Bildungsbudget der Stagnation

10. November 2021

Die COVID-19-Pandemie hat in den letzten 20 Monaten das Leben aller Menschen beeinträchtigt, aber für Kinder und Jugendliche hat sich ihr Alltag vielleicht am stärksten verändert: Die lange Abwesenheit von der Schule und ihren Freunden hat generell zu einem erheblichen Anstieg psychischer Probleme und das lange Distance-Learning teilweise zu Lernrückständen geführt. Zudem weisen zahlreiche Untersuchungen darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie die Ungleichheiten zwischen Kindern mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund im Bildungsbereich verstärkt hat. Doch: Welche bildungspolitischen Maßnahmen werden in Österreich zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie gesetzt?

Bildung wieder kein Schwerpunkt im Budgetentwurf

Bereits das Bildungsbudget des letzten Jahres, welches nach den ersten längeren Phasen der COVID19-bedingten Schulschließungen präsentiert wurde, sah für das folgende Schuljahr keine weiteren Maßnahmen vor, die auf den daraus entstandenen Lernrückstand oder auf die pädagogischen Herausforderungen im Zuge der Pandemie reagierten. Zusätzliches Personal, um intensive Förderung und Unterricht trotz Corona-Einschränkungen sicherzustellen, war nicht zu finden. Erst nach dem zweiten und dritten Lockdown und den langen Phasen des Homeschoolings wurde im Januar 2021 ein Corona-Förderpaket in Höhe von 200 Millionen Euro aufgesetzt (135 Mio. fürs erste Halbjahr 2021; 65 Mio. bis Sommer 2022 – dabei handelt es sich jedoch nicht um zusätzliche Mittel, sondern um Basisressourcen, die im Kontext der COVID-19-Pandemie nicht ausgegeben wurden. Im Kern umfasst dieses „Förderstunden-Pakets“ bis zu zwei zusätzliche Förderstunden pro Klasse in den Hauptgegenständen und Fremdsprachen, um Lernrückstände abzubauen.

Laut OECD haben im letzten Jahr rund zwei Drittel der OECD-Länder als Reaktion auf die Pandemie vor allem den Pflichtschulbereich mit deutlich mehr finanziellen Mitteln ausgestattet, um auf die Herausforderungen und Folgen der COVID-19-Pandemie reagieren zu können. Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten gewesen, dass auch Österreich im aktuellen Budgetentwurf 2022 auf die Corona-bedingten Herausforderungen im Bildungsbereich eingeht und Bildung insgesamt zu einem budgetären Schwerpunkt wird. In der laufenden Finanzrahmenperiode 2022–2025 werden insgesamt rund 33 Milliarden Euro für budgetäre Schwerpunkte der Bundesregierung wirksam. Für schulische Bildung sind darin allerdings nur rund 72,2 Mio. Euro vorgesehen – das entspricht 0,22 Prozent der Gesamtausgaben. Damit ist Bildung auch im Budgetentwurf 2022 wieder kein Schwerpunkt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die bildungsbezogenen „Schwerpunktmittel“ bis 2025 umfassen lediglich 3 Punkte: a) das Pilot-Projekt „100 Schulen“ für benachteiligte Standorte, b) den Ausbau psychosozialer Unterstützung sowie c) ein Budgetbündel zur Förderung von a.o. Schüler:innen, der Sommerschule und zur Erhöhung der Schülerbeihilfen. Dass sich mit diesen geringen Zusatzmitteln kaum maßgebliche Veränderungen erreichen lassen, zeigt das Beispiel zur Einstellung von zusätzlichen Schulpsycholog:innen: Auch wenn deren Aufstockung um 20 Prozent (mit rd. 8 Mio € in 2022) in Anbetracht der stark angestiegenen psychischen Belastungen unter Schüler:innen nach dem letzten Schuljahr begrüßenswert ist, wird dadurch das Betreuungsverhältnis nur unmerklich verbessert – so kommen immer noch rund 5.300 Kinder auf eine:n Schulpsycholog:in (zuvor: 6.100:1).

Corona-Aktionsprogramme: Österreich im europäischen Vergleich

Während budgetär Österreich kaum auf die Folgen der COVID-19-Pandemie reagiert hat, haben andere europäische Länder (aber auch OECD-Staaten, wie die USA oder Großbritannien) im letzten Jahr umfassende „Catch-up“-Programme auf den Weg gebracht. Das deutsche Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ stellt beispielsweise insgesamt zwei Milliarden Euro für die Jahre 2021 und 2022 zur Verfügung. Zum einen werden mit rund einer Milliarde Euro Angebote gesetzt, die schnell bei Kindern, Jugendlichen und Familien ankommen sollen. Dazu zählen der Bereich der frühkindlichen Bildung (z. B. Stärkung von Sprach-Kitas), aber auch zusätzliche Sport-, Freizeit- und Ferienaktivitäten sowie Unterstützung für Kinder und Jugendliche im Alltag und an der Schule (z. B. erhöhter Einsatz von SchulsozialarbeiterInnen oder SchulmentorInnen). Die andere Hälfte der finanziellen Mittel des deutschen Aktionsplans sind für zusätzliche Förderangebote zum Abbau von Lernrückständen vorgesehen. Darunter fallen in erster Linie unterrichtsbegleitende Fördermaßnahmen in den Hauptfächern sowie Sommercamps und Lernwerkstätten in den Ferien.

Auch die Niederlande – eine deutliche kleinere Volkswirtschaft – haben ein Nationales Bildungsprogramm aufgelegt, das mit einem Budget von sogar 8,5 Milliarden Euro ausgestattet wurde. Es richtet sich an den gesamten Bildungsbereich – von der Vorschule über die Grundschulen bis hin zu weiterführenden Schulen. Zur Durchführung von Fördermaßnahmen erhält jede der rund 6.600 Grundschulen des Landes im kommenden Schuljahr einen Betrag von durchschnittlich 180.000 Euro. Die 650 weiterführenden Schulen werden mit jeweils rund 1,3 Millionen Euro unterstützt. Schulen mit vielen SchülerInnen mit geringeren Chancen erhalten proportional mehr Geld. Im Rahmen des Programms wird eine wissenschaftlich fundierte Auswahl wirksamer Unterstützungsmaßnahmen entwickelt. Aus diesem Repertoire können die Schulen dann diejenigen Angebote auswählen, die ihrer Situation und ihrem Bedarf am besten entsprechen. Ergänzend bietet das Nationale Bildungsprogramm für Schulen die Möglichkeit, zusätzliches Unterstützungspersonal einzustellen, um LehrerInnen zu entlasten und deren Fokus auf den regulären Unterricht zu sichern.

Im aktuellen Schuljahr 2021/22 geben die Niederlande damit durchschnittlich rund 700 Euro pro Schüler:in für das Aufholen von Lernrückständen und zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie aus. Das ist siebenmal mehr als in Österreich im gleichen Zeitraum ausgeben wird (rund 100 Euro/Schüler:in). Auch in Deutschland sind die durchschnittlichen Ausgaben immer noch doppelt so hoch wie in Österreich.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Langfristige Investitionen und neues Betriebssystem notwendig

Das aktuelle österreichische Bildungsbudget sieht kaum Maßnahmen vor, um langfristig auf die Folgen der COVID-19-Pandemie im Schulbereich zu reagieren. Die größte budgetäre Maßnahme, das Förderstundenpaket, läuft mit Ende nächsten Jahres aus – man scheint davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche im Laufe der Zeit Lernrückstände ohnehin aufholen werden. Dabei geht die aktuelle Forschung davon aus, dass sich die zuvor schon stark ausgeprägten Bildungsungleichheiten im Zuge der COVID-19-Pandemie noch verstärken werden. Kinder und Jugendliche aus privilegierten Elternhäusern verfügen häufig über mehr direkte Unterstützungsleistungen (Hausübungshilfe, Nachhilfe, etc.) und über das notwendige strategische Wissen, um erfolgreich durchs Bildungssystem zu navigieren. Diesen Schüler:innen wird es leichter fallen, das aufzuholen, was sie während der Pandemie verloren haben. Fehlen Kindern hingegen diese bildungsrelevanten Ressourcen, wird es für sie nach der Pandemie noch schwerer, die ohnehin schon große Kluft zu schließen.

Gerade deshalb sind langfristige Investitionen im Bildungsbereich entscheidend. Ein Anfang wäre, dass Betriebssystem der Schule – sein Finanzierungssystem – neu aufzusetzen und Schulen mit größeren Herausforderungen über den AK-Chancen-Index mit zusätzlichen Mittel auszustatten. Schulen, die viele Schüler:innen mit erhöhtem Förderbedarf haben, könnten so die strukturelle Ungleichheiten durch mehr Förderangebote oder pädagogisches Unterstützungspersonal ausgleichen. Das wäre nicht nur eine passende Reaktion auf die schulischen Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie, sondern würde auch langfristig zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen.

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