Laut Schulunterrichtsgesetz sind Eltern dazu verpflichtet, die Unterrichts- und Erziehungsarbeit in der Schule zu unterstützen. Gleichzeitig ist es traurige Realität, dass schulpflichtige Kinder überdurchschnittlich häufig in Haushalten leben, die von Armut betroffen sind. Deren Eltern können die erwartete Unterstützungsleistung meist nur schwer erbringen. Ideologische Vorstellungen, Wünsche und Wirklichkeit klaffen hier deutlich auseinander.
Kinderarmut in Österreich Rund jedes vierte Kind (24%) zwischen 0 und 15 Jahren in Österreich (310.000) ist laut EU-SILC Erhebung 2014 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht gelten laut Definition jene Haushalte, die keine oder nur sehr niedrige Erwerbsintensität (Beschäftigungsausmaß der Haushaltsmitglieder) aufweisen, deren Einkommen geringer ist als 60% des nationalen äquivalisierten Medianeinkommens und/oder die mehrere der von der EU definierten Merkmale für erhebliche materielle Deprivation aufweisen, wie z.B. Zahlungsrückstände oder die fehlende finanzielle Möglichkeit, die Wohnung angemessen warm zu halten.
Überdurchschnittlich häufig sind Kinder von Alleinerziehenden oder Großfamilien von Armut betroffen. Kinder mit Migrationshintergrund haben ebenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit in armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Haushalten aufzuwachsen. Die Mehrheit der Betroffenen (66%) hat dennoch die österreichische Staatsbürgerschaft. Sozialleistungen stellen meist die Haupteinkommensquelle dieser Haushalte dar.
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Von „materieller Deprivation“ bei Kindern und Jugendlichen, also einer erheblichen materiellen Benachteiligung, spricht die europäische Statistik, wenn sich Haushalte mit Kindern drei von 18 bestimmten Konsumgütern oder Aktivitäten nicht leisten können, wie neue Kleider, ein tägliches Hauptgericht, altersgerechte Bücher, Familienfeste, Schulausflüge oder einfach einen geeigneten Platz mit ausreichend Licht und Ruhe zum Lernen oder für Hausaufgaben. Alle 18 Deprivationsmerkmale finden sich in der 2015 veröffentlichen Studie der Statistik Austria mit dem Titel „Lebensbedingungen in Österreich – ein Blick auf Erwachsene, Kinder und Jugendliche sowie (Mehrfach-)Ausgrenzungsgefährdete“ , erstellt im Auftrag des BMASK.
Eltern im Hamsterrad – Chancenungleichheit durch eingeschränkte Ressourcen Viele Eltern oder Alleinerziehende, die täglich ums finanzielle Überleben kämpfen müssen, befinden sich gedanklich in einer Art „Hamsterrad“, wie der Sozialexperte und Mitinitiator der Armutskonferenz , Martin Schenk, im Journal für Ein-Eltern-Familien (03/2015) ausführt. Mehrfachbelastungen, ständige Sorgen und die Knappheit der Mittel führen dazu, dass nur wenig Zeit und Kopf bleibt für z.B. Hilfe bei den Hausübungen. Dazu kommt, dass auch der Bildungsgrad, die IT-Kompetenzen und oft auch die Deutschkenntnisse vieler Eltern nicht ausreichen, um die Kinder angemessen bei den Lernaufgaben unterstützen zu können. Genau diese Unterstützungsleistungen der Eltern werden jedoch im österreichischen Schulsystem oftmals noch als selbstverständlich vorausgesetzt.
Schulpflichtige Kinder, die in armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Haushalten leben, finden noch dazu oft lernfeindliche Wohnbedingungen vor (Platzmangel, unzureichende Heizung) und haben, auch was ihre Ernährung, ihre sozialen Kontakte und ihre Freizeitmöglichkeiten betrifft, viele Einschränkungen hinzunehmen. Fehlende finanzielle Ressourcen führen durch die Nichtleistbarkeit professioneller Nachhilfe noch zusätzlich zu verminderten Bildungschancen. Laut EU-SILC Erhebung 2015 ist für 49% der Mädchen und 41% der Buben in Niedrigeinkommenshaushalten eine bezahlte Nachhilfe nicht leistbar.
Nicht nur für ökonomisch benachteiligte Gruppen, auch für die breite Mittelschicht wird die Erwartungshaltung der Schulen immer mehr zur finanziellen und zeitlichen Belastung. Erhebungen, wie etwa das AK-Nachhilfemonitoring , zeigen auf, dass sich mehr als die Hälfte der Eltern, die Nachhilfe für ihr Kind in Anspruch nehmen, dadurch finanziell stark belastet fühlt. Von jenen, die selbst mit den Kindern üben und lernen fühlen sich vier von zehn zeitlich belastet. In der letzten Schulkostenstudie der Arbeiterkammer Niederösterreich (sie wird gerade für das Schuljahr 2015/16 wiederholt) teilte überdies die Mehrheit der Eltern die Einschätzung, dass das Ausmaß der Schulausgaben (für Unterrichtsmaterialien, EDV, Ausflüge etc.) in den letzten Jahren zugenommen hat.
Über (ideologische) Wünsche und Wirklichkeit in der Bildungsdebatte Laut § 61 des Schulunterrichtsgesetzes haben die Erziehungsberechtigten „das Recht und die Pflicht, die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen“. Weiters sind sie „verpflichtet, die Schüler mit den erforderlichen Unterrichtsmitteln auszustatten und auf die gewissenhafte Erfüllung der sich aus dem Schulbesuch ergebenden Pflichten des Schülers hinzuwirken sowie zur Förderung der Schulgemeinschaft (§ 2) beizutragen.“
Das Gesetz gibt somit einen großen Teil der Verantwortung für die schulischen Erfolge der Kinder an die Eltern ab. Ausgeblendet wird dabei, dass es durch diese Regelung ganz klar zu einer strukturellen Chancenungleichheit kommt. Auch wenn der Wille vorhanden ist, können viele Erziehungsberechtigte die geforderte Unterstützung schlichtweg nicht erbringen. Die Möglichkeit, die Kinder mit den heute erforderlichen Unterrichtsmitteln (z.B. PC/Laptop) und eventuell zusätzlichen Bildungsmaterialien (z.B. Bücher) auszustatten, variiert ebenfalls mit den finanziellen Möglichkeiten der Haushalte. Es sollte jedoch Ziel jedes hoch entwickelten Staates sein, das Potenzial aller Kinder voll auszuschöpfen und gleichermaßen zu fördern.
Die aktuellen statistischen Daten zur Kinderarmut zeigen, dass die Lebenswelten vieler SchülerInnen sehr viel anders aussehen als sich womöglich BildungspolitikerInnen, LehrerInnen oder Personen aus ökonomisch besser gestellten Haushalten vorstellen. Die Teilnahme an mit Kosten verbundenen Schulaktivitäten oder die Organisation von Nachhilfestunden für das Kind stellt für viele Familien eine große Herausforderung dar. Wenn bereits ein Viertel der schulpflichtigen Kinder in armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Haushalten lebt, kann man längst nicht mehr von einem Randphänomen sprechen.
Es ist daher höchste Zeit, sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie Bildungspolitik den ungleichen Startbedingungen von armutsbetroffenen Kindern entgegen wirken kann. Maßnahmen, wie die Ausweitung ganztägiger Schulformen und kostenloser Kinderbetreuung, die bedarfsorientiere Mittelverteilung in der Pflichtschule und die Sensibilisierung der PädagogInnen auf das Thema Kinderarmut (z.B. in Fortbildungen), sind nur einige Vorschläge, die es dazu bereits gibt.
Um Armut an der Wurzel zu bekämpfen, benötigt es aber natürlich auch Ansatzpunkte in der Lohn-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wie z.B: die Anhebung des kollektivvertraglichen Mindestlohns.
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