Mindestlohn: höchstens mikroskopische Beschäftigungseffekte

04. April 2017

Kaum ein Thema ist so geeignet, um manche ExpertInnen in Weltuntergangsstimmung zu bringen, wie der Mindestlohn. Gerade bei diesem Thema wird wissenschaftliche Objektivität, differenzierte Debatte und sogar empirisches Datenmaterial fallen gelassen, nur um zu bestätigen, dass die reale Welt nach der banalsten Textbuch-Ökonomie funktioniert. Würde ein Mindestlohn eingeführt, seien enorme Arbeitsplatzverluste zu erwarten. Dabei zeigt ein Blick nach Deutschland, dass die Aufgeregtheit eine künstliche ist: Entgegen überzogener Prognosen zeigten sich praktisch keine Beschäftigungseffekte. Dagegen lassen sich positive Verteilungseffekte speziell im Niedriglohnsektor und zwischen den Geschlechtern beobachten.

Aufgeheizte Debatte in Deutschland

Die deutsche Debatte vor Einführung des Mindestlohns war aufgeheizt. Prominente ÖkonomInnen übertrafen sich mit Prognosen, welch enorme Beschäftigungsverluste zu erwarten wären. Besonders das teils durch die Industrie finanzierte Institut für Wirtschaftsforschung (IFO) tat sich hervor. Aber auch andere Institute wie das Forschungsinstitut zur Zukunft Arbeit (IZA) oder das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) stimmten in den Kanon ein.

Bevor die Einführung eines Mindestlohns politisch konkretisiert wurde, gingen die meisten ÖkonomInnen von einem Startniveau von lediglich 7,50 € pro Stunde aus. Gemäß der ab 2007 veröffentlichten Studien würde eine solche gesetzliche Lohnuntergrenze bis zu 1,22 Mio. Jobs kosten – so das Ergebnis ihrer modellbasierten Simulationen.

Interessanterweise weisen spätere Studien (zum Teil derselben Forschungsinstitute), die dann von einer Untergrenze von 8,50 € ausgingen, sogar niedrigere negative Beschäftigungseffekte aus.

Kühle Fakten

Etwa ein Jahr nachdem am 1. Januar 2015 in Deutschland ein – aus westeuropäischer Perspektive relativ niedriger – gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde eingeführt wurde, lassen sich die tatsächlichen Auswirkungen auf die Beschäftigung beobachten. Die ersten empirischen Ergebnisse zeigen: Etwas weniger Aufgeregtheit hätte der Debatte gut getan. Die meisten Modelle lagen nämlich weit daneben. Die Modellprognosen waren weit höher als die Beschäftigungseffekte, die in Wirklichkeit eintraten. Die Abbildung zeigt, wie weit Prognosen und Realität auseinander klafften.

Dabei ist nicht einmal klar, ob diese Beschäftigungseffekte überhaupt eintraten. Entgegen der Prognosen war eine Umwandlung prekärer Minijobs in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit zu verzeichnen. Darüber hinaus verzeichneten die von Niedriglöhnen besonders stark betroffenen Beschäftigtengruppen (wie Frauen oder gering Qualifizierte) überdurchschnittliche Einkommenssteigerungen.

Mindestlohn sichert ab

Deutschland ist kein Einzelfall. Faktenbasierte Forschung zu Mindestlöhnen zeigt, dass internationale Studien im besten Fall geringe Beschäftigungseffekte nachweisen. Gleichzeitig verbessert er die Situation der niedrigsten Einkommensgruppen. Nachdem Frauen weniger verdienen als Männer, wirkt sich für sie der Mindestlohn auch stärker aus: In Deutschland profitierten von der Einführung doppelt so viele Frauen wie Männer. Das macht den Mindestlohn zu einem interessanten Instrument zur Bekämpfung von Erwerbsarmut und Ungleichheit.