„Passt euch an oder sterbt aus!“ Das raten ExpertInnen den europäischen Gewerkschaften seit Jahrzehnten. In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften das Leben der Menschen, den Staat und die Gesellschaft entscheidend mitgeprägt. So auch der ÖGB und seine Gewerkschaften in Österreich: gute Kollektivverträge, von denen die allermeisten Menschen profitieren, geregelte Arbeitszeiten, Mindesturlaub u. v. m.
Doch die Welt hat sich verändert und mit ihr die Bedingungen für die Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen. Mitglied bei der Gewerkschaft zu sein ist nicht mehr selbstverständlich. So schön es daher ist, auf die Erfolge in 70 Jahren ÖGB zurückzublicken, so wichtig ist es, in die Zukunft zu schauen und zu fragen: Wie sieht die Interessenvertretung von morgen aus?
Neue Gruppen am Arbeitsmarkt
Wenn von der Krise der Gewerkschaften die Rede ist, sind damit vor allem die sinkenden Mitgliederzahlen gemeint. Dabei stehen die Gewerkschaften in Europa vor ähnlichen Problemen: Ihre Mitgliederstruktur entspricht nicht mehr der Struktur der ArbeitnehmerInnenschaft. Soll heißen: Es gibt nicht nur mehr den männlichen Industriearbeiter – das klassische Gewerkschaftsmitglied –, sondern viele neue Gruppen am Arbeitsmarkt. Schule beenden, Wunschlehre machen und vom Betrieb übernommen werden: Das war einmal. Der Berufseinstieg wird für viele junge Menschen immer holpriger. Immer weniger Unternehmen nehmen Lehrlinge auf. Die Anzahl der ausbildenden Firmen ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken. Inzwischen bilden nur mehr 20 Prozent der Betriebe, die ausbilden könnten, auch tatsächlich aus. Und statt Vollzeitarbeitsplätzen vergeben Unternehmen nur mehr Teilzeitjobs und Praktika, die gar nicht oder schlecht bezahlt sind.
Neue Strategien für Gewerkschaften
So sind es vor allem junge Menschen, Frauen und Hochqualifizierte aus neuen Branchen, die in Gewerkschaften unterrepräsentiert sind. Diese Gruppen kann man über den Betrieb nicht erreichen, auch ist das Image der Gewerkschaften für viele von ihnen wenig anziehend: ein Altmännerverein in grauen Anzügen, der Entscheidungen unter sich trifft. Gewerkschaften brauchen neue Strategien, um Mitglieder zu gewinnen.
In Österreich bindet etwa die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier durch die Interessengemeinschaft work@flex atypisch Beschäftigte und (unfreiwillige) Selbstständige näher an sich. Besonders mit der Plattform „Watchlist Praktikum“ machen sie jungen ArbeitnehmerInnen deutlich, wozu Gewerkschaften noch immer wichtig sind. Und das ist dringend notwendig. Dem ÖGB ist das auch mit der Kampagne „Lohnsteuer runter!“ eindrucksvoll gelungen. Ohne den gemeinsamen Druck von ÖGB, Gewerkschaften, AK und mehr als 882.000 UnterstützerInnen auf die Regierung gäbe es keine Entlastung der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen.
Jugendorganisationen stärken
Um Mitglieder zu gewinnen, müssen auch die Jugendorganisationen gestärkt werden. Wer schon als Jugendlicher Kontakt zur Gewerkschaft hat, hat das auch eher im Alter. Und: Wir müssen erreichen, dass Menschen nicht mehr in die Scheinselbstständigkeit abgeschoben werden. Unternehmen umgehen dadurch Kollektivverträge und halten die ArbeitnehmerInnen von der Gewerkschaft fern. All das sind natürlich nur einige mögliche Wege für starke, zukünftige Gewerkschaften.
In unserer Organisation gibt es viele Ideen, wir müssen nur den Mut haben, sie auch umzusetzen. Denn entgegen der Meinung von KritikerInnen werden Gewerkschaften niemals überflüssig sein, im Gegenteil: Sie sind wichtiger denn je. Die soziale Kluft wird größer, die Spannungen in der Gesellschaft steigen. Für sozialen Frieden brauchen wir starke Gewerkschaften. Und unsere Stärke sind unsere Mitglieder.
Dieser Beitrag stammt aus der April-Ausgabe der „Arbeit&Wirtschaft“. Unter dem Motto „70 Jahre Kampf für Gerechtigkeit“ bietet sie einen Rückblick auf 70 Jahre Gewerkschaftsbewegung und zugleich einen Blick auf die Gegenwart und in die Zukunft!
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