Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. „Traditionelle Arbeitsverhältnisse“, sprich (meist männliche) dauerhafte Vollzeitstellen mit umfassender sozial- und arbeitsrechtlicher Absicherung, geregelter Normalarbeitszeit und kontinuierlichem Entgelt, weisen kaum nennenswerte Zuwachsraten auf. Atypische Arbeitsverhältnisse wie geringfügige Beschäftigung und Teilzeit, Leiharbeit und neue Selbständigkeit kommen immer häufiger vor. Für viele ArbeitnehmerInnen sind sie harte und oft auch ungewählte Realität. Hinzu kommen neue Rekordwerte an arbeitslosen Menschen, die in weiten Teilen Europas noch drastischer sind als hierzulande. Erwerbsarbeit ist für Viele keine Selbstverständlichkeit. Doch dem nicht genug: Auch in „traditionellen Arbeitsverhältnissen“ läuft vieles schief: Unbezahlte Überstunden und steigender Arbeitsdruck stehen in vielen Unternehmen auf der Tagesordnung. Zudem wird es immer schwieriger, ein Auskommen mit dem Einkommen zu finden. Der Druck auf die ArbeitnehmerInnen steigt. Die Frage nach „GUTER Arbeit“ in all ihren Facetten besitzt unbestreitbare Aktualität und Berechtigung. Die von Seiten der AK mit initierte Deklaration für „GUTE Arbeit“ bietet die Möglichkeit ein klares Bekenntnis abzugeben.
Das Thema ist jedoch kein Neues. Es hat die ArbeitnehmerInnenbewegung immer schon begleitet. Mit der Verankerung grundlegender arbeitsbezogener Rechte in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UN-Menschenrechtscharta) wurde im Jahr 1948 ein wesentlicher Baustein gelegt. In Artikel 23, Absatz 1 steht geschrieben, dass jeder „das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat. Artikel 23, Absatz 3 und 4 führen weiter aus, dass jeder, der arbeitet „das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen“ hat und dass auch jeder „das Recht [hat], zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten“. Von einer Situation, die all diesen grundlegenden Erfordernissen in der Arbeitswelt entspricht, sind wir auch im wohlhabenden Europa immer noch weit entfernt.
Die aktuellen Entwicklungen laufen zudem in die falsche Richtung. Die Verschlechterungen in der Arbeitswelt sind massiv und gehen leider oft schleichend von statten. Längst steht nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt allen Wirtschaftens. Die Wirtschaft ist nicht primär zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Die Profitmaximierung ist Selbstzweck und Leitmotiv allen Wirtschaftens. Der Mensch wird auf einen Produktionsfaktor reduziert, menschenwürdige Arbeitsbedingungen erscheinen nur mehr als Kostenfaktor, den immer häufiger die Beschäftigten mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.
Einziges Argument im einschlägigen Diskurs ist die allesumworbene internationale Wettbewerbsfähigkeit: ein Wettbewerb nach unten, für die Meisten zumindest. Gänzlich übersehen wird, dass es vor allem auch die sozialen Errungenschaften sind, die Europa in den vergangenen 60 Jahren zu einem vergleichsweise friedlichen Zusammenleben geführt haben und zu einer der stärksten wirtschaftlichen Regionen hat werden lassen. Heute ist sozialer Fortschritt wieder nötiger denn je. Marktgerechtigkeit ist nicht gleich sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit relativiert das Urteil des Marktes. Die folgenden Bausteine „GUTER Arbeit“ skizzieren wesentliche Bestandteile.
Verteilung der Arbeit
„GUTE Arbeit“ bedeutet eine faire, geschlechter- und generationengerechte Verteilung der Erwerbsarbeitszeit auf Basis sicherer Arbeitsplätze. Es darf nicht sein, dass die Einen viel zu viel und Andere zu wenig oder keine Arbeit haben. Paradox an den aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt ist, dass neben dem stetig steigenden Druck und den immer längeren Arbeitszeiten immer mehr Personen auch in Österreich keinen Arbeitsplatz finden. Eine faire Verteilung der Erwerbsarbeit würde nicht nur Teilhabe für die Einen und Entlastungen für die Anderen bringen. Sie wäre auch volkswirtschaftlich sinnvoll: Arbeitslosigkeit ist eine Vergeudung der wertvollsten aller „Ressourcen“; von den persönlichen und sozialen Problemen für die Betroffenen ganz zu schweigen. Weniger Menschen ohne Arbeit bedeuten für die öffentliche Hand weniger Ausgaben (etwa im Bereich der Arbeitslosenversicherung) bei gleichzeitig höheren Einnahmen (etwa durch zusätzliche Lohnsteuereinnahmen). Es entsteht neue Kaufkraft, die einen – gerade aktuell so wichtigen – Konjunkturanstoß mit sich bringen würde. Arbeitszeitverkürzungen sind ein sehr vielseitig sinnvolles Mittel, vor allem auch in konjunkturell schwachen Zeiten.
Aber auch die „unbezahlte Arbeit“ muss mehr Beachtung finden und nach neuen Kriterien verteilt werden. Es gibt starke Zusammenhänge zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit: Arbeitszeitreduktionen im Segment der Erwerbsarbeit können positiv auf die – momentan zwischen den Geschlechtern sehr ungerecht aufgeteilte – Verteilung von Reproduktionsarbeit wirken.
Entlohnung der Arbeit
„GUTE Arbeit“ muss eine angemessene Entlohnung und damit einen gerechten Anteil am geschaffenen Wohlstand bereitstellen. Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Unternehmen ständig steigen und die durchschnittlichen Löhne und Gehälter preisbereinigt kaum wachsen bzw. Niedrigeinkommen real sogar sinken! Ein weiteres Problem ist die eklatante Schieflage im österreichischen Steuersystem, welche die Ungleichverteilung der Einkommen weiter verschärft. Die ArbeitnehmerInnen müssen steuerlich entlastet werden, demgegenüber brauchen wir höhere Beiträge von den Unternehmen und den Superreichen. Auch ein flächendeckender kollektivvertraglicher Mindestlohn von 1500 Euro wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Einkommensgerechtigkeit. Zudem müssen bestehende Lücken, zum Beispiel für Beschäftigte von FreiberuflerInnen, geschlossen und die Umgehung des Arbeitsrechts durch Unternehmen – etwa durch freie Dienstverträge – verhindert werden. Die Definition, wer ArbeitnehmerIn ist, muss neu überdacht werden, damit Kollektivverträge und die volle arbeitsrechtliche Absicherung auch für neue atypische Arbeitsverhältnisse zur Anwendung kommen.
Qualität der Arbeit
„GUTE Arbeit“ bedeutet ein menschengerechtes Maß in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsausmaß und garantiert Arbeitsbedingungen, die physische wie psychische Gesundheit erhalten und die Vereinbarkeit von Beruf, Familien- und Privatleben gewährleisten. Unter dem Deckmantel der Flexibilisierung werden Menschen zunehmend aus einem Miteinander hinausgeschleudert. Die geforderte Flexibilität bringt die ArbeitnehmerInnen oft an die Grenzen der Belastbarkeit. Viele arbeiten nahezu rund um die Uhr, flexibel einsetzbar, jederzeit abrufbar. Ständig präsent ist die Angst all jener, die – noch – Arbeit haben, im Konkurrenzkampf um Arbeit (mit dem Rest der Welt, wie uns suggeriert wird) zu bestehen. Reine Profitabilität ist keine Garantie für den Bestand von Arbeitsplätzen mehr. Es gibt einen Konkurrenzkampf um die Gunst der Shareholder. Der Druck der Finanzmärke, mit denen man in unmittelbare Konkurrenz gesetzt wird, gelangt in alle Ebenen der Betriebe und wird bis zur einzelnen MitarbeiterIn weitergereicht. Das Resultat: Menschen klappen zusammen, werden krank, körperlich und seelisch. Burn-Out-Raten erreichen neue Höchststände, die AktionärInnen freuen sich über höhere Profite.
Arbeit in Würde
„GUTE Arbeit“ achtet die Würde des Menschen, respektiert und ermöglicht das Einbringen persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse und sieht den Menschen als Urheber, Mittelpunkt und Ziel allen Wirtschaftens. Die Würde sollte jeder Leistung im ökonomischen Sinn voraus gehen. Dabei geht es auch um Arbeit in Unterschiedlichkeit und ein klares Bekenntnis gegen jede Art von Diskriminierung in der Arbeitswelt. Maßnahmen wie das Behinderteneinstellungsgesetz, betriebliche Aus- und Weiterbildungen, Pflegefreistellung für Kinder und Angehörige, die Kultur des respektvollen Umgangs miteinander – all dies sind Möglichkeiten, die Würde der Menschen ernst zu nehmen. Sie sind soziale und würdige Errungenschaften und sollten nicht als Fesseln der Wirtschaft verstanden werden. Gerade dort, wo Menschen zu Kostenstellen reduziert werden, zeigt sich ihre Verwundbarkeit.
Arbeit mit Sinn
„GUTE Arbeit“ ist sozial-ökologisch nachhaltig, stellt Produkte und Dienstleistungen her, die der positiven Gestaltung und Entwicklung der Welt nützen, und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Nicht nur heutige Generationen fallen der Profitmaximierung zum Opfer, auch künftige Generationen sind von dem System betroffen, das auf falsche Prämissen aufbaut und die falschen Ziele verfolgt. Die Ausrichtung unseres Wirtschaftssystems sollte nicht nur heutigen Generationen eine den oben diskutierten Grundsätzen entsprechende Existenz ermöglichen, sondern dabei auch die Lebensgrundlage künftiger Generationen sichern.
Mitbestimmung in der Arbeitswelt
„GUTE Arbeit“ umfasst das Recht, Arbeitsinhalte, Entscheidungen und Abläufe mitzugestalten, Fehlentwicklungen im Job aufzuzeigen, sich zu organisieren und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Jeder Schritt auf dem Weg zur „GUTEN Arbeit“ – sei es auf dem Gebiet der Entlohnung, der Arbeitsbedingungen oder in Sachen Verteilung – ist leider oft ein hart erkämpfter Schritt. Umso wichtiger ist es, dass die Stimme der ArbeitnehmerInnen Gewicht hat. Das gilt auf gesamtwirtschaftlicher und überbetrieblicher Ebene, wo sich Gewerkschaften und Arbeiterkammern für die ArbeitnehmerInnen einsetzen. Aber auch auf betrieblicher Ebene dürfen Mitgestaltungsmöglichkeiten für die ArbeitnehmerInnen nicht aufgeweicht, sondern müssen weiter ausgebaut werden. Die Rechte der ArbeitnehmerInnen, die über Jahrzehnte und unter erheblichen Kraftanstrengungen errungen wurden, dürfen nicht in Zeiten der Krise in einem – zum obersten wirtschaftspolitischen Ziel hochstilisierten – Kampf um Wettbewerbsfähigkeit geopfert werden. Wir brauchen Solidarität, die in der EU und darüber hinaus einen Ausbau des Sozialstaats und der ArbeitnehmerInnenrechte schafft.
Deklaration für GUTE Arbeit!
Alles Utopie? Vielleicht mag das so erscheinen. Aber nichts ist gefährlicher als in Resignation zu verweilen. Natürlich gegeben ist das heutige neoliberale System jedenfalls nicht. Um all diesen Erfordernissen eine Stimme zu geben, haben Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund und Katholische Kirche in Oberösterreich gemeinsam eine Deklaration für GUTE Arbeit verfasst, die auf www.gute-arbeit.at unterstützt werden kann.