In der öffentlichen Debatte wird zunehmend eine Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose gefordert. Weil Arbeitslosigkeit dem fehlenden Arbeits- bzw. Leistungswille geschuldet sei, ließe sich das Problem der Arbeitslosigkeit (u. a.) durch die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose lösen. Doch hinter diesem Leistungsdiskurs bzw. der Forderung, die Bestimmungen für den Erhalt von Arbeitslosenversicherungsleistungen zu verschärfen, verbirgt sich eine politische Agenda.
Insbesondere die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen würde den Druck für Arbeitssuchende erhöhen, Investitionen in Humankapital entwerten, zu niedrigen Löhnen und Erwerbsarmut beitragen und so die Entwicklung eines Niedriglohn- und Niedrigqualitätssektors in Österreich fördern.
Nach unten treten: die Stigmatisierung von Arbeitslosen
Arbeitslosigkeit kann verschiedenste Ursachen haben, kann jeden und jede treffen und ist in der Regel ein Resultat von konjunkturellen Entwicklungen und/oder (Fehl-)Entscheidungen einer Unternehmensführung. Dennoch führen manche politische EntscheidungsträgerInnen, ExpertInnen und JournalistInnen eine öffentliche Debatte, in der selektiv die Ansicht vertreten wird, dass Arbeitslose für ihre Misere selbst verantwortlich seien. Arbeitslosen fehle es an der Bereitschaft, Leistung zu erbringen. Lieber würden sie sich in der „sozialen Hängematte“ ausruhen, weil die Anreize zu arbeiten, aufgrund von sozialstaatlichen Leistungen etc. zu gering seien. Mit dieser Argumentation wird Arbeitslosigkeit zu einem Problem mangelnden Arbeitswillens der Betroffenen umgedeutet und gleichzeitig mit den Leistungen etablierter Sozialversicherungssysteme verknüpft. Ist diese Betrachtungsweise einmal im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert, lassen sich daraus abgeleitete politische Maßnahmen auch konsensual durchsetzen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich seit den 1980er-Jahren in den Ländern der OECD ein klarer Trend beobachten: Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik werden zunehmend autoritärer und disziplinierender gestaltet. Diese politische Umgestaltung der Arbeitsmarktpolitik lässt sich empirisch häufig in Zeiten beobachten, in denen Debatten über sozialstaatliche Kürzungsmaßnahmen dominieren – wenn von der Öffentlichkeit die Ansicht übernommen wird, Kürzungen im öffentlichen Sektor seien notwendig, werden auch Kürzungen im Sozialbereich, die eigentlich gegen die eigenen Interessen gehen, eher akzeptiert. So spiegelt der Trend in der Umgestaltung der Arbeitsmarktpolitik den Umbau von Wirtschaftssystemen wider: Von marktwirtschaftlichen Systemen, in denen sozialstaatliche Koordination eine wichtige Rolle spielt, hin zu dezentralisierten „liberalen“ Marktwirtschaften nach dem angelsächsischen Modell (z. B. USA und GB). Mit Blick auf den Arbeitsmarkt kam es dabei bereits seit den späten 1960er-Jahren zu einer Umgestaltung von „Welfare-Regimen“ zu „Workfare-Regimen“. Das sind Arbeitsmarktregime, in denen der Erhalt von sozialstaatlichen Versicherungsleistungen von strikten gesetzlichen Regulierungen abhängig ist; z. B. über die Bereitschaft zu arbeiten und dabei über die Zumutbarkeit von Erwerbstätigkeiten. Der Erhalt von existenzsichernden sozialstaatlichen Versicherungsleistungen wird somit an den Zwang gebunden, Arbeit annehmen zu müssen. Auf die essenziellen Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes heruntergebrochen geht es bei einer zunehmend autoritären und disziplinierenden Arbeitsmarktpolitik somit nicht darum, Erwerbstätigkeiten für arbeitslose Menschen zu schaffen, sondern darum, Menschen in Erwerbstätigkeiten zu zwingen, die niemand haben möchte. Das erhöht den Zwang, auch schlechte Erwerbsarbeit (niedrige Löhne, schlechte Qualität etc.) anzunehmen. „Workfare-Regime“ wirken darüber hinaus, aufgrund ihres disziplinierenden Charakters, nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern auch auf alle, die die Konsequenzen dieser Politik beobachten. So verschieben sich nicht nur die Machtverhältnisse und das Arbeitsangebot am Arbeitsmarkt, sondern es wird auch für Menschen in Beschäftigungsverhältnissen das Risiko der Arbeitslosigkeit mit höheren Kosten versehen. Vermehrte Zurückhaltung von Forderungen gegenüber Dienstgebern (Lohnerhöhungen, Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen etc.) ist nur eine der möglichen disziplinierenden Konsequenzen dieser politischen Entwicklung.
Diesem Trend folgend wird nun auch in Österreich erneut der Umbau des Sozialstaates vorangetrieben. Mit der Neuerung, dass der gesellschaftliche Rückhalt durch rassistische „Leistungs-“ und „Fairnessargumente“ hergestellt wird. Mithilfe der Behauptung, Ausländer wollten keine Leistung erbringen bzw. hätten noch zu wenig in das System eingezahlt und sollten deshalb auch keine Sozialleistungen bekommen, werden nun Reformen des Arbeitslosenversicherungssystems verkündet. Von dieser Debatte getragen, werden so Reformen umkämpfter gesetzlicher Regulierungen in Angriff genommen, beispielsweise eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmung für Arbeitslose. Gestützt werden diese außerdem von der generellen Forderung nach der Umgestaltung („Flexibilisierung“) des Arbeitsmarktes, unlängst seitens der von Industrieseite finanzierten Agenda Austria. Und zwar ganz nach den Wunschvorstellungen der Finanziers.
Hinter der Debatte über Arbeitswilligkeit steht somit nicht die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Auch geht es nicht um das Scheinargument, Missbrauch im Leistungsbezug zu verhindern. Viel eher handelt es sich um eine Agenda zur Reform von Arbeitsmarktregulativen auf Kosten der ArbeitnehmerInnen.
Mehr schlechte Arbeit und Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit
Die in der öffentlichen Debatte geforderte Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose hat also weitreichende Konsequenzen. Zu erwartende Erfolge in der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sind hingegen äußerst fraglich. Zwar mag es stimmen, dass Kürzungen von Sozialtransfers den Anreiz bzw. die Notwendigkeit zu arbeiten erhöhen, jedoch begünstigt das gleichzeitig die Herausbildung eines Niedriglohnsektors und trägt zu dem Phänomen Erwerbsarmut bei. Die Konsequenzen einer Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose sind bekannt und wurden unter anderem in diversen Studien zu den Auswirkungen von Hartz IV untersucht. Dabei wird ersichtlich, dass Arbeitsmarktpolitik nach dem Vorbild von Hartz IV keine Lösung, sondern Klassenkampf von oben ist.
Ein weiterer Aspekt ist, dass die öffentlich geführte Debatte über Arbeitslosigkeit und Leistungsunwilligkeit zur Stigmatisierung von Arbeitslosen beiträgt. Das reduziert die Chance von Arbeitslosen, eine Beschäftigung zu finden und trägt dazu bei, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt.
Arbeitswilligkeit und Zumutbarkeit
Ein Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Regelung von Arbeitswilligkeit verdeutlicht das. Wesentlicher Bestandteil sind die Zumutbarkeitsbestimmungen. Diese legen fest, welche Beschäftigungen für Arbeitslose als zumutbar gelten und sind eine Voraussetzung für den Erhalt von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
Die gesetzlichen Bestimmungen besagen unter anderem, dass eine Beschäftigung zumutbar ist, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, nach den Bestimmungen des geltenden Kollektivvertrages entlohnt ist und in angemessener Zeit erreichbar ist (§ 9 AlVG).
Darüber hinaus gilt für die ersten 100 Tage Berufsschutz. Das heißt, dass eine Tätigkeit nicht zumutbar ist, wenn dadurch eine künftige Beschäftigung im bisherigen Beruf wesentlich erschwert wird. Ein Abstieg von der Fachkraft zur Hilfskraft soll damit erschwert werden. Weiters gilt in den ersten 120 Tagen Entgeltschutz in der Höhe von 80 Prozent des letzten (für die Bemessungsgrundlage herangezogenen) Entgelts. Nach den genannten Fristen sind Arbeitssuchende sowieso gezwungen, sich für alle angebotenen Beschäftigungen zu bewerben und diese gegebenenfalls auch anzunehmen.
Folgen einer Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen
Die Debatte über die Arbeitswilligkeit von Arbeitslosen – getragen von dem rassistischen Diskurs über MigrantInnen und AsylwerberInnen, die keine Leistung erbringen würden – legitimiert gesetzliche Änderungen, die zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse am Arbeitsmarkt führen. Das hat direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Erwerbschancen und somit auch auf die österreichische Wirtschaft.
- Arbeitswilligkeit ist eine Voraussetzung, um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu erhalten. Strengere Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose erhöhen somit den Druck, schlechte Arbeit anzunehmen und erzwingen Arbeit im Niedriglohnbereich, ungeachtet von Qualifikation und Erfahrung. Das begünstigt die Herausbildung eines Niedriglohnsektors und führt zu einem Anstieg von Erwerbsarmut.
- Durch eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose werden Berufserfahrung sowie Investitionen ins Humankapital entwertet. So besteht bereits in der aktuellen Situation nur für einen Zeitraum von 100 Tagen Berufsschutz. Ein Entkräften dieser Bestimmungen hätte zur Folge, dass das Risiko steigt, keine der Ausbildung angemessene Erwerbsarbeit zu finden. Vorhandene Expertise würde somit verloren gehen und entwertet. Die Anreize für Unternehmen, auf die vorhandenen Fachkräfte zurückzugreifen und auf wissensintensive Produktion zu setzen, werden dabei verringert, denn für Tätigkeiten, die keine Vorkenntnisse benötigen, würde das Arbeitsangebot steigen und die Preise (also Löhne) sinken. Das würde zusätzlich die Entwicklung eines Niedriglohn- und Niedrigqualitätssektor fördern.
- Der Umbau des koordinierten marktwirtschaftlichen Systems von „Welfare“ zu „Workfare“ wirkt disziplinierend auf alle, die die Konsequenzen des Systems beobachten (also auf alle ArbeitnehmerInnen) und erzeugt Abstiegsängste, wirkt also indirekt auch auf jene, die nicht unmittelbar davon betroffen sind. In Österreich sind Kündigungen ohne weiteres möglich. Das Risiko für ArbeitnehmerInnen, von DienstgeberInnen gekündigt zu werden, wird auf diese Weise mit steigenden Kosten für die ArbeitnehmerInnen versehen. Gleichzeitig sinken die Kosten für die DienstgeberInnen, denn das „Workfare-Regime“ hält Arbeitskräfte zur Verfügung.
Was stattdessen getan werden sollte
Arbeitslosigkeit ist eine Belastung für die Betroffenen und hat ihre Ursachen in ökonomischen Konjunkturzyklen und Krisenerscheinungen. Um politisch sinnvolle (Arbeitsmarkt-)Politik umsetzen zu können, muss der Wert von Solidarität in öffentlichen Debatten verankert werden. Die klare Abgrenzung von der rassistisch aufgeladenen Leistungsdebatte ist dafür unumgänglich.
Anstelle einer Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose bedarf es des Ausbaus der investiven aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verbesserung des Humankapitals als auch Aus- und Weiterbildungen (mit dem Ziel in gute Beschäftigungsverhältnisse zu gelangen) sowie auskömmlichen Lohnersatz- und Sozialleistungen. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, Erwerbsarmut zu bekämpfen und Menschen in gute Erwerbsarbeitsverhältnisse einzugliedern.
Die wirtschaftliche Expansion, in der sich Österreich befindet, ermöglicht eine Ausweitung der Beschäftigung. Proaktive Maßnahmen wie die Aktion 20.000 erlauben es dabei, gezielt einer Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken – diese Aktion sollte daher auch mit Nachdruck fortgeführt werden. Eine nachhaltige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss mittels sinnvoller Wirtschaftspolitik erreicht werden. Anstelle der Stigmatisierung von Arbeitslosen bedarf es einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik, die dem Ziel Vollbeschäftigung und gute Arbeit einen entsprechenden Stellenwert einräumt.