen! Wie dieses für alle ausreichend sichergestellt werden kann, ist eine essenzielle Frage. Ob der freie Wohnungsmarkt mit seinem Mythos der Regulierung durch Angebot und Nachfrage dazu in der Lage ist, darf mit Blick auf Zahlen und Fakten jedoch bezweifelt werden.
Drei Fragen an den freien Wohnungsmarkt
Der freie Markt, also das möglichst unregulierte Wirken von Marktkräften, wird seit Jahrzehnten als Allheilmittel für alle möglichen ökonomischen, aber auch sozialen Belange beschworen. Der Wohnungssektor ist dabei keine Ausnahme. Beschwörungen haftet jedoch seit jeher eine Art sakraler Heilsgewissheit an. Insofern lohnt es sich, dem Geist des Marktes auf dem Feld der Wohnversorgung auf den Zahn zu fühlen.
Der folgende Beitrag macht dies anhand von drei Fragen:
- Wie wirkt sich das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt aus?
- Welchen Einfluss hat der Finanzmarkt auf die Wohnungspreise?
- Was passiert, wenn der Mieterschutz im Mietrecht gelockert wird und der Markt mehr Spielraum erhält?
Der österreichische Wohnungsmarkt
Werfen wir zunächst einen Blick auf den österreichischen Wohnungsmarkt. Dieser zeichnet sich im internationalen Vergleich durch einen hohen Bestand an sozialem Wohnbau (mit regulierten niedrigeren Mieten) aus. Von Gemeinden und gemeinnützigen Bauvereinigungen errichtete Wohnungen machen fast ein Viertel (23 Prozent) aller Wohneinheiten aus, bei den Mietwohnungen sogar 60 Prozent. Dieser hohe Anteil an sozial reguliertem Wohnbau beeinflusst auch die allgemeinen Mietpreise. So ist die Wohnkostenbelastung, also der Anteil der Wohnkosten am Haushaltseinkommen, mit 17,9 Prozent in Österreich noch moderat, in Deutschland beträgt sie beispielsweise 26,3 Prozent.
Und doch hat, wer heute, vor allem in den wachsenden Städten, eine Wohnung sucht, das Gefühl, kaum eine leistbare zu finden. Und dieses Gefühl trügt nicht: Auch in Österreich sind die Kaufpreise für Immobilien um 60 Prozent und die Mieten um 40 Prozent gestiegen (2008-2017). Mit diesen enormen Zuwachsraten konnte natürlich das Medianeinkommen der unselbstständig Beschäftigten nicht Schritt halten, es hat seit 2005 nur um ein Viertel zugenommen, wobei der Zuwachs bei den unteren Einkommen geringer ausgefallen ist.
Des einen Freud’, des anderen Leid: ImmobilienbesitzerInnen und VermieterInnen freuen sich über den Wertzuwachs ihres Eigentums, für (Miet-)Wohnungssuchende schränken die hohen Wohnkostenbelastungen den Lebensstandard hingegen empfindlich ein. Es sind Marktmechanismen, die die Preise anheizen.
Angebot und Nachfrage – ein Ungleichgewichtsmechanismus
Die Marktlogik von Angebot und Nachfrage ist in Bezug auf leistbare Wohnungen in der Tat bestechend: Denn je mehr Haushalte bzw. Personen mit geringen Einkommen günstige Wohnungen nachfragen, desto teurer werden diese. Das Angebot kann im Wohnungsbau einerseits nicht kurzfristig gesteigert werden. Andererseits erhöht der Mangel an Boden in Städten die Grundstücks- und damit die Errichtungskosten. Eine adäquate Wohnversorgung für alle Menschen zur Befriedigung eines der zentralen menschlichen Grundbedürfnisse (und menschlicher Würde) zu gewährleisten ist damit offenkundig nicht möglich. Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage produziert also, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt, keineswegs das in der ökonomischen Theorie vielgepriesene Gleichgewicht, sondern vielmehr massive Ungleichgewichte. Die Miet- und Immobilienpreissteigerungen sind vor allem für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen ein Problem.
Betongold und Spekulation – der Finanzmarkt als Preistreiber
Dazu kommt aber noch eine andere Marktlogik, nämlich die des Finanzmarktes. Nicht zuletzt das seit Jahren niedrige Zinsniveau führt dazu, dass Wohnungen zum begehrten Anlageobjekt für Finanzmarktakteure (Betongold) werden. Diese spekulative Nachfrage treibt die Preise nochmals in die Höhe, auch die Bodenpreise, vor allem in Städten, wo dieses Gut ohnehin knapp ist. Dies erhöht wiederum die Errichtungskosten für Neubauten. Denn die Investitionen sind mit bestimmten Renditeerwartungen verbunden, die sich wiederum in der Bewirtschaftung an durchschnittlich erzielbaren Erträgen am Finanzmarkt orientieren.
Nicht zu vergessen ist, dass der tiefe weltweite ökonomische Einbruch 2008/09 durch das Platzen einer Immobilienkrise in den USA ausgelöst wurde – und zwar durch „kreative“ Finanzprodukte, die mit Verschuldungstiteln von (ArbeiterInnen-)Haushalten zum Erwerb von Wohnungseigentum handelten. Die durch die Krise ausgelöste Austeritätspolitik führte wiederum zu einem empfindlichen Rückgang von öffentlichen Investitionen – auch in den kommunalen Wohnbau.
Der steigende Einfluss des Finanzmarktes am Wohnungssektor zeigt sich dabei sowohl durch einen (auch im Regierungsprogramm verankerten) Fokus auf die Förderung von individuellem Eigentumserwerb als auch in der Zunahme der spekulativen Nachfrage (Wohnung als Anlageobjekt). Letzteres umfasst den Erwerb von Wohneigentum als Pensionsvorsorge – eine Entwicklung, die sich vor allem in den oberen Mittelschichten ausbreitet und dadurch eine auch quantitativ beachtliche Größe erreicht – wie auch den Einstieg großer, börsennotierter Immobilienfonds und -konzerne. So ist etwa Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia inzwischen auch der größte Privatvermieter in Österreich, zu dem beispielsweise auch die (22.400) privatisierten BUWOG-Wohnungen gehören. Auch wenn sie nur einen kleinen Teil des gesamten Marktes ausmachen, so sind sie die Vorreiter von strikt an Finanzrenditen orientierten Geschäftsmodellen, die sich in der Folge am Wohnungsmarkt ausbreiten. Und auch im gemeinnützigen Wohnbau steigt der Einfluss der Finanzwirtschaft.
Die Deregulierung des Mietrechts
Man könnte meinen, dass in Österreich (vor allem in den wachsenden Städten) ein Widerspruch zwischen subjektivem Gefühl (kaum leistbare Wohnungen) und objektiven Daten (geringe Wohnbelastung) existiert. Auflösen lässt sich dieser allerdings nicht allein mit dem Verweis auf den Unterschied zwischen sozialem Wohnbau und Privatsektor. Auch langjährige MieterInnen in Altbauten sind noch von den Regulierungen des alten Mietrechtsgesetzes geschützt.
In den letzten Jahren hat nämlich die Marktorientierung in Form von Deregulierungen auch in der österreichischen Wohnungspolitik zugenommen. Der Mieterschutz im Mietrecht wurde in Etappen durch die Einführung von Richtwertmieten, Lagezuschlägen und Befristungsmöglichkeiten gelockert. Dadurch konnten die Preise bei Neuvermietungen, befeuert durch eine anhaltend hohe Nachfrage und finanzmarktgetriebene Renditeerwartungen, deutlich erhöht werden. Dies trifft vor allem Menschen mit niedrigen bis mittleren Einkommen. Denn diese sind mangels Vermögen auf den Mietwohnungsmarkt angewiesen.
Fazit
Wohnen am Markt, etwa am Brunnenmarkt in Wien, kann durchaus seinen Reiz und eine hohe Lebensqualität, etwa durch qualitätsvolle Nahversorgung, haben. Der freie Wohnungsmarkt macht dies aber für Familien und Einzelpersonen mit geringen Einkommen zunehmend unmöglich (so sie nicht alte Mietverträge haben). Lagezuschläge und Sanierungen treiben die Preise in für sie unerschwingliche Höhen – so will es die Logik des Marktes.
Die Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses für alle bleibt am Markt auf der Strecke – umso mehr, je ungeregelter dieser ist. Dass Wohnungen zunehmend zu einem frei handelbaren und lukrativen Gut werden, freut zwar AnlegerInnen und VermieterInnen. Für viele wird Wohnen dadurch allerdings zu einer nur mehr schwer erträglichen Belastung. Und es beeinflusst die Stadtentwicklung: Es fördert Verdrängungsprozesse und gefährdet die soziale Durchmischung. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie hat vor ziemlich genau einem Jahrhundert den Startschuss für das beispiellose soziale Wohnbauprogramm des „Roten Wien“ ausgelöst.
Seine Effekte auf den Wohnungsmarkt wirken bis heute nach. Die Entwicklung der Miet- und Immobilienpreise in den letzten Jahren zeigt jedoch, dass der soziale Wohnbausektor trotz seiner im internationalen Vergleich starken Stellung unter Druck steht. Obwohl Wien noch nicht London oder München ist, wird Wohnen auch hierzulande zunehmend zu einem sozialen Problem, das bis weit in die Mittelschicht reicht. Das zeigt, dass auch das Wiener Modell schon gehörig Patina angesetzt hat und dringend einer Erneuerung bedarf: In Richtung mehr Markt kann es dabei aber keinesfalls gehen. Denn die Versorgung mit leistbarem Wohnraum ist Teil der Daseinsvorsorge, also der gesellschaftlichen Grundversorgung, und damit eine eminent öffentliche Aufgabe.